Flowers need time to bloom

60 | Gerüchte

Am nächsten Morgen weiß ich dann auch warum. Bei der Pressekonferenz (PK) am Nachmittag mit Kathy und Martina gab es auch eine Frage zu mir. Musste ja auch sein, da ich ja nachnominiert wurde. Nachdem ich auf Instagram Beträge von Fanseiten dazu gesehen hatte, in denen auf jene Pressekonferenz verwiesen worden ist, habe ich Kathy dazu gefragt und dann die passende Stelle aus dem Stream rausgesucht. Jedenfalls lautete diese Frage so. ,,Martina, Sie haben für die verletze Tabea Waßmuth Louisa Rauch nachnominiert. Was hat sie zu dieser Entscheidung geführt und was können sie über Louisa mittlerweile sagen?“ Bei ihrer Antwort hat dann Martina für meinen Geschmack etwas zu viel preisgegeben. ,,Wir haben Lou nachnominiert, da sie eine junge Stürmerin mit viel Frische und Unbekümmertheit spielt. Dazu ist sie sehr variabel im Sturm einsetzen und genau das Gesamtpaket brauchen wir. Wir wollen Lou aufbauen und sich weiterentwickeln lassen. Das geht am besten, wenn sie jetzt die Erfahrung eines großes Turniers macht. Wir wollen das zu einer positiven Erfahrungen für sie machen. Lou hat eine wirklich schwere Zeit hinter sich, in der sie mental extreme Probleme hatte. Wir sind froh, dass sie jetzt trotzdem ihrer Verletzung eine tolle Saison bei den Profis gespielt hat und gezeigt hat, sie stark sie in Wirklichkeit ist. Nach den anderthalb Jahren, in denen sie wirklich Probleme hatte, hat sie sich die Nachnominierung nun echt verdient.“ Ich lasse mein Handy sinken. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Immer habe ich den Grund für mein Fehlen in der Öffentlichkeit verschwiegen. Ich wollte nicht, dass es rauskommt. Den Fragen dazu bin ich immer entwichen und mit der Zeit sind sie dann auch weniger geworden. Ich wollte nicht zeigen, wie schwach ich war. Ich wollte mich nicht verletzlich machen. Ich wollte nicht, dass es zum Thema wird. Im Sport ist es nie einfach über solche Erfahrungen zu reden und deswegen habe ich es immer verschwiegen. Vor allem weil ich zu allem noch wenig Erfahrung mit den Medien habe und dazu eigentlich nur negative. Aber jetzt ist fast alles raus. Jetzt ist klar, dass ich mentale Probleme hatte. Jetzt ist klar, warum ich unter anderem gefehlt habe. Einzig meine Probleme mit dem Essen wurden nicht erwähnt, nur dass die auch damit zusammenhängen genauer gesagt sich darauf zurückzuführen lassen.

,,Lou, machst du dich auch fertig?“, fragt Jule. ,,Ich ähm, ja klar“, sage ich und lege mein Handy weg. Was mache ich jetzt nur? Es wird nicht lange dauern bis Artikel darüber geschrieben werden. Es wird nicht lange dauern bis ich wieder darauf angesprochen werde und diesmal konkreter. Ich stehe jetzt ja noch mehr im Fokus der Medien. Doch all das darf mich jetzt nicht beschäftigen. Ich muss mich aufs Training konzentrieren. Heute haben wir nur eine Einheit und dafür am Nachmittag ein anderes Programm mit etwas Freizeit. Aber ich weiß, dass ich nicht ruhig werde, wenn ich nicht mit wem darüber geredet habe. ,,Feli, ich muss mit dir reden“, sage ich, als wir nebeneinander her radeln. Wenn mir jetzt jemand helfen kann, dann Feli. ,,Was ist los?“ ,,Bei der PK gestern wurde praktisch gesagt weswegen ich diese anderthalb Jahre weg war.“ ,,Shit.“ Das ist erstmal alles, was sie sagt. ,,Was mache ich jetzt?“, frage ich, nachdem sie weiter schweigt. ,,Bestätige es“, meint Feli. ,,Was? Nein!“ ,,Doch. Lou, die Zeiten haben sich geändert. Mittlerweile ist man viel sensibler geworden, wenn es um das Thema Mental Health geht. Es würde vielleicht sogar etwas bewegen, wenn so eine junge Spielerin jetzt dazu etwas sagt. Und vor allem würdest du wahrscheinlich viele andere sehr inspirieren. Es wurde der Sportwelt sehr gut tun, wenn du dazu stehst. Und auch für dich ist das einfacher. Du wirst jetzt nur noch öfter darauf angesprochen und dann wird es immer schwerer das zu leugnen und du machst dir wieder noch mehr Druck“, erklärt Feli. ,,Ja, aber ich… ich kann das nicht“, sage ich leise. ,,Doch Lou, du kannst das.“ Dann kommen wir am Trainingsplatz an und ich kann nicht weiter protestieren.

