31 | Zusammen

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Wirklich abschätzen, ob Jule es gesehen hat oder nicht, kann ich nicht. Sie verhält sich wie immer. Wir schreiben zwar mehr als noch in den Wochen zuvor, aber irgendwie ist da wieder dieses komische Gefühl. Nachdem wir wieder zurück in Wolfsburg sind, geht natürlich auch sofort meine Reha weiter. Mittlerweile ist auch Becks am Start. Damit ist es zumindest vom Kopf her wieder einfacher. Aber auch mit dem Knie geht es wirklich voran. In den folgenden Tagen habe ich keinerlei Beschwerden. Ich kann alles machen, was Lina mir anordnet und auch mit Becks zusammen macht es viel mehr Spaß. Wir haben uns ja schon immer sehr gut verstanden, aber jetzt, da wir ab nun den Weg zum Comeback gemeinsam gehen werden, wachsen wir irgendwie noch mehr zusammen. ,,Das war sehr gut heute“, meint Becks, als wir zurück in der Kabine sind. ,,Oh ja definitiv. So macht das alles auch wieder Spaß“, stimme ich ihr zu. ,,Wenn das so weiter geht, dürfen wir nächste Woche schon aufs Laufband.“ Da Becks extrem Glück mit ihrer Verletzung hatte, sind wir ungefähr auf dem gleichen Stand. Bei ihr hätte das alles noch viel schlimmer enden können, aber so war sie nur zu einer ganz kurzen kompletten Pause gezwungen und ist jetzt eben ähnlich weit wie ich. Wenn es bei uns beiden jetzt nach Plan läuft, dürfen wir wahrscheinlich zur gleichen Zeit zurück auf den Platz. Das wäre mega. Aber trotzdem, bis März dauert es noch eine ganze Weile.

Gut eine Woche nach dem Länderspiel später kommt dann Jule. Es ist ein Mittwoch und Becks und ich haben schon in aller Herrgottsfrühe unsere Reha Einheit. Heute durfte auch ich endlich aufs Laufband. Bei Becks war das schon gestern der Fall und so war die Vorfreude, dass ich es heute auch darf noch größer. Es fühlt sich gut an zu wissen, dass es ein weiterer Schritt in die richtige Richtung ist. Und vor allem war ich während den zehn Minuten, die ich laufen durfte, komplett schmerzfrei. Das ist noch ein Pulspunkt. Das einzige, was mir in Sachen Knie noch etwas Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass ich nicht weiß, ob ich über diesen inkonstanten Punkt hinweg bin. Was ist wenn es nächste Woche wieder gar nicht läuft? Doch ich habe nicht länger Zeit mich damit zu beschäftigen. Lina hat mir jetzt auch das Go gegeben wieder normal Fahrrad fahren zu dürfen, so dass ich nach der Einheit schnell nach Hause radele. Dort springe ich schnell unter die Dusche und mache mich dann fertig. Jule hat sich auf elf angekündigt. Was ziehe ich nur an? Und war stelle ich mir die Frage überhaupt? Es ist nur Jule. Es ist doch alles normal. Also hoffe ich zumindest. Letztendlich läuft es wie fast immer auf eine Jeans und unseren Trainingspulli heraus. Im Herbst und Winter trage ich das quasi immer. ,,Alles wird gut“, meint Feli. Eventuell laufe ich ziemlich nervös durch die Wohnung. ,,Was ist, wenn sie die Beiträge der ganzen Fanseiten gelesen hat?“, frage ich. ,,Dann erklärst du ihr das einfach. Sie kennt doch Melly. Sie wird das verstehen.“ ,,Und wenn nicht?“, hake ich nach. ,,Dann werdet ihr eine Lösung finden.“ Ich nicke leicht. Es wird schon gut gehen.

Um kurz nach elf klingelt es. Ich habe Schuhe und Jacke schon an, so dass ich mir nur meine Tasche schnappen muss. Dann verlasse ich die Wohnung und renne die Treppen runter. Kurz bevor ich die Haustür öffne, atme ich nochmal kurz durch. Alles wird gut. ,,Hey“, begrüße ich Jule und nehme sie in den Arm. Ein vertrauter Duft umkommt mich und ich muss unwillkürlich lächeln. ,,Salut“, erwidert Jule. ,,Wie geht’s dir?“, frage ich. ,,Soweit so gut. Ich zwar schon seit halb fünf wach, aber ansonsten passt’s. Und dir?“ ,,Mir auch. Ich hatte schon eine Session im Kraftraum“, erzähle ich. Zusammen machen wir uns auf den Weg in Richtung Autostadt. Das Wetter ist einigermaßen gut, zumindest regnet es nicht, und so wollen wir dort etwas Essen gehen und vor allem alleine sein. Was auch immer wir besprechen werden, ich will nicht, dass Feli und Pia alles mitbekommen. ,,Darf ich fragen, weshalb du hier in Wolfsburg bist? Also außer mir natürlich“, erkundige ich mich. ,,Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was ich wem sagen darf. Aber es ist noch nicht das, was du denkst. Also ich habe noch keinen Vertrag unterschrieben, so viel darf ich bestimmt sagen“, antwortet Jule. Ich deute es trotzdem als ein gutes Zeichen. In der Autostadt angekommen, laufen wir erstmal ein bisschen durch die Gegend. Jule war noch nie da und so zeige ich ihr ein paar schöne Ecken. Sollte sie wirklich nach Wolfsburg kommen, muss sie die ja kennen. Dann setzen wir uns in ein Restaurant, um etwas zu essen. Währenddessen reden wir über ganz belanglose Dinge. Es scheint als wäre alles normal und so entspanne ich mich mehr und mehr. Genauso will ich meine Zeit mit Jule verbringen. ,,Du hast da noch Tomatensauce“, sage ich, als Jule ihre Nudeln aufgegessen hat. ,,Wo?“, fragt sie. ,,Warte ich mache es dir weg“, erwidere ich und greife nach meiner Serviette. Ich beuge mich über den Tisch und wische ihr die Sauce weg. Dabei streicht meine Hand über ihre Wange. Ich bemerke ein kleines Lächeln auf Jules Gesicht.

,,Ich habe noch eine Frage“, meint Jule. Mittlerweile sind wir zurück in der WG. Feli und Pia sind den ganzen Nachmittag am Trainingsgelände, so dass wir ungestört sind. Ich nicke, wohlwissend was kommen wird. ,,Was ist da an den Beiträgen diverser Fanseiten dran?“, fragt sie. Ich wusste es. ,,Welchen Teil davon meinst du? Ich will nichts falsches sagen.“ ,,Den mit Melly.“ ,,Weißt du, Melly bedeutet für mich ziemlich viel. Aber auf einer rein freundschaftlichen Ebene. Kennst du ihre Geschichte? Die harte Phase, die sie durch machen musste? Es war anfangs zur gleichen Zeit wie bei mir. Dann war sie wieder zurück auf dem Platz und ich habe immer die Parallele zu mir gesehen. Das hat mir extrem geholfen und so ist sie zu einem riesen Vorbild für mich geworden. Das erste Mal treffen konnte ich sie dann im Sommer bei einem Freundschaftsspiel und da war sie schon total lieb und dann war ich bei der Natio eben mit ihr auf einem Zimmer. Sie ist für mich immer noch ein Vorbild und eben eine gute Freundin, die ähnliche Teile in ihrer Vergangenheit hat wie ich. Es ist alles wirklich rein freundschaftlich. Sie ist genauso eine Freundin, wie Becks oder Kathy, nur dass ich sie eben seltener sehen und damit die Freude, wenn ich sie sehr eben größer ist. Bei Sjoeke ist das doch genauso“, erkläre ich. ,,Und was ist mit dem Teil über uns? Wie geht es dir damit?“, fragt Jule weiter. ,,Ähm ja, also ich…. Ich weiß, dass es falsch war die einen Korb zu geben. Also ich glaube, das kann man ja schon so bezeichnen. Und äh ja also meine Gefühle sind nicht geringer geworden. Oh Gott, irgendwie ist das peinlich.“ ,,Das muss es überhaupt nicht sein, aber ja es schon komisch darüber so zu reden. Brauchen wir denn eigentlich Worte?“ Ich schüttele den Kopf und lehne mich nach vorne zu Jule.

Dann berühren sich unsere Lippen. Es ist richtig. Es ist gut. Es ist wie ein Traum, aber es ist Realität. Sie kann extrem gut küssen. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, aber letztendlich lösen wir uns wieder voneinander. ,,Ist es das was wir wollen?“, flüstert Jule. ,,Ich kann ja nur für mich sprechen, aber ja ist es“, erwidere ich eben so leise. ,,Ich glaube, dann können wir da von einem ,wir‘ reden. Wir schaffen das, egal wie weit die Entfernung ist oder was auch immer“, sagt Jule und küsst mich erneut.

Flowers need time to bloomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt