16 | Vertrauen

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Irgendwie fühle ich mich bei Jule sicher. Auch unsere Beziehung zueinander hat in dieser gewissen Zeit etwas gelitten, aber ich konnte immer auf sie zählen. Jule war immer für mich da. Und das verbindet uns jetzt noch mehr. Sie war für mich da als ich völlig am Ende war und dadurch kann ich ihr jetzt noch mehr vertrauen. Sie ist einfach besonders für mich. Und auch wenn ich eigentlich selbst wissen müsste, dass ich nicht auf die Medien hören darf, brauche ich es einfach, dass Jule mir das nochmal klar macht. Zusammen gehen wir wieder rein. Es dauert nicht mehr lange bis zum Mittagessen und heute Nachmittag steht auch noch unsere Spielanalyse an.

,,Alles gut?“, fragt Melly, als ich wieder in unser Zimmer komme. Ich muss es ihr erzählen. Ich kann sie nicht anlügen und ich weiß, dass ich Melly vertrauen kann. ,,Ich muss dir etwas erzählen“, sage ich und setze mich zu ihr aufs Bett. Und dann erzähle ich alles. Angefangen bei der U-20 WM bis hin zu meinem Comeback. Ich lasse kaum etwas aus, da ich weiß, dass sie mich verstehen wird. Auch Melly hatte ihre schweren Phasen. Sie kennt das und deswegen kann ich mich auch so öffnen. Bis auf die Menschen, die das alles miterlebt haben, habe ich es kaum jemand erzählt. Ich kann nicht wirklich darüber reden. Es ist immer noch so nah und vor allem etwas, dass ich nie wieder erleben möchte. ,,Das ist echt heftig“, meint sie, als ich fertig bin. ,,Wirklich, dass du als so junges Mädchen durch so etwas durchgehen musstest ist einfach krass. Das muss echt nicht leicht gewesen sein.“ ,,Das war es auch nicht. Ohne die richtigen Menschen hätte ich das nie aus diesem Loch heraus geschafft“, erwidere ich. ,,Du weißt, dass du dich immer an mich wenden kannst, wenn etwas ist. Wir kennen uns zwar noch nicht so lange, aber trotzdem kannst du immer zu mir kommen“, sagt Melly. ,,Danke dir. Ich hoffe Mal, ich werde darauf nicht zurückkommen müssen, aber Danke. Es tut immer gut zu wissen, dass jemand für einen da ist.“ ,,Da nicht für. Ich weiß, wie es sein kann, tief unten zu sein und das was tu erzählt hast, klingt einfach nur schlimm. Ich will nicht, dass du da nochmal reinfällst. Du bist so talentiert und kannst so viel erreichen, aber dafür darf so etwas nicht nochmal passieren.“ Ich hoffe, dass Melly Recht hat. Ich will nicht zurück, aber ich habe es selbst in der Hand.

Drei Tage später steht dann unser zweites Spiel gegen Lettland an. Wieder sind wir hier in Augsburg, was eine Menge Reisestress erspart. Zum heutigen Spiel wird sich Feli kommen. Darauf freue ich mich schon sehr. Irgendwie hat sie mir schon gefehlt in den letzten Tagen. Dass sie heute dabei ist, bedeutet mir unglaublich viel. Vor allem nachdem Martina wieder anklingen lassen hat, dass ich wieder ein paar Spielminuten bekommen werde. Mein Ziel für heute wird sein, Feli stolz zu machen. Ich will, dass sie auf der Tribüne sitzt, mir zuschaut und stolz auf das sein kann, was ich leiste. Ich will ein gutes Spiel machen, wenn ich eingewechselt werde. Lettland ist ein Gegner, der auch nicht ganz so stark einzuschätzen ist. Das zeigt sich auch von Beginn an. Nach nur einer Viertelstunde führen wir mit 3:0. Und genauso geht es weiter. Eigentlich ist es traurig, da es schöner wäre, wenn das Niveau europaweit hoch ist, aber irgendwie macht es ja schon Spaß den Mädels zuzuschauen. Zur Halbzeitpause steht es schon 6:0. ,,Lou, du wirst dann gleich zu Beginn der zweiten Hälfte kommen“, meint Martina. Bei so einem Vorsprung können wir natürlich beliebig früh anfangen zu wechseln und mehr Wert auf die Belastungssteuerung legen. Aber ich darf einfach ganze 45 Minute für die deutsche Nationalmannschaft spielen.

