20 | Diagnose

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,,Lou? Alles okay?“, ruft jemand, den ich als Kathy identifizieren kann. Ich schüttelte den Kopf und bleibe weiter am Boden liegen, mein Knie umklammert. Irgendetwas ist da definitiv nicht in Ordnung. Es fühlt sich schrecklich an. Und vor allem, warum jetzt? Warum in diesem Spiel? Ich wollte, dass es das Spiel wird, was ich mir erhofft hatte. Ein Spiel, um endlich wirklich alles hinter mir lassen zu können. Und jetzt das! ,,Kannst du weiter machen?“, fragt Kathy und kniet sich neben mich. ,,Ich glaube nicht“, flüstere ich. Unsere Physios kommen aufs Feld, um mich zu behandeln. Jede Bewegung löst einen neuen Schmerzensstich aus. Meine Innenseite im Knie fühlt sich fast taub an und mittlerweile kommen mir schon die Tränen. Es tut so weh! Du das nicht nur vom Knie her. ,,Das wird nicht weiter gehen“, stellt einer der Physios fest. Ich nicke nur. Es ist vorbei. Das Spiel ist durch für mich und wahrscheinlich noch viel mehr. Kathy hilft mir hoch und stützet mich, so dass ich zum Spielfeldrand humpeln kann. Dort setze ich mich sofort wieder hin. Stehen ist gerade das schlimmste, was ich tun kann. ,,Das schaffst du“, meint Kathy und beugt sich zu mir nach unten, um mich umarmen zu können. Dann muss sie zurück aufs Spielfeld, denn das Spiel geht weiter. ,,Ich muss zu ihr“, höre ich eine sehr bekannte Stimme sagen. Es ist Feli. Sie muss von ihrem Platz hinter der Bank mit Zugang zum Feld runter gekommen sein und scheint mit Tommy zu reden. Unser Physio legt erstmal einen großen Eisbeutel auf mein Knie, bevor er weiter schaut, was Sache ist. Viel sagen kann er mir allerdings nicht. ,,Das wird man im Krankenhaus abchecken lassen müssen“, meint er. Ich nicke wieder. Es war sowieso klar. ,,Louisa, was machst du nur?“ Jetzt ist Feli endlich bei mir. ,,Ich weiß es nicht“, sage ich leise. ,,Wir würden dich sofort ins Krankenhaus bringen“, meint unser Physio. Wieder quittiere ich das mit einem Nicken. ,,Darf ich mitkommen?“, fragt Feli. ,,Wenn der Trainer das Okay gibt, dann ja“, antwortet er.

,,Alles wird gut“, sagt Feli und nimmt meine Hand. Mittlerweile sind wir wieder raus aus dem Krankenhaus und sitzen zu Hause auf dem Sofa. Noch ist nicht klar, was mit meinem Knie los ist. Das entscheidende MRT wird erst morgen gemacht. Auf dem ersten Blick konnte der Arzt bisher nur sagen, dass das Kreuzband unbeschädigt ist. Wahrscheinlich ist es ein Innenbandriss und im schlimmsten Fall ist auch der Innenmeniskus gerissen. Das wäre mein Alptraum. ,,Nichts wird gut“, schniefe ich. ,,Doch wird es. Du musst nur daran glauben“, meint Feli. ,,Mir fehlt gerade jeglicher Glaube.“ ,,Sag das bitte nicht. Louisa, das ist nicht das Ende der Welt“, entgegnet Feli. ,,Du hattest Recht. Ich hätte nicht spielen sollen“, sage ich. ,,Ach komm. Sowas kann man doch im Vorfeld nicht wissen. Ich habe deine Entscheidung zu spielen schon nachvollziehen können. Ich war nur nicht begeistert davon, weil ich mich um deine Gesundheit gesorgt habe. Das es jetzt so kommt, konnte niemand erahnen. Das ist jetzt passiert. Aber es wäre auch passiert, wenn du topfit in das Spiel gegangen wärst. Mach dir bitte keine Vorwürfe, dass du gespielt hast, obwohl es dir nicht gut ging.“ ,,Mache ich nicht.“ ,,Doch, das hast du gerade gemacht. Lou bitte, es ist nicht gut, wenn du dich jetzt schon so runter machst. Du weißt, wo das enden kann. Bitte warte morgen das MRT ab. Vielleicht ist es ja doch nicht so schlimm. Das vom Arzt war nur eine grobe Einschätzung. Das muss nicht immer genauso stimmen“, meint sie. ,,Ich mache mich nicht runter. Ich habe einfach nur Angst“, gestehe ich.

,,Du brauchst keine Angst zu haben Lou.“ ,,Doch. Was ist wenn das alles, was ich mir aufgebaut habe, jetzt wieder zusammenbricht. Ich habe so viel gekämpft, um wieder hier zu stehen und Teil der ersten Mannschaft von Wolfsburg zu sein. Ich habe so viele Probleme gehabt, aber nie aufgegeben und es geschafft zurückzukommen. Was ist, wenn das jetzt vorbei ist? Was ist wenn ich lange ausfalle? Ich weiß nicht, ob ich es nochmals schaffen könnte zurückzukommen“, erzähle ich und merke, dass schon wieder die Tränen laufen. ,,Sag sowas bitte nicht. Wenn es jemand schaffen kann, dann du. Du bist so unglaublich stark. Was du schon alles erleben musstest ist heftig und ich bewundere dich täglich dafür, dass du das alles überstanden hast und jetzt hier bist. Du kannst auch das schaffen. Und du weißt, dass du ganz viele Leute hast, die dich unterstützen. Du hast mich und Pia hier in der WG. Du hast Jule, Sjoeke und Melly. Du hast Becks, Kathy, Pauli, Tabsi, Svenni und auch die gesamte Wolfsburger Mannschaft samt Trainerteam und Eva. Du bist nicht alleine Lou. Wir sind alle gut dich da, egal was passiert“, sagt Feli. Jetzt muss ich noch mehr weinen. Sie hat Recht. Ich bin nicht alleine. Ich habe so tolle Menschen um mich, denen ich schon so viel verdanke. Aber trotzdem lässt mich das Gefühl verloren zu sein nicht los. ,,Die Mädels haben übrigens gewonnen“, wechselt Feli das Thema. Bisher haben wir uns noch gar nicht mit dem Ergebnis des Spiels befasst, aber das ist doch zumindest noch etwas schönes. ,,Wie ging’s aus?“, frage ich. ,,2:1. Melly hat kurz nachdem wir das Stadion verlassen hatten noch das 1:1 erzielt und Svenni hat dann noch unseren Siegtreffer gemacht“, erzählt Feli. ,,Das klingt doch gut“, sage ich, wische mir die Tränen weg und schaffe es zumindest ganz leicht zu lächeln. Immerhin konnte ich noch ein Tor erzielen. Das sollte mich eigentlich positiv stimmen, aber das tut es nicht. Es könnte das letzte Tor seit langem sein. Schon rollt mir wieder eine Träne über die Wange. ,,Ach Lou, komm her“, meint Feli und breitet die Arme aus. Ich rutsche vorsichtig ein Stück rüber und kuschele mich an sie.

Am nächsten Morgen finde ich mich auf dem Sofa wieder. Ich muss wohl in Feli’s Armen eingeschlafen sein. ,,Du bist wach“, stellt diese fest. Langsam richte ich mich auf und sehe sie am Esszimmertisch sitzen. ,,Kannst du alleine aufstehen?“, fragt sie. Ich schüttele sofort den Kopf. Der Schmerz in meinem Knie ist kein Fünkchen besser geworden. Mit Feli’s Hilfe gehe ich auch rüber zum Tisch. ,,Was willst du frühstücken?“ ,,Nichts“, antworte ich. ,,Du musst etwas essen“, erwidert Feli. ,,Dann mach mir ein Müsli“, seufze ich. Während ich esse, kommt auch Pia zu uns. ,,Guten Morgen Lou“, begrüßt sie mich. ,,Morgen“, sage ich nur. Gut ist er schließlich nicht. Pia erzählt noch von dem Spiel gestern und dann müssen wir uns auch schon fertig machen, um wieder ins Krankenhaus zu fahren. Feli kommt natürlich mit. Die zwanzig Minuten in der Röhre sind schlimm. Ich bin alleine und habe absolut keine Ablenkung. Meine Gedanken kreisen um die schlimmsten Situationen. Als Fußballerin kennt man sich mit den diversen Verletzungen auch. Es trifft immer Mal wieder jemanden und jetzt trifft es mich. Das schlimmste wäre wohl ein Meniskusriss. Zumindest nachdem, was der Arzt gestern noch gemeint hat. Das Innenband ist wohl sowieso gerissen, aber wenn der Meniskus auch noch durch ist, kann ich die Saison in die Tonne kippen. Dann würde wirklich gar nichts mehr gehen bis Mai oder so.

Endlich ist das MRT fertig gemacht. Ich werde zurück zu Feli in ein Behandlungszimmer gebracht und warte dann auf den Arzt. ,,Ja Frau Rauch, das sieht nicht so gut aus“, meint er, sobald er ins Zimmer kommt. Feli legt sofort einen Arm um mich. ,,Ihr Innenband ist wie erwartet durchgerissen und zusätzlich ist ihr Meniskus auch noch angerissen.“

Flowers need time to bloomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt