23 | Jule

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Da sitze ich nun mit meiner Schiene und kann nichts machen. Die Mädels sind dieses Wochenende in Köln für das nächste Ligaspiel. Ich bleibe aus offensichtlichen Gründen zu Hause. Theoretisch hätte ich mitfahren und zuschauen können, aber das ist mir gerade zu stressig. Ich muss erstmal wieder mit mir selbst klar kommen. Dabei sollte ich eigentlich gar nicht alleine sein. In den letzten Tagen habe ich immer wieder Gesellschaft gesucht. Selten war ich alleine in meinem Zimmer, sondern immer bei Feli und Pia. Sogar zum Training bin ich mitgekommen um zuzuschauen und nicht das Gefühl zu bekommen alleine zu sein. Das ist das letzte, was ich jetzt noch brauche. Allein sein heißt mich mit all dem, was passiert ist, auseinander setzen zu müssen. Und das will ich nicht. Tja jetzt ist es aber fast soweit. Es ist Samstag und die Mädels sind vorhin abgereist und ich bin nun allein in der Wohnung. Gut Cinni ist noch da, aber die zählt nicht. Immerhin kann ich mich noch ablenken. Hoffenheim spielt schon heute, so dass ich das Spiel schaue. Vor allem will ich endlich Mal wieder ein Spiel von Jule schauen. Durch den eigenen Alltag komme ich nicht ganz so häufig dazu die Spiele der anderen zu schauen. Besonders bei Jule fehlt mir das sehr.

Letztendlich bemerke ich selbst, dass ich mich viel mehr auf sie fokussiere als das Spiel wirklich zu schauen. Sie ist so flink, so wendig, so gut. Und dann sieht sie auch noch umwerfend aus, sogar mitten im Spiel. Jule ist definitiv etwas besonderes für mich. Wir hatten nicht den besten Start. Aber was sich danach entwickelt hat, ist einzigartig. Wir haben eine extrem tiefe Freundschaft entwickelt. Phasenweise ist mir noch bewusst geworden, dass da mehr ist, aber wir haben uns darauf geeinigt es langsam angehen zu lassen. Wir waren beide noch extrem jung. Dann kamen meine Probleme auf und Jule war immer für mich da. Sie war eine der ersten, die das wirklich hautnah miterlebt hat. Sie war mit mir in einem Zimmer als wir noch in Frankreich für die WM waren und da ging eben alles los. Sie hat alles mitbekommen, was danach passiert ist. Sie war, außer Feli und Pia, die einzige Person, die immer wusste, was gerade bei mir abgeht und wie es mir allgemein geht. Wir haben uns oft getroffen in der Zeit. Sie hat versucht so oft es geht hoch nach Wolfsburg zu fahren. Sie war für mich da. Wir sind uns näher gekommen, doch haben immer geschaut, dass eine gewisse Grenze nicht überschritten wird. Ich war nicht ich selbst. Ich hätte keine Beziehung eingehen können. Vor allem nicht, wenn ich nicht weiß wohin das langfristig führt. Ich hätte mich dadurch noch mehr zerstören können. Doch meine Gefühle für Jule sind trotz allem nie geringer geworden. Wir hatten immer diese spezielle Bindung, so als wären wir Seelenverwandte. Letztendlich kann ich sagen, dass Jule einen großen Anteil daran hat, dass ich wieder hier bin. Durch ihre Erfolge, die sie hatte. Champions League mit Hoffenheim, Nominierung für die Nationalmannschaft, Tore, Siege und anderes, das wollte ich auch erreichen. Sie hat das erreicht und ich wollte es ihr gleich tun. Wir hatten immer diesen kleinen Konkurrenzkampf und ich wusste, wenn sie es schaffen kann, dann kann ich es auch. Aber vor allem wollte ich diese Momente zusammen mit ihr erleben. Ich weiß einfach, dass egal, was ist, ich mich immer auf Jule verlassen kann. Und so war es auch und ist es immer noch. Es gab bisher, in den letzten anderthalb Jahren, nicht einen Moment, in dem ich an uns gezweifelt habe und das obwohl wir offiziell nie zusammen waren. Doch ich weiß, dass es über kurz oder lang dazu kommen wird.

Am Abend ist es dann soweit. Ich habe nichts zu tun. Im Fernsehen kommt nichts gescheites und Serien schaue ich eigentlich nie. Jetzt kommt alles hoch. Ich merke, wie meine Atmung heftiger wird und ich anfange zu zittern. Erste Tränen laufen mir über die Wangen. Bitte keine Panikattacke. Doch bevor meine Atmung komplett außer Kontrolle gerät, klingelt mein Handy. Es ist Jule. Meine Rettung. ,,Hey“, bringe ich gerade so hervor. ,,Lou, was ist passiert?“, ruft Jule sofort besorgt aus. ,,Ich glaube, ich bekomme gerade eine Panikattacke. Ich bin alleine und ja“, sage ich schon fast atemlos. ,,Ganz ruhig. Konzentrier dich auf deine Atmung. Ein und Aus. Alles ist gut.“ Ich tue, was Jule sagt. Es funktioniert. Ich bekomme meine Atmung wieder in den Griff. ,,Danke“, flüstere ich. ,,Da nicht für. Du weißt, dass ich immer für dich da bin. Wie geht es dir?“, fragt sie. ,,Jetzt erstmal wieder besser.“ ,,Ich meine allgemein.“ ,,Es geht. Ich bin immer noch etwas fertig von der Verletzung und bin mir immer noch unsicher, ob ich das wirklich schaffe. Aber ich wollte vor allem nicht allein sein. Ich wusste, dass wenn ich wirklich alleine bin, alles hochkommen wird. Tja, das ist gerade passiert“, antworte ich. ,,Oh man. Dann habe ich wohl im richtigen Moment angerufen“, meint Jule. ,,Das hast du definitiv. Danke nochmal.“ ,,Hör auf dich zu bedanken. Aber Lou, du bekommst das hin. Du bist eine Kämpferin. Du wirst zurückkommen.“ ,,Ich hoffe es und ich will auch kämpfen. Ich weiß nur nicht, ob ich das kann“, erwidere ich. ,,Du hast das entscheidende Wort schon gesagt. Wille. Das ist es. Wenn du es willst, dann kannst du es auch wirklich schaffen. Und du sowieso. Du hast schon so viel durchgemacht. Im Gegensatz dazu ist die Verletzung schon fast harmlos. Du hast schon viel schlimmeres erlebt“, sagt Jule. ,,Das stimmt, aber die Verletzung kommt eben zu allem noch dazu. Ich wollte einfach eine tolle Saison spielen und das ist jetzt eben vorbei.“

,,Das stimmt doch gar nicht. Dein Start war fantastisch. Du hast in deinem ersten Spiel bei deinem Comeback sofort ein Tor und einen Assist erzielte. Gegen Essen hast du gleich zweimal getroffen und gegen Leipzig noch einmal und dazu wieder zwei Assists. Du hast dein Debüt in der A-Nationalmannschaft gegeben und dabei sofort einen Assist bekommen. Bei deinem zweiten Spiel hast du dann einen Doppelpack erzielt und noch einen weiteren Assist. Zwei Spiele, Zwei Tore, zwei Assists. Das ist eine fantastische Quote. Im Pokal hast du dann nochmal zwei Tore erzielt und ich weiß, dass du es nicht so siehst, aber auch das war ein mega Spiel von dir. Und sogar gegen Chelsea konntest du noch ein Tor schießen. Und auch unabhängig von den Toren hast du grandiose Spiele gemacht, die Gegner immer unter Druck gesetzt und hast immer fürs Team gearbeitet. Und vergiss nicht, dass die Saison bis Ende Mai geht. Wenn alles nach Plan läuft, dann bist du im März wieder einsatzfähig und dann hast du noch zwei weitere Monate, um deine Saison zu krönen. Deine tolle Saison ist noch nicht vorbei“, zählt Jule auf. ,,Vielleicht hast du Recht“, gebe ich zu. ,,Nicht nur vielleicht. Ich habe immer Recht. Wirklich, du packst das Jule. Du hast Feli und die anderen Wölfinnen direkt bei dir und du hast auch noch ganz viele andere tolle Freundinnen, wie Sjoeke oder Melly. Und du hast mich. Du kannst mich jeder Zeit anrufen, wann immer du mich brauchst.“ ,,Ich wünschte, wir könnten uns sehen“, flüstere ich. ,,Ich auch. Ich würde dich jetzt so gerne einfach in den Arm nehmen und bei dir sein“, sagt sie. ,,Wann hast du das nächste Mal frei?“, frage ich. ,,Erst wenn Länderspielpause ist. Wir haben unter der Woche Champions League und dann nochmal Liga. Danach ist ja schon wieder Länderspielpause. Wobei das ja schon in einer Woche ist. Wir spielen in Braunschweig. Da können wir uns definitiv sehen.“ ,,Das klingt doch gar nicht so schlecht. Da müssen wir uns definitiv sehen, aber ich glaube, dass sollte auch funktionieren“, sage ich. ,,Das muss funktionieren. Hab dich ganz doll lieb Lou.“ ,,Ich dich auch Jule.“

Flowers need time to bloomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt