Ich sollte mir wirklich mehr Gedanken über meine Bilderauswahl machen. Oder Jule und ich machen unsere Beziehung Mal öffentlich. Aber das sollten wir definitiv nicht während der Spiele in Betracht ziehen. Daraus habe ich sehr gelernt. Bei einem Turnier liegt schon genug Aufmerksamkeit auf einem. Viele Gedanken über das alles kann ich mir allerdings auch nicht mehr machen. Schon fahren wir nach Nantes für unser erstes Spiel. Wir hatten noch eine sehr gute Trainingseinheit in Paris und heute steht dann noch das Abschlusstraining im Stadion in Nantes an. Auch die Analyse des Gegners ist absolviert. Wir wissen jetzt worauf wir uns einstellen müssen. Es wird nicht einfach werden, aber ganz ehrlich, einfach wäre doch langweilig. Ich habe es gestern im Interview eigentlich ganz treffend gesagt. Die USA haben den Umbruch verpasst und dann in diesem Jahr aber wirklich zugelegt. Im Gegensatz zu uns haben sie vor dem Turnierstart noch Testspiele bestritten und beide, wenn auch knapp, gegen Kanada und etwas deutlicher gegen Mexiko gewonnen. Die USA hat den Anschluss zur Weltspitze nie verloren und jetzt gezeigt, dass sie definitiv wieder voll da sind. Mehr als da sind. Es wird für uns direkt ein Topspiel zu Beginn werden.
In Nantes haben wir in einem kleinen Hotel unsere Unterkunft. Nach dem Abendessen finden wir uns nochmal zusammen in einem Aufenthaltsraum ein. Das Abschlusstraining war auch nochmal richtig gut und jetzt steht noch unsere Spieltagsbesprechung an. Meine Nervosität steigt mittlerweile immer mehr an. Ich werde einfach mein Land bei den Olympischen Spielen repräsentieren. Und das schon morgen. Zumindest wenn ich Spielzeit bekomme. Aber dazu sagt Martina jetzt wahrscheinlich etwas. ,,Morgen ist es soweit. Morgen starten wir in das Turnier. Für uns wird das wieder ein besonderes Turnier sein. Wir spielen mit den besten Teams der Kontinenten um einen Titel, den man für immer behält. 2016 haben wir das schon einmal geschafft. Svenni, Sara und Melly, ihr habt damals schon den Titel geholt. Ihr habt die Erfahrung schon einmal gemacht und dürft diese jetzt mit euren Teamkolleginnen noch einmal erleben. Egal, was passiert, ihr habt so viel geleistet. Und vergesst nicht, es sind nur zwölf Teams. Ihr habt trotz allem eine sehr realistische Chance ins Viertelfinale zu kommen, egal was passiert. Und außerdem haben wir unsere Waffen um die großen Nationen USA und Australien zu schlagen. Morgen warten erstmal die USA. Wie immer gebe ich euch heute die letzten wichtigen Informationen mit. Es läuft alles wie an jedem anderen Spieltag auch ab. Natürlich ist es etwas besonderes, aber wir wollen es nicht zu besonders machen, denn wir wollen euch nicht noch nervöser machen als sowieso schon. Ich weiß, dass ihr alle nervös seid. Bei den einen zeigt es sich jetzt schon sehr deutlich. Bei den anderen eher weniger. Ihr braucht aber keine Angst vor dem Spiel zu haben. Ihr dürft aufgeregt sein, vielleicht auch etwas nervös. Aber was sich auf keinen Fall untermischen soll, ist Angst. Denn die braucht ihr nicht zu haben, auch wenn ich euch jetzt die Aufstellung für morgen bekannt gebe. Sollte nichts dazwischen kommen, spielen wir morgen wie folgt. Merle du als unsere erste Torhüterin stehst auch morgen im Tor. In der Abwehr spielen wir mit einer Viererkette. Giulia (Gwinn) spielt rechts außen, Feli links und in der Innenverteidigung spielen Kathy und Marina (Hegering). Im Mittelfeld und Sturm haben wir dann wie immer unsere zwei Dreierketten. In der ersten im Mittelfeld spielen Obi, Melly und Sara. Vorne im Sturm haben wir Jule und Svenni auf den Flügeln und Lea im Sturmzentrum. Ihr anderen, Stina wir wollen dir gerne eine Einsatzzeit geben und haben da aktuell das dritte Spiel gegen Neuseeland im Auge. Läuft alles nach Plan, darfst du in diesem Spiel ran. Zudem haben wir sechs weitere Feldspielerinnen: Klara (Bühl), Pia, Sjoeke, Lina (Magull), Soffe (Sophia Kleinherne) und Lou. Es können nur fünf von euch spielen. Wir wollen uns jetzt nicht festlegen, wer morgen Spielzeit bekommt und wer nicht. Wir entscheiden je nach Spielverlauf, wen wir brauchen und wen nicht. Aber ganz wichtig, solltet ihr morgen nicht zum Einsatz kommen, dann auf jeden Fall im zweiten Spiel. Die Belastungssteuerung wird im weiteren Turnierverlauf noch sehr wichtig sein. Ihr werdet alle eure Spielzeit bekommen. Und jetzt entspannt euch, ruht euch aus und fokussiert euch auf morgen.“
Und schon geht es los. Wir spielen am Nachmittag, so dass wir nicht mehr viel Zeit hatten. Dafür in der Nacht umso mehr. Gefühlt habe ich kaum geschlafen. Zu viele Gedanken sind in meinem Kopf umher geschwirrt. Dazu kam der Fakt, dass ich die erste Nacht in einem anderen Bett nie besonders gut schlafe. Da hat es auch nicht mehr viel gebracht, dass ich mich an Jule kuscheln konnte. Irgendwie muss ich aber doch geschlafen haben, den so müde bin ich gar nicht. Vielleicht liegt das aber auch am Adrenalin, dass sofort nach dem Aufwachen durch meinen Körper geströmt ist. Ich bin schon den ganzen Tag total hibbelig. Aber jetzt, wo ich auf der Bank sitze und die Schiedsrichterin das Spiel anpfeift, werde ich ruhiger. Jetzt gilt es. Und dieses Gefühl, dass es genau jetzt zählt, lässt mich etwas ruhiger werden. Allerdings nur bis die ersten Minuten vorbei sind. Alle Kommentatoren würden diese Phase als Abtasten beschreiben und das ist sie auch. Bis zur sechsten Minute. Jule kann sich gegen ihre Gegenspielerin durchsetzen und wir dann aber am Trikot gehalten, so dass sie zu Boden geht. Der Pfiff der Schiedsrichterin bleibt aus. Neben mit springt Pia auf. ,,Das geht doch nicht!“, ruft sie. Auch auf dem Platz gibt es Proteste, aber die Schiedsrichterin bleibt bei ihrer Entscheidung. Allerdings stachelt und das jetzt nur noch mehr an. Mit Erfolgt. Nach einer Flanke von Svenni köpft Lea den Ball ins Tor. Da ist es. Da ist das erste Tor bei diesem Turnier. Auch wir auf der Bank fallen uns in die Arme. Auch wenn das keinesfalls eine Erlösung ist, ein bisschen Anspannung ist schon weg.Mehr passiert in der ersten Halbzeit nicht mehr. Mit dem 1:0 geht es in die Pause. Und danach geht es furios weiter. Erst erhöht Jule auf 2:0 und dann gibt es plötzlich Elfmeter für die USA. Die Schiedsrichterin hat ein Foul von Kathy im Strafraum erkannt, das wir aus unserer Perspektive allerdings nicht geben würden. Wir sind gerade hinter unserem Tor am aufwärmen und sehen die Situation daher genau. Sowas ist kein Elfmeter. Doch der Videoschiedsrichter schaltet sich nicht ein und schon haben die USA den Anschlusstreffer erzielt. ,,Lou!“, ruft Martina in unsere Richtung. Ich weiß, was das bedeutet. ,,Viel Spaß! Genieß es“, meint Sjoeke noch, dann gehe ich zurück zu unserer Bank. Martina erklärt mir, dass sie neuen Schwung in die Offensive bringen will, um schnellst möglich den Deckel drauf zu machen. Deswegen bringt sie mich rein, sagt sie zumindest. Ich bekomme knapp eine halbe Stunde Spielzeit. Plötzlich werde ich wieder nervös. Und als ich neben mich schaue, wird es nicht besser. Auch die USA wollen wechseln. Megan Rapinoe steht dort bereit, eine grandiose Fußballerin, die sich vor allem für ganz viele Dinge abseits des Platzes einsetzt. Viele würden sie mittlerweile für zu alt beschreiben, ich halte sie für genial. Mit 39 noch so ein Turnier mitzuspielen ist echt krass. Sie ist die einzige, der älteren Spielerinnen, die trotz des Umbruches noch in der Mannschaft ist. Und jetzt stehe ich neben mir. Noch gegensätzlicher könnte es nicht sein. ,,Du gibst gleich dein Debüt bei einem großen Turnier, oder?“, fragt sie mich auf Englisch. ,,Äh ja“, antworte ich. Das alles überfordert mich. ,,Na dann viel Erfolg dir“, sagt sie. Ich erwidere noch ein schnelles ,,Danke“ und dann können die Wechsel endlich durchgeführt werden. Schnell werfe ich einen Blick auf mein linkes Handgelenk. Ich habe ein Tape darum befestigt und ganz klein ,,Tabs“ darauf geschrieben. Ich will nicht, dass es jemand groß sieht und trotzdem will ich sie bei mir haben. Wie ich es versprochen habe. Dann kommt Lea angerannt. Ich umarme sie kurz und sprinte dann aufs Feld.
Es ist ein Auf und Ab was meine Nervosität angeht. Sobald ich den Ball das erste Mal am Fuß habe, ist sie wieder komplett weg. Jetzt ist einfach nur noch Freude da. Freude, dass ich hier spielen darf. Und die Freude wird noch größer. Je weiter das Spiel voran schreitet, desto mehr Druck üben wir aus. Zehn Minuten vor Schluss ist es dann soweit. Melly gewinnt den entscheidenden Zweikampf im Mittelfeld und spielt dann den perfekten Pass genau in die Schnittstelle. Im richtigen Moment setze ich zum Sprint an und kann dann den Ball ohne ins Abseits gelaufen zu sein annehmen. Jetzt ist der Weg frei. Ich werfe einen kurzen Blick auf die Torhüterin und schieße dann ins rechte untere Eck. ,,Jaaaa!“, rufe ich, küsse mein Handgelenk und zeige dann in die nächstbeste Kamera. Das Tor war für Tabsi. Jule ist als erste bei mir und hebt mich hoch. ,,Stolz!“, ruft sie. Feli schreit praktisch das gleiche. Wirklich viel mehr passiert in dem Spiel dann nicht mehr. Martinas Plan ging voll auf und ich durfte meinen Teil dazu beitragen. Nach dem Abpfiff sehe ich, wie Megan auf mich zu kommt. ,,Ich wusste, dass du so performen würdest“, meint sie. ,,Dankeschön!“ ,,Von dir wird noch ganz viel zusehen sein. Ich freu mich darauf. Du hast eine ganz große Zukunft.“ ,,Danke! Das freut mich echt von einer Person wie dir zu hören“, sage ich. ,,Viel Erfolg für den weiteren Turnierverlauf“, füge ich noch hinzu. ,,Danke! Euch auch. Wer weiß, wo man sich nochmal begegnet“, grinst sie.
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Flowers need time to bloom
FanfictionEineinhalb Jahre später hat sich vieles für Lou verändert. Nachdem sie sich zurückgezogen hat und in aller Ruhe ihr Abitur gemacht hat, kommt sie wieder in die erste Mannschaft des VfL Wolfsburg und versucht einen Neustart. Rasant geht es aufwärts u...