Es geht bei so einem Turnier wirklich Schlag auf Schlag. Nur drei Tage liegen zwischen den Spielen, so dass wir einen Tag nach dem ZDF Interview schon weiter nach Lyon reisen. Dort findet unser Viertelfinale gegen Großbritannien statt. Würden wir weiter kommen, wäre dann auch unser Halbfinale dort. Aber das ist Zukunftsmusik. Erstmal sollten wir Großbritannien schlagen. Da die Spiele anstrengend und die Zeit zum regenerieren kurz ist, stört es mich nicht Mal, dass es die erste Nacht in einem neuen Bett ist. Ich schlafe trotzdem wie ein Stein. Erst als unser Wecker uns mit dem Song House of Memories weckt, wache ich auf. Sofort spüre ich etwas wie Anspannung. Großbritannien ist wirklich kein Gegner, gegen den man spielen will. Schon gar nicht in einem Viertelfinale. Aber wir können sie schlagen. Noch im April haben wir das bewiesen. Und jetzt müssen wir das erneut tun. ,,Guten Morgen“, sagt Jule und schaltet den Wecker aus. ,,Morgen“, erwidere ich und kuschele mich an sie. Mittlerweile stellen wir unseren Wecker immer ein paar Minuten früher, um noch genügend Zeit zum kuscheln zu haben. Es ist wie ein Ritual geworden und gibt mir ungemein Sicherheit. Jule auch. ,,Wir rocken das heute“, flüstere ich. ,,Oh ja, wir rocken das. Aber trotzdem bin ich nervös.“ ,,Ich auch. Das ist ja normal. Aber Jule, du wirst großartig sein.“ Schließlich müssen wir doch aufstehen.
Zusammen gehen wir ins Bad und machen uns fertig. Wie immer ziehe ich mir eine kurze DFB Hose und unseren Pulli darüber an. Jule tut es mir gleich. Dann gehen wir in unseren Frühstücksraum. Überraschenderweise sind wir eine der ersten. Das war die letzten Tage nicht so. Ich nehme mir Porridge und dazu noch Obst. Das gibt direkt Mal einiges an Kohlenhydraten für den Tag. Nach und nach trudeln auch die restlichen Mädels ein. Feli und Svenni setzen sich zu uns an den Tisch. Immerhin reden wir über ganz belanglose Dinge. Ich bin nervöserer als ich zugeben möchte. Im Viertelfinale rauszufliegen ist mit das Schlimmste. Das Halbfinale und damit die direkte Chance auf eine Medaille ist so knapp entfernt und man scheitert daran. Dann ist jede Chance, die so nah war, einfach weg. Und Großbritannien ist mit den ganzen Engländerinnen als Vizeweltmeister wohl der schwerste Gegner, den wir hätten bekommen können, Platz zwei in ihrer Gruppe hin oder her. ,,Lou, bist du auch noch unter uns?“, werde ich aus meinen Gedanken gerissen. ,,Äh ja klar.“ ,,Mach dir nicht zu viele Gedanken. Ich weiß genau, worüber du nachdenkst“, meint Feli. Das ist dann der Nachteil, wenn man sich einfach zu gut kennt. Man weiß immer, wo die Gedanken sind.
Es ist der gleiche Ablauf wie immer. Aktivierung, Mittagessen, Mittagsruhe, Fahrt zum Stadion. Genau da sind wir gerade angekommen. Mit meinen Kopfhörern auf gehe ich aus dem Bus. Ich bin in meinem Tunnel, wie immer vor dem Spiel. Meine Musik hilft mir dabei ungemein. Wir besichtigen den Platz, der wirklich gut aussieht. Das Stadion in Lyon ist auch ein echt großes und vor allem gutes Stadion. Die Mädels von Wolfsburg haben hier schon zwei-, dreimal gegen Olympique Lyon spielen dürfen und haben immer wieder begeistert davon berichtet. Jetzt darf ich hier hoffentlich auch endlich Mal spielen. In der Champions League konnten wir Lyon dieses Jahr ja umgehen. Dafür dürfen wir jetzt bei Olympia hier spielen. ,,Was sagst du zum Stadion?“, fragt Pia, als wir zurück in die Kabine gehen. ,,Sieht echt cool aus. Wenn da nachher ein paar Leute da werden, dann kann das echt schön werden. Voraussetzt das Ergebnis stimmt am Ende“, erwidere ich. ,,Tja, das haben wir selbst in der Hand.“ Sie hat natürlich Recht. Wir wärmen uns auf und dann lege ich wie immer noch das Tape für Tabsi an. Schon geht es raus aus der Kabine. Zusammen mit der restlichen Bank stehe ich da, singe selbst die Hymne mit und beobachte die Startelfspielerinnen wie sie die Hymne singen. Gerade bei Jule sehe ich, wie nervös sie ist. Nach der Hymne bilden wir nochmal unseren Teamkreis. ,,Ihr wisst, was wir besprochen haben. Und ihr wisst, wie stark ihr seid. Spielt genauso wie bisher und ihr rockt das. Konzentriert euch auf eure Aufgaben! Auf geht’s!“, ruft Martina. Die Startelfspielerinnen klatschen sich alle nochmal ab und ich umarme Jule nochmal kurz. Ich merke, dass sie es braucht.Dann pfeift die Schiedsrichterin an. Es ist die erwartet enge Begegnung. Vor allem von der Bank aus ist es schwer zuzuschauen. Es geht von Anfang an hin und her. Schon früh gibt es einige Chancen auf beiden Seiten. Allerdings sind diese noch nicht so, dass daraus zwingend Tore entstehen müssen. Mein besonderes Augenmerk liegt natürlich bei Jule. Irgendwie kommt sie noch nicht ganz in ihr Spiel. Normal lebt sie von ihren Dribblings, aber mit Lucy Bronze haben die Britinnen eine ganz starke Außenverteidigerin, die ihr diese Möglichkeit nicht gibt und ständig bei ihr ist. Und dann endlich hat sie ihren Moment. Jule ist eine, die es immer wieder versucht mit ihrer Schnelligkeit durch zu kommen und irgendwann gelingt es immer. Ihre Gegenspielerin ist einen Moment unaufmerksam und schon ist Jule vorbei und sendet eine Flanke in den Strafraum. Von rechts läuft Svenni ein und schiebt den Ball ins Tor. Ich springe auf und falle Sjoeke und Pia in den Arm. Es ist bereits mehr als eine halbe Stunde vergangen und jetzt dieses Führungstor erzielt zu haben, lässt einiges an Anspannung abfallen. Doch nur für kurze Zeit. Noch vor der Pause gelingt Großbritannien der Ausgleich. Es ist total unnötig und ärgerlich, aber so ist der Sport. Trotzdem zeigt sich Martina in der Pause zufrieden mit unserer Leistung. ,,Ihr müsst weiter konzentriert bleiben“, betont sie. ,,Spielt kreativ und nutzt die Standards.“
Mit der Einstellung gehen wir wieder raus auf den Platz. Während wir uns hinter unserem Tor langsam immer mehr warm machen, beobachten wir das Spielgeschehen weiterhin. Mittlerweile übernehmen die Mädels immer mehr die Kontrolle und drücken auf den erneuten Führungstreffer. Von hier hinten sehen wir aber weniger, was genau vorne passiert. Was wir allerdings sehen, ist wie Jule plötzlich gelegt wird. Sie war Mal wieder auf dem Durchmarsch in Richtung Tor, diesmal auf der rechten Seite, und wird dann sehr grob zu Fall gebracht. Ich bleibe sofort stehen und schlage die Hände vorm Mund zusammen. Das sag nicht gut aus. Zum Glück steht sie schnell wieder auf. Aber zurecht gibt es gelb für due Britin und den Freistoß für uns. Das ist jetzt eine Aufgabe für Feli. Noch bevor sie den Freistoß aufführt, winkt Martina mich zu ihr. Während ich rüber laufe, darf Feli endlich schießen. Es ist einfach eine wunderschöne Technik, die sie besitzt und so zirkelt sie den Ball oben ins rechte Eck. Ich springe hoch und renne dann vollends rüber zu unserer Bank. Da ist die Führung wieder. ,,Alles okay mit Jule?“, erkundige ich mich, nachdem wir kurz das Tor gefeiert haben. ,,Ja, aber sie hat davor schon etwas müde gewirkt. Wir wollen nichts riskieren und spätestens in zehn Minuten wärst du eh reingekommen“, erklärt Martina. Ich nicke. ,,Eine frühe Entscheidung wär top, aber du weißt ja selbst, wie gerne du Tore schießt.“ Wieder nicke ich. Dann wird der Wechsel vollzogen. ,,Auf geht’s!“, meint Jule noch, als wir uns kurz umarmen.
Fünfundzwanzig Minuten sind noch zu gehen. Wie es fast immer ändert unser Tor das Spielgeschehen. Die Britinnen erkämpfen sich wieder mehr Spielanteile, aber wir lassen uns nicht hinten rein drücken. Das ist zum einen nicht unsere Spielweise und zum anderen ist das nichts, was auf Dauer funktioniert. So spielen auch wir weiter nach vorne. Meistens sind es aber doch eher Kontersituationen und so auch jetzt. Sara steckt den Ball zu mir durch und ich gehe ins Duell mit Leah Williamson. Für meinen Geschmack muss ich aktuell viel zu oft gegen sie spielen. Ganz ärgerlich verliere ich diesen Zweikampf und noch dazu kommt der grandiose Pass von ihr nach vorne. Schneller als ich nach hinten sprinten kann, zappelte der Ball im Netz. Ich stoppe ab und gehe kurz in die Knie. Das war mein Fehler. Ich hätte diesen Zweikampf einfach nur gewinnen müssen. Ich hätte mich einfach nur gegen sie durchsetzen müssen. Aber ich habe es nicht und dann kam dieses Gegentor, ausgehend von meinem Fehler. Lea klopft mir kurz auf den Rücken und dann geht es weiter. Wir liegen ja noch nicht hinten. Es ist erst nur ein Gleichstand. Und trotzdem ist das Spiel wieder ganz offen. Jetzt kann ein weiterer Fehler entscheidend sein. Doch wir kommen nicht durch. Die britische Abwehrkette steht und es ist kein Durchkommen. Jedoch steht unsere Kette genauso sicher und obwohl wir so viel arbeiten, sieht es wahrscheinlich so aus, als würde nichts passieren. Schon bricht die 90. Minute an. Durch ein Zusammenspiel mit Sara habe ich endlich Mal Platz auf meiner linken Seite. Doch schon kommt Leah Williamson angerannt, so dass ich ganz schnell eine Flanke in den Strafraum schicke. Während ich schieße, spüre ich einen Schmerz durch meinen Oberschenkel schießen. Nur drei Sekunden später sehe ich den Ball im Tor. ,,Jaaaaa!“, brülle ich und Lea rennt schon auf mich zu. Ich falle ihr in den Arm, doch mein Oberschenkel schmerzt weiter. Egal, es sind nur noch drei Minuten Nachspielzeit. Und diese überstehen wir auch noch irgendwie. Natürlich versuchten die Britinnen nochmal alles, aber es reicht nicht.
Dann ertönt der Schlusspfiff. Wir sind im Halbfinale! ,,Ganz stark Kleine!“, ruft Feli und hebt mich hoch. ,,Du aber auch, du Freistoßkönigin!“, grinse ich. So glücklich ich gerade bin, das Gefühl, dass mit meinem Oberschenkel etwas nicht ganz in Ordnung ist, wird immer stärker. Schnell gehen ich zu Annette, unserer Physiotherapeutin. ,,Kannst du nachher Mal meinen Oberschenkel durchchecken?“, frage ich. ,,Klar, was ist denn passiert?“ ,,Mir ist es bei meiner Flanke zum Tor gerade einmal ziemlich reingefahren“, sage ich. ,,Oh, das klingt aber nicht sehr gut.“
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Flowers need time to bloom
FanficEineinhalb Jahre später hat sich vieles für Lou verändert. Nachdem sie sich zurückgezogen hat und in aller Ruhe ihr Abitur gemacht hat, kommt sie wieder in die erste Mannschaft des VfL Wolfsburg und versucht einen Neustart. Rasant geht es aufwärts u...