Als ich aufwache, dämmert es gerade. Ganz leicht kommt bereits Licht durch die Schlitze unseres Rollladens. Ich nehme mit mein Handy, um auf die Uhr zu schauen. Es ist dreiviertel sechs. Unser Wecker klingelt erst um halb acht. Ich lege mich wieder hin, doch ich weiß genau, dass ich nicht mehr einschlafen kann. Ich bin viel zu nervös. Heute ist das wahrscheinlich wichtigste Spiel meiner Karriere, zumindest bisher. Leise, um Jule nicht zu wecken, stehe ich auf und ziehe mir einen Pulli über den Schlafanzug. Dann gehe ich auf den Balkon, wie schon so oft. Ungewollt ist das zu einem meiner wichtigsten Rituale vor großen Spielen geworden. Und das heute ist definitiv ein großes Spiel. Es ist immer noch das Olympische Finale. Heute Abend werde ich eine Olympische Medaille in den Händen halten. Ob es die silberne oder die goldene wird, haben wir selbst in der Hand. Es ist ein Traum der wahr wird. Wobei ich als Kind nie davon geträumt habe. Erst als ich die Silbermedaille von Becks zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich, dass ich das auch erleben will. Als Kind gab es diese Träume nicht. Ich wollte Fußball spielen. Also spielte ich bei den Jungs vom VfB Stuttgart. Ich wurde durch Zufall von ihnen bei meinem vorherigen Verein entdeckt. Wobei es da schon ein Wunder war, dass ich dort spielen durfte. Meine Adoptiveltern wollten mich ja nie lassen. Und plötzlich habe ich beim VfB gespielt. Es gab keine Mädchen Mannschaft, so dass ich mit Ausnahmegenehmigung auch in der B-Jugend noch bei den Jungs spielen durfte. Mittlerweile hat der VfB auch ein Frauenteam aufgebaut, aber für mich war das zu spät. Ich wurde von Wolfsburg entdeckt und durfte wechseln. Es war Schicksal, dass Feli und ich dadurch zueinander gefunden haben. Dann kam die U-20 Nominierung und die dazugehörige WM. Die WM, die mich kaputt gemacht hat und die so viel Zeit gebraucht hat, um mich wieder aufzubauen. Doch trotzdem will ich die gesamte Erfahrung des Turniers nicht missen. Ich habe trotz allem oder eigentlich genau deswegen so viel gelernt. Anderthalb Jahre später habe ich mein Comeback gegeben und dann ging alles los. Nominierung für die A-Nationalmannschaft, die Verletzung, das erneute Comeback, das Triple und jetzt Olympia. Ich bin in so kurzer Zeit von den Jungs zu den Frauen gekommen und dann noch so viel weiter. Aber ich weiß genau, dass ich hier hin gehöre. Ich habe nie nach Stuttgart gehört. Klar habe ich die Stadt und den Verein gemocht und ich mag ihn auch immer noch sehr gerne, aber ich bin eine Wolfsburgerin. Meine richtige Familie kam aus dieser Ecke und auch Feli und ich gehören einfach nach Wolfsburg. Und ich gehöre hier her, zur Natio. Es gab bestimmt viel Kritik über meine Nachnominierung, schließlich bin ich eine junge, unerfahrene Spielerin, die zu dem Zeitpunkt gerade Mal vier Länderspiele hatte. Doch es hat mich nicht interessiert. Ich gehöre hier her. Ich fühle mich hier wohl und ich bekomme das Vertrauen der Trainer. Das ist wohl das größte Zeichen, dass ich hier her gehöre.
,,Meditierst du wieder?“ Ich schreie kurz auf. ,,Musst du mich so erschrecken?“, frage ich lachend, während ich mich auf dem Boden zu einer Kugel zusammen rolle. ,,Sorry, immerhin sind wird jetzt beide wach“, grinst Jule. ,,Und ja, ich habe wieder meditiert“, antworte ich noch auf ihre Frage. ,,Sehr gut. Das heißt, dass du nachher grandios sein wirst. Du warst es immer, wenn du morgens meditiert hast.“ ,,Naja, das sehen wir nachher“, erwidere ich.