Völlig entkräftet lasse ich mich nachdem Training auf mein Bett sinken. Ich habe mich ziemlich verausgabt. Und gleichzeitig habe ich über das alles nachgedacht. Ich will mich dazu nicht äußern. Ich habe es die ganze Zeit nicht getan. Warum soll ich es jetzt machen? ,,Lou, hat es mit der Sache von heute Morgen zu tun?“, fragt Jule und setzt sich neben mich. ,,Ja, hat es.“ Jule hakt nicht weiter nach, doch trotzdem erzähle ich ihr alles. Vielleicht versteht sie mich eher wie Feli. ,,Ich würde dir etwas ähnlich sagen wie Feli, aber es ist deine Sache. Ich will nur das Beste für dich und wenn es das darüber Schweigen für dich ist, dann ist es so“, sagt sie. ,,Danke“, flüstere ich und schlinge meine Arme um ihren Bauch. So bleiben wir eine Weile liegen. Es tut gut, einfach zu spüren, dass sie da ist. Das brauche ich gerade so sehr. Nach dem Mittagessen und einer kleinen Mittagspause in der ich einfach nur auf dem Bett liege und in meinen Gedanken versinke, haben wir noch eine weitere Trainingseinheit. Wir haben ein spezielles Balltraining, bei den es um unsere eigene Ballkontrolle geht. Immerhin, denn ich bin jetzt schon etwas fertig. Trotzdem schaffe ich es mich so einigermaßen auf die Übungen zu konzentrieren. Es macht schon Spaß Mal wieder auf diese Weise etwas mit dem Ball zu machen. Normal machen wir so ein Balltraining öfter beim Verein, aber auch das ist schon eine ganze Weile her. Man lernt das Spielgerät einfach nochmal viel besser kennen. Komplett abschalten kann ich allerdings trotzdem nicht. Meine Gedanken hängen dann doch bei den Neuigkeiten fest. Wie schnell wird das überhaupt Thema bei den Medien? Wahrscheinlich doch recht schnell. Die Natio ist als Vize-Europameister und WM-Dritte eines der Favoriten Teams für die Olympischen Spiele. Diese stehen ja sowieso im Fokus der Medien und damit auch wir als Frauenmannschaft. Entweder es interessiert sich wirklich niemand darüber oder eben alle. In den letzten Tagen habe ich es endlich Mal wieder geschafft die meisten Neuigkeiten im Sport zu ignorieren. Nach meinem eigentlichen Ausscheiden aus dem Kader wollte ich wirklich nichts lesen. Eigentlich will ich das nie, aber irgendwie passiert es doch immer wieder. Und so ist es auch jetzt wieder. Es dauert nicht mehr lange bis zum Abendessen und irgendwie lande ich bei Google News. Da ich allgemein sehr sportbegeistert bin, ist dies natürlich voll mit Neuigkeiten rund um den Sport. Ich sollte die App verlassen, aber meine Finger handeln schneller als mein Kopf denken kann. Schlagzeilen wie Louisa Rauch mit mentalen Problemen – ist sie fit für Olympia? oder Kommt Louisa Rauch endlich ohne Probleme durch das Turnier? oder Kann Louisa Rauch trotz angeblicher mentaler Probleme der Nationalmannschaft zum Titel helfen? fallen mir ins Auge. Scheiße. Immerhin müssen wir jetzt zum Abendessen, so dass ich zum Glück keine der Berichte lese.