Mit Tabsi und Kathy, die auch zur Pause kommen werden, wärme ich mich in der Halbzeitpause intensiv auf. Das ist nötig, da wir davor fast nur auf der Bank saßen und uns bisher kam warm gemacht haben. Ich werde letztendlich wieder für Lea eingewechselt und darf somit wieder direkt vorne im Sturmzentrum spielen. Links von mir ist Jule und rechts Tabsi. Das kann ja nur gut werden. Und es beginnt auch gut. Lettland scheint auch nach der Pause mit unserer Spielweise überfordert, so dass Tabsi sich direkt auf ihrer rechten Seite durchsetzen kann. Von dort spielt sie einen flachen Pass in die Strafraummitte. Ich versuche mein Bein so lang wie möglich auszustrecken, aber ich komme nicht ran. Ich will schon auf den Boden schlagen und mich aufregen, aber dann sehe ich, dass Jule den Ball über die Linie drückt. Ich springe auf und umarme Jule. Sie konnte meinen Fehler gut ausbügeln. Und es geht munter weiter. Doch irgendwie habe ich noch kein Glück im Abschluss. Erst geht der Ball nur an den Pfosten, dann kullert er haarscharf vorbei und nun schieße ich auch noch komplett freistehen übers Tor. ,,Mach dich Mal frei von dem Druck“, ruft Jule mir zu. Ich nicke. Ich spüre es zwar nicht bewusst, aber trotzdem hat sie Recht. Unterbewusst ist da schon Druck. Ich will mich einfach beweisen. Und dann endlich schaffe ich es. In der Zwischenzeit sind zwei weitere Tore gefallen und dann endlich kann auch ich mein Tor erzielen. Nach einer Flanke von Jule köpfe ich sicher den Ball ins Netz. Endlich! Mein erstes Länderspieltor. Nachdem ich mit den Mädels abgeklatscht habe, zeige ich noch ein Herz in Feli’s Richtung. Natürlich weiß ich, wo sie sitzt. Mittlerweile führen wir mit 9:0 und es kommt noch besser. Nach einer Ecke treffe ich per Volley und erziele direkt mein zweites Tor. Ich springe Kathy, die neben mir steht, in die Arme. Ein Doppelpack in meinem zweiten Länderspiel. ,,Ganz stark Kleine“, ruft Kathy. ,,Stolz auf dich“, meint auch Melly, die mittlerweile eingewechselt wurde. Lange geht das Spiel nicht mehr, aber trotzdem können wir noch ein weiteres Tor erzielen. Auch ich habe nochmal die Möglichkeit dazu, aber wieder hat der Pfosten etwas dagegen. Gleich zweimal in einem Spiel ist dann schon irgendwie bitter. Dann ist Schluss. Das 11:0 reicht aber auch. Wobei man dazu sagen muss, dass es total viel Spaß macht so viele Torchancen herausspielen zu können und dann auch Tore erzielen zu können.

Ich sehe, dass Feli runter an die Bande gekommen ist und sofort laufe ich zu ihr. ,,Du hast großartig gespielt“, meint sie. ,,Danke dir, aber ich hätte schon noch mehr Tore erzielen können“, sage ich. ,,Vielleicht ja, aber trotzdem eine mega starke Leistung. Vergiss nicht, dass das erst dein zweites Länderspiel war.“ ,,Das stimmt. Das ist immer noch so surreal.“ ,,Soll ich dich kneifen?“, fragt Feli. ,,Wenn du willst“, erwidere ich. ,,Aua!“ ,,Du wolltest es so“, grinst sie. ,,Es hat aber nichts geholfen. Ich kann es immer noch nicht glauben“, sage ich. ,,Das wird auch noch etwas dauern bis du das alles verarbeiten kannst. Aber du musst wissen, ich bin wirklich extrem stolz auf dich Schwesterchen“, meint Feli und zieht mich in eine feste Umarmung.

Flowers need time to bloomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt