Es ist wirklich eine intensive Zeit. Jetzt schon. Gerade Mal zwei Spiele sind vorbei und trotzdem fühlt es sich so an, als hätten wir schon viel mehr gespielt. Gefühlt sind wir schon ewig hier und doch ist es erst etwas mehr als eine Woche. Zwischen dem zweitem und dem drittem Spiel liegt diesmal ein Tag weniger. Wirklich schlimm ist das nicht. Martina hat schon angekündigt, dass sie die Belastung gut steuern will. Wir stehen bereits im Viertelfinale, so dass es quasi egal ist, wie wir spielen. Irgendwie hoffe ich allerdings, dass ich nicht in der Startelf stehe. Irgendwie fühle ich mich dem noch nicht ganz gewachsen. Und ich strebe mich immer noch etwas gegen die ganze Aufmerksamkeit. Natürlich ist es toll, dass wir nicht unter dem Radar schwimmen, aber trotzdem ist mir die Aufmerksamkeit etwas zu viel. Aber ich will mich den ganzen stellen. Ich will nicht wieder so ein Erlebnis wie bei der U-20 WM haben. Ich will dazu lernen und an der Situation wachsen. Ich will Fußball spielen und trotzdem mit all dem darum herum auch klar kommen. Das gehört jetzt auch fest zu meinem Ziel für diese Olympischen Spiele. Und ich merke, dass ich wirklich viel weiter bin, als noch vor zweieinhalb Jahren. Ich bin zwar unsicher, aber ich merke, dass die Auswirkungen der Aufmerksamkeit viel weniger, eigentlich gar keinen, Einfluss auf mich und meine Gesundheit hat.
,,Worüber denkst du nach?“, fragt Feli, während wir auf den Fahrradergometern sitzen. Wir sind im Kraftraum für unsere Regenerationseinheit. ,,Über das Interview gestern und das ich mit der Medienaufmerksamkeit viel besser fühle als bei allen anderen bisherigen Erfahrungen“, antworte ich. ,,Das ist toll. Hätte ich dich das mit zweieinhalb Jahren gefragt, wäre die Antwort eine ganz andere gewesen.“ ,,Oh ja definitiv. Ich merke selbst, wie ich an den Erlebnissen gewachsen bin.“ ,,Genau so soll es sein. Aber komm, ich kann sehen, dass das nicht das einzige ist, was dich bedrückt“, meint sie. ,,Ja, ich weiß auch nicht. Traust du mir zu, dass ich gegen Neuseeland von Anfang an spielen könnte?“, spreche ich meine Sorge aus. ,,Weil du es willst oder weil du Respekt davor hast?“ ,,Das zweite.“ ,,Okay, egal was es gewesen wäre, natürlich traue ich dir das zu. Schau Mal, du bist eine junge Spielerin, die ihr erstes großes Turnier spielt. Du hast davor mit 16 beim VfL angefangen und uns schon in dem Alter in wichtigen Situationen extrem geholfen. Dann hast du die U-20 zum WM-Titel geschossen. Und nach deinem ersten Comeback hast du sofort der Mannschaft geholfen und nach dem zweiten Comeback dem Team sehr stark mit deinen Toren und Vorlagen zum Gewinn des Tripple geholfen. Jetzt hast du in zwei Spielen ein Tor und eine Vorlage erzielt. Megan Rapinoe hat dir eine große Zukunft vorhergesagt und warum sollte diese nicht genau jetzt starten? Du hast deine Qualitäten, sowohl fußballerisch als auch mental und wenn du jetzt die Chance bekommst von Anfang an zu spielen, dann solltest du die definitiv mehr als nutzen. Ich glaube immer an dich, Lou“, sagt Feli. ,,Danke! Letztendlich kann ich es eh nicht beeinflussen“, erwidere ich. ,,So würde ich das nicht formulieren, aber ich würde es an deiner Stelle nicht tun. Sieh es als eine Chance und nimm die Herausforderung an, die Martina die geben wird.“
Die Herausforderung lautet Startelf, wie ich einen Abend später erfahren darf. Martina hat das Team ziemlich umgestellt und alle Spielerinnen, die bisher mehr Zeit auf der Bank als auf dem Spielfeld verbracht haben, dürfen morgen von Beginn an spielen. Für das Spiel sind wir wieder in Nantes und diesmal schlafe ich auch in der Nacht vor dem Spiel einigermaßen gut. Besser ist das, denn ich will nicht zu nervös werden. Es ist ein Spiel wie jedes andere auch, nur dass ich eben von Anfang an spiele. Wieder spielen wir am frühen Nachmittag, so dass wir schon recht früh unsere Aktivierung haben. Nach dem Mittagessen geht es dann schon zum Stadion. Auch wenn wir schon vor ein paar Tagen dort gespielt haben, gehen wir alle raus mit