Auch heute ist der Tagesablauf wie immer. Natürlich ist es ein besonderes Spiel, aber man muss es durch andere Tagesabläufe nicht noch besonderer machen. So sind wir zwei Stunden vor dem Spiel auf dem Weg zum Stadion. Wieder spielen wir im Parc de Princes. So langsam wird das mein Lieblingsstadion. Außer dem in Wolfsburg natürlich. Es ist jetzt schon das dritte Mal, dass ich hier spielen darf. Vorausgesetzt natürlich ich werde eingewechselt, aber Martina hat das ja eigentlich schon angedeutet.Als wir den Platz zur Besichtigung betreten, spüre ich das Kribbeln im Bauch. So nervös ich bin, so sehr freue ich mich auch. Ich will einfach da raus und zeigen, dass wir das Beste Team der Welt sind. Wir spielen mit der gleichen Startelf wie in allen Spielen, bis auf dem gegen Neuseeland. Außer meiner Zerrung sind wir wirklich verletzungsfrei durch dieses anstrengende Turnier gekommen. Da hatten wir echt Glück. Wobei auch die USA gut durchgekommen sind. Es wird wirklich ein enges Spiel werden. Auch im letzten Spiel tape ich mein Handgelenk und schreibe ,,Tabs“ drauf. Ein letztes Mal spiele ich jetzt auch für sich und danach dürfen wir hoffentlich wieder zusammen spielen. ,,Kommt zusammen“, ruft Martina. ,,Es ist Finale. Ein letztes Mal gehen wir da jetzt raus und zeigen, wer wir sind. Wir haben Menschen begeistert. Menschen in Deutschland und Menschen in der ganzen Welt. Wir sind ein Team und wir können alles schaffen. Wir waren zweiter, wir waren Dritter und jetzt haben wir die Chance erster zu werden. Diese Chance wollen wir nutzen. Wir wollen dieses verdammten Titel haben. Die USA werden alles geben. Auch sie warten seit geraumer Zeit auf einen Titel. Sie haben das Gruppenspiel gegen uns verloren. Die wollen das besser machen als vor zwei Wochen. Aber wir haben etwas dagegen und wir können es verhindern. Wir spielen einen grandiosen Fußball. Wir feiern unsere Defensive. Wir haben eine Weltklasse Torhüterin. Wir haben ein Mittelfeld, dass unser Spiel kompakt hält und wir haben einen Angriff, der so viele Tore schießt und uns immer weiter jubeln lässt. Wir wollen auch heute wieder jubeln. Geht da raus, kämpft, lasst euer Herz auf dem Platz und holt euch dieses Olympia Sieg!“ ,,Auf geht’s!“, brüllt Svenni und wir stimmen mit ein, um uns ein finales Mal zu pushen.
Ein letztes Mal wird unsere Hymne gespielt und dann geht dieses Finale endlich los. Und von Beginn an geht es zur Sache. Es ist zweikampfbetont, schnell und voller Chancen. Beide Teams schenken sich in der Anfangsphase exakt nichts. Für unsere Nerven ist das überhaupt nicht wirklich förderlich. Aber da müssen wir jetzt durch. Martina gibt fleißig Anweisungen und plötzlich ist die Lücke da. Obi spielt den Pass in die Schnittstelle und Lea kann den Ball im Tor versenken. ,,Lea!!“, brüllt Klara und auch wir auf der Bank umarmen uns. Es könnte entscheidend sein. Aber vor allem ist es unser Führungstor. Dieses Tor kann uns niemand mehr nehmen und die USA geraten sofort unter Druck. Nur können sie damit gut umgehen. Es dauert nur zehn Minuten und dann gleicht Megan Rapinoe höchst persönlich aus. Es ist ärgerlich, aber ließ sich wohl nicht vermeiden. Mit dem Unentschieden geht es in die Halbzeitpause. Martina gibt kleine Korrekturen und macht uns dann nochmal richtig heiß. ,,Lou, es bleibt dabei, 60. Minute“, meint sie noch zu mir.Bis zu dieser 60. Minute passiert nicht wirklich viel. Dann geht der Wechsel von Statten. Ich komme für Lea. ,,Auf geht’s Lou!“, ruft sie mir zu und umarmt mich kurz. Mit einem Lächeln auf den Lippen renne ich auf den Rasen. Sara gibt direkt ein paar Anmerkungen an mich weiter. Eine halbe Stunde haben wir noch, um dieses Spiel ohne Verlängerung zu gewinnen. Mittlerweile haben wir die Kontrolle übernommen. Wir sind der Führung deutlich näher als die Amerikanerinnen, aber das muss nichts heißen. Ein Fehler von uns und alles kann vorbei sein. Die USA stehen weiterhin kompakt und lassen uns nicht durch. So arbeite auch ich viel nach hinten mit. Sara passt mir den Ball und durch eine Drehung will an der Abwehrspielerin vorbei, aber dann werde ich zu Fall gebracht. Der Pfiff der Schiedsrichterin ertönt. Zum Glück ist mir nichts passiert, aber den Freistoß nehmen wir natürlich gerne. Feli steht bereit. Die Entfernung zum Tor ist zu weit, um ihn direkt zu verwandeln. Feli wird einen Chipball in den Strafraum bringen. Die Schiedsrichterin gibt den Ball frei und Feli schießt. Als hätte sie es gewollt, landet der Ball genau auf meinem Kopf. Ich springe hoch und schaue sofort dem Ball nach. Dann zappelt er im Netz. ,,Ja!“, brülle ich und renne zu Feli. Ich könnte auch mit den anderen jubeln, aber Feli gehört ein sehr sehr großer Teil von diesem Tor. Sie kommt mit entgegen und wir springen uns in die Arme. Sowas nennt sich Telepathie zwischen Schwestern.
Doch wir dürfen uns nicht zu früh freuen. Es sind immer noch fünfzehn Minuten und die Nachspielzeit zu spielen. Doch anstatt den USA, die jetzt eigentlich auf den Ausgleich drücken müssten, machen wir weiter das Spiel. Die USA sind gebrochen. Sie versuchen es nochmal, doch wir sind einfach im Flow. Entweder wir fangen die Bälle schon vorher ab, oder Merle hält überragend. Schon bricht die 89. Minute an. Die USA machen immer mehr auf und so kann Feli einfach den Ball die Linke runter zu mir spielen. Ich lasse meine Gegenspielerin hinter mir und schicke dann eine Flanke in den Strafraum. Dort ist Sara mitgelaufen und schießt den Ball ins Tor. Das ist die Entscheidung. Noch bevor ich reagieren kann, rennt Sara in meine Richtung und springt auf meinen Rücken. Ich bin überhaupt nicht darauf gefasst und falle zu Boden. ,,Das ist es!“, ruft Sara. Die anderen, auch alle, die auf der Band sitzen, kommen zu und werfen sich auf uns drauf. Ich muss einfach nur lachen. Es ist durch. Natürlich könnte noch etwas passieren, aber zwei Tore in gerade Mal vier Minuten aufzuholen, ist nicht wirklich realistisch. Nach und nach lösen wir unseren Haufen wieder auf. Das Spiel ist ja noch nicht ganz vorbei. Drei Minuten Nachspielzeit werden angezeigt. Die USA versuchen noch etwas, aber alles ist nur halbherzig und schon ist der Ball wieder in unseren Reihen. Trotzdem ziehen sich die drei Minuten wie eine Ewigkeit. Dann pfeift die Schiedsrichterin endlich ab. Ich weiß gar nicht wohin mit mir. Zum Glück nehmen wir sowohl Feli als auch Jule das ab und umarmen mich mehr als stürmisch. Wie kleine Kinder hüpfen wir zusammen auf dem Rasen rum. Wir sind Olympiasiegerinnen. Das kann uns niemand mehr in diesem Leben nehmen. Ich bin Olympiasiegerin. Und Megan hat Recht. Das ist der Start von etwas ganz großem.
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Falls jemand Panik geschoben haben sollte, dass es wirklich vorbei ist, es gibt noch einen Epilog😌Und hat jemand Interesse an einer weiteren Fortsetzung bzw. einem dritten Teil?
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Flowers need time to bloom
FanfictionEineinhalb Jahre später hat sich vieles für Lou verändert. Nachdem sie sich zurückgezogen hat und in aller Ruhe ihr Abitur gemacht hat, kommt sie wieder in die erste Mannschaft des VfL Wolfsburg und versucht einen Neustart. Rasant geht es aufwärts u...