,,Sag Mal, kann es sein, dass ihr ein Paar seid?“ Ich drehe mich zu Jule und sie sich zu mir. In ihren Augen sehr ich Panik. ,,Bleib ruhig“, flüstere ich zu ihr. ,,Ja, das sind wir“, sagt Jule dann. Immerhin ihre Stimme klingt einigermaßen fest. Auch wenn ich weiß, dass es in ihrem inneren nicht so ist. ,,Dachte ich mir schon“, meint ihre Stiefmutter mit abschätziger Stimme. ,,Hast du ein Problem damit?“ Es ist offensichtlich, dass das der Fall ist, aber trotzdem ist es gut, dass Jule gefragt habe. Wenn ich eins im Umgang mit Homosexualität gelernt habe, dann dass man offen darüber reden und sachlich erklären soll. ,,Ich akzeptiere das nicht“, sagt ihre Stiefmutter trocken. ,,Warum?“, frage ich. Eigentlich hatte ich mir gerade noch vorgenommen mich etwas rauszuhalten und Jule vor allem mit meiner Anwesenheit unterstützen, aber ich kann nicht. Ich habe von Mitspielerinnen schon gehört, dass sie so etwas erleben mussten und ich kann das Gefühl nicht ertragen jetzt auch in so einer Situation zu sein. Zwar sind es nicht meine Eltern, aber die Eltern meiner Freundin und das ist genauso schlimm. Ich will das nicht erleben müssen. ,,Es gibt keine Liebe zwischen zwei Frauen. Die Liebe ist für Männer und Frauen miteinander da, aber nicht untereinander“, versucht sich Jules Stiefmutter zu erklären. ,,Mama ernsthaft? Da hat sich die Zeit mittlerweile aber sehr geändert. Schau dir Mal verschiedene Spielerinnen an, die eine Freundin haben. Auch bei Hoffenheim gibt es welche und die behandelst du auch ganz normal“, widerspricht ihr Jule. ,,Da weiß ich es ja nicht. Das ist ja dann egal. Aber gerade bei meiner Tochter akzeptiere ich das nicht. Liebe gibt es zwischen Mann und Frau und nicht zwischen zwei Frauen. Ihr seid höchstens extrem gut befreundet. Mehr kann es da nicht geben.“ ,,Doch, ein Beispiel sitzt eben hier gerade direkt vor dir. Wir sind ein Paar und stolz darauf. Und es gibt so viele weitere, auch sehr berühmte Paare, die aus zwei Frauen bestehen. Sowas sollte ganz normal sein.“ Ich bemühe mich wirklich, dass meine Stimme ruhig bleibt, aber ich kann es nur schwer kontrollieren. So etwas macht mich einfach total wütend und trotzdem muss man sachlich und ruhig bleiben. Das ist ja eigentlich das wichtigste, aber es ist so verdammt schwer.
,,Was würdest du tun, wenn wir uns jetzt küssen würden?“, fragt Jule. ,,Ich würde wegschauen. Ich will ja meine Tochter nicht als eklig bezeichnen, aber so in die Richtung geht das schon.“ ,,Ist das dein Ernst?“ ,,Das ist mein voller Ernst. Du hast ja schon gehört, was ich dazu zu sagen haben. Lass uns essen“, meint ihre Stiefmutter. Stumm nehme ich mir eine Scheibe Brot und Käse dazu. Bevor ich anfange zu essen, stehe ich auf. ,,Ich gehe noch schnell aufs Klo“, sage ich und gebe Jule ein Zeichen, dass sie mir folgen soll. Kurz nachdem ich das Esszimmer verlassen habe, kommt auch Jule raus in den Flur. ,,Wir sollten nicht zu lange wegbleiben und ich weiß auch nicht, was wir hier bereden können, aber alles wird gut. Wenn wir zu Hause sind, können wir in Ruhe reden und du kannst alles rauslassen“, sage ich. Jule nickt nur. Ich nehme sie in den Arm. Sie braucht es gerade einfach. Das ist normal und ich bin so gerne die Person, die ihr diesen Halt gibt. Wir kehren zurück ins Esszimmertisch und essen zusammen mit Jules Eltern. Die Stimmung ist angespannt. Jules Vater hat sich zwar ziemlich aus der Diskussion rausgehalten, aber trotzdem merkt man ihm an, dass auch er mit den Neuigkeiten nicht klar kommt. Kaum jemand spricht ein Wort. Ich sehe, dass Jule phasenweise mit den Tränen kämpft, aber sie schwappen nicht über. Die Hand, mit der ich nicht esse, ist fest um ihre Hand gelegt.
,,Bis zum nächsten Mal“, verabschieden wir uns noch, dann verlassen wir die Wohnung. Wir wollten beide so schnell wie möglich weg. Schon auf dem Weg zum Auto laufen bei Jule die ersten Tränen über die Wangen. ,,Gib mir deinen Autoschlüssel“, fordere ich sie auf. Es wird besser sein, wenn ich fahre. Zu Hause lässt sich Jule völlig erschöpft aufs Sofa sinken. Ich hole uns noch schnell etwas zu trinken, dann kuschele ich mich zu ihr. ,,Warum sind sie so?“, fragt Jule schließlich. Ich weiß, dass die Frage rhetorisch gemeint ist, aber ich könnte sie nicht Mal beantworten und außerdem kann man kaum etwas anderes zu der Situation sagen. Wir leben im Jahr 2023. Warum gibt es immer noch Menschen, die so negativ über Homosexualität denken? Das macht mich einfach wütend und traurig. Es ist schlimm und noch viel schlimmer ist es, wenn diese Personen im direkten Umfeld sind. ,,Was denkst du gerade?“, flüstere ich. Irgendwie traue ich mich nicht laut zu sprechen. ,,Ich weiß es ist. Ich wütend, verletzt und auch traurig. Warum müssen es genau meine Eltern sein, die das nicht akzeptieren? Warum können sie sich nicht für ihre Tochter freuen, dass sie endlich die Liebe gefunden hat? Warum müssen sie sich da so würde stellen? Das ist doch nicht fair.“ ,,Nein, das ist nicht fair. Das ist einfach schrecklich. So dumm es manchmal klingt, Love is love. Es gibt nicht nur die Liebe zwischen Mann und Frau. Es gibt viel viel mehr und dass man das nicht anerkennen kann, ist einfach schlimm. Ich mein, die Zeit hat sich geändert. Es ist alles mehr akzeptiert und trotzdem gibt es immer noch Menschen, die es einfach nicht checken“, sage ich. ,,Ja und das schlimmste ist, wenn es die eigenen Eltern sind. Das kann doch nicht sein. Ich mein, ich glaube nicht, dass wir die besten Schauspielerinnen sind. Die müssen den Tag über doch gesehen haben, dass da etwas zwischen uns ist und vor allem das wir glücklich sind mit sind. Und man sagt ja immer, dass die Eltern wollen, dass ihre Kinder glücklich sind. Das bin ich und warum sehen sie das dann nicht?“, schluchzt Jule. Ich drücke Jule noch stärker an mich, um ihr den Trost zu geben, den sie braucht. Ich will sie nicht so sehen müssen. ,,Vielleicht war es für deine Eltern nur ein kleiner Schock. Vielleicht erholen sie sich ja davon und es wird alles gut“, versuche ich sie aufzumuntern. ,,Ich weiß es nicht. Es kann sein, aber ich kann sie gerade gar nicht einschätzen. Aber jetzt ist jedenfalls klar, dass ich an Silvester mit zu dir komme. Bei meinen Eltern will ich jetzt ganz sicher nicht sein“, meint Jule. ,,Das glaube ich. Ich find’s toll Silvester dann mit dir zu verbringen, aber andere Beweggründe wären mir definitiv lieber gewesen.“ Jule nickt und gähnt. ,,Bist du müde?“, frage ich. ,,Ein bisschen. Lass uns noch einen Film schauen. Es ist noch zu früh um ins Bett zu gehen.“
Ich liege noch nicht lange in meinem Bett, als es leise klopft. Dann wird die Türklinke von Jule runtergedrückt. ,,Darf ich zu dir kommen? Ich will nicht alleine sein“, fragt sie leise. ,,Ja klar, komm her“, sage ich und schlage meine Decke zurück. Jule legt sich neben mich und sofort schlinge ich meine Arme um sie. Jule streichelt mir über meinen Rücken. Ein Schauer fährt über meinen Rücken. Ich überwinde die letzten Millimeter zwischen uns und küsse sie. Jule krallt sich an meinen Haaren fest, während sie ihre Lippen auf meine drückt. ,,Ich liebe dich“, flüstert sie mit etwas rauer Stimme. ,,Ich liebe dich auch.“
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Flowers need time to bloom
FanfictionEineinhalb Jahre später hat sich vieles für Lou verändert. Nachdem sie sich zurückgezogen hat und in aller Ruhe ihr Abitur gemacht hat, kommt sie wieder in die erste Mannschaft des VfL Wolfsburg und versucht einen Neustart. Rasant geht es aufwärts u...