zur Platzbegehung. Vor allem ich brauche diese Routine. Alles, was mich nervös machen könnte, ist nicht gut. Zum Glück läuft alles normal ab. Wir wärmen uns auf, wieder in der Kabine ziehe ich mein Shirt um und tape mein Handgelenk. Dann geht es auch schon raus in den Spielertunnel. Ich stehe zwischen Sjoeke und Sara. ,,Das rockst du“, meint Sara und umarmt mich von hinten. Irgendwie bin ich in den letzten Minuten doch nervöser geworden, wie mir eigentlich lieb war. ,,Danke. Wird schon irgendwie“, sage ich. Schon geht es raus auf den Platz. Es ist nochmal mehr besonders die Nationalhymne als Startzeitspielerin zu singen. So langsam schlägt die Nervosität in Vorfreude über. Eigentlich ist es doch wirklich schön sich jetzt Mal von Beginn an zu zeigen. Wir gehen definitiv als Favoriten ins Spiel. Zwar hat sich Neuseeland qualifiziert, aber sie gehören nicht zu den besten Teams. Ein Sieg ist eigentlich Pflicht. Mit genau dieser Einstellung starten wir ins Spiel.Sofort übernehmen wir die Kontrolle. ,,Lauf!“, ruft Sara und spielt einen langen Ball hinter die Abwehrkette der Neuseeländerinnen. Schon laufe ich völlig frei aufs Tor zu. Die Torhüterin kommt raus, aber ich kann sie geschickt umkurven und dann Ball uns leere Tor schieben. Nach nicht Mal zwei Minuten haben wir schon die Führung übernommen. Ich renne zu Sara und zeige auf sie. Ohne ihren Pass wäre das nicht möglich gewesen. ,,Schönes Tor!“, ruft sie. ,,Noch schönerer Pass“, erwidere ich. Es geht weiter und so langsam findet auch Neuseeland ins Spiel. Allerdings heißt das nicht, dass wir die Kontrolle über das Spielgeschehen verlieren. Neuseeland hat nur verstanden, wie wir spielen wollen. Neben dem Tor sind in der Anfangsphase direkt zwei weitere gute Torchancen entstanden, die Pia und ich aber liegen gelassen haben. Jetzt hat die Abwehr uns besser im Griff. Wir tun uns deutlich schwerer im Spiel nach vorne. Wir versuchen es weiter. Auch Neuseeland kommt mittlerweile zu eigenen Chancen. Nachdem Stina, die heute wirklich im Tor stehen darf, eine neuseeländische Flanke angefangen hat, spielt sie den Ball schnell nach vorne. Sjoeke leitet ihn weiter zu Pia auf dem Flügel. Ich bin mitgerannt und signalisiere, dass ich den Ball haben möchte. Pia spielt einen flachen Pass in den Strafraum und ich schließe direkt und völlig unbedrängt ab. Die Torhüterin bekommt gerade noch ihre Hand vor den Ball. Ich schlage die Hände über dem Kopf zusammen. Das war die riesen Chance auf das zweite Tor. Immerhin gibt es eine Ecke für uns. Nachdem der Ball geklärt werden konnte, landet er bei mir. Ich laufe ein Stück raus, aus dem Gedränge, so dass ich flanken kann. Sjoeke köpft den Ball ins Tor. ,,Kopfballungeheuer!“, rufe ich, während wir sie alle stürmisch umarmen. Da ist das 2:0.
In der zweiten Hälfte geht es munter weiter. Wir drängen Neuseeland immer weiter zurück und kreieren immer mehr Chancen. Die Verwertung dieser lässt allerdings noch zu wünschen übrig. Trotzdem ist unsere Führung recht sicher und Martina hat auch schon gewechselt. Mittlerweile ist auch Jule im Spiel. Mit einem schönen Doppelpass spiele ich sie im Strafraum frei und Jule schießt aufs Tor. Die Torhüterin ist zwar dran, aber kann den Ball nicht festhalten. So rollt er wieder nach vorne. Blitzschnell schiebe ich ihn ins Tor. Sofort falle ich Jule um den Hals. Das ist einfach schon mein zweites Tor in diesem Spiel. Womit habe ich das überhaupt verdient? Kurze Zeit später nimmt Martina mich raus. ,,Richtig gut gespielt. Das hast du echt toll gemacht“, sagt sie. ,,Danke“, erwidere ich und setze mich auf die Bank. Von dort aus beobachte ich wie Jule auch noch ihr Tor macht und dann ist unser 4:0 Sieg perfekt.
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Flowers need time to bloom
FanficEineinhalb Jahre später hat sich vieles für Lou verändert. Nachdem sie sich zurückgezogen hat und in aller Ruhe ihr Abitur gemacht hat, kommt sie wieder in die erste Mannschaft des VfL Wolfsburg und versucht einen Neustart. Rasant geht es aufwärts u...