Das Gefühl, das aufkommt, wenn knapp 25.000 Menschen deinen Namen rufen, ist unbeschreiblich. Und dann noch zu wissen, dass ich jetzt vor diesen ganzen Menschen spielen darf, löst bei mir eine Gänsehaut aus. Es ist das Halbfinalrückspiel gegen Barcelona. Barcelona, die wohl immer noch beste Mannschaft. Barcelona, die uns in den letzten zwei Jahren in genau jenem Halbfinale rausgekickt haben. Aber jetzt sieht es anders aus. Das Hinspiel konnten wir 2:1 gewinnen. Jetzt steht es 1:1. Dieses Unentschieden würde uns reichen. Und jetzt werde ich eingewechselt. Das war auch im Hinspiel, im legendären Camp Nou der Fall. Auch da hatte ich Gänsehaut. Vor fast 90.000 Zuschauern zu spielen, ist auch etwas ganz besonderes. Aber vor heimischem Publikum ist es fast noch besser. ,,Du rockst das!“, ruft Pauli, für die ich eingewechselt werde. Irgendwie hat es sich angestammt, dass ich nun eher im Sturmzentrum statt auf dem linken Flügel spiele. Ich renne auf den Rasen und ordne mich auf meiner Position ein. Eigentlich würde es darum gehen, dass Unentschieden zu halten, aber wir wollen die Entscheidung. Wir wollen das zweite Tor. Deswegen hat Tommy mich eingewechselt, zumindest war das seine Aussage. Ich habe nichts dagegen. Ich will diesen Sieg. Jetzt sind mir Mal wieder hier im großen Stadion von Wolfsburg, dass fast ausverkauft ist und jetzt will ich diese Menschenmenge zum jubeln bringen. Ob ich jetzt das Tor schieße oder jemand anderes ist mir erstmal komplett egal. Hauptsache wir ziehen ins Finale ein.
,,Lou renn!“, ruft Kathy, aber das ist mir selbst auch klar. Barcelona drückt auf deren Führungstreffer, aber jetzt kommen wir zum Kontern. Becks und ich haben sofort umgeschaltet und Becks bekommt jetzt den langen Ball von Kathy zugespielt. Ich renne, die Verteidigerinnen kommen kaum hinterher. Ich muss nur aufpassen, dass ich nicht ins Abseits laufe. Aber ich bleibe hinter dem Ball und im genau richtigem Moment spielt Becks den Pass. Jetzt laufe ich frei aufs Tor zu. Die Torhüterin kommt raus, aber mit einer Körpertäuschung bin ich an ihr vorbei und schiebe den Ball ins Tor. ,,Jaaaa!“, rufe ich, breite meine Arme aus und renne zu Becks. Diese springt mir sofort in die Arme. Da ist der Treffer. Da ist das womögliche Tor zum Finale. Barcelona bräuchte ja nun schließen zwei, um wenigstens in die Verlängerung zu kommen. Wir sind ganz nah dran an dem großen Finaltraum. ,,Was bist du denn für ein Biest?!“, ruft Feli, als sie mich umarmt. Ich grinse nur. Ich bringe wirklich kein Wort mehr raus. Das hier ist mehr, als ich mir je erträumt hätte. Das ist Champions League. Das ist ein Halbfinale. Das sind ganz ganz viele Fans. Und das ist mein Beitrag zum möglichen Finaleinzug.
Und zehn Minuten später ist es dann wirklich soweit. Die Schiedsrichterin pfeift das Spiel ab. Ich lasse mich einfach auf den Boden sinken. Was passiert hier gerade? Ich merke, wie mir die Tränen kommen. Es sind Tränen der Freude. Wir stehen im Finale der Champions League. Wir haben es geschafft. Ich spüre, wie sich jemand neben mich legt. Es ist Feli. ,,Alles gut bei dir?“, fragt sie. ,,Ich bin komplett überwältigt. Wir stehen einfach im Finale!“, erwidere ich. Ich komme darauf einfach nicht klar. ,,Ich bin so stolz auf dich. Noch abgezockter konntest du das vorhin gar nicht machen“, meint Feli. Ich lege meinen Arm um sie und drücke sie einmal kurz. Dann stehen wir auf, um mit dem Team zu feiern. Tommy hält im Kreis noch eine kleine Ansprache, aber diese besteht quasi nur aus einem ,,Genießt es und lasst euch feiern.“ Das tun wir auch. Wir drehen noch eine Ehrenrunde im Stadion und jubeln mit den Fans. Als es schon etwas leerer geworden ist, gehe ich zu Jule, die auch auf den Rängen saß und nun runter ans unterste Geländer gekommen ist. Sie trägt ein Trikot von mir. ,,Ich würde dich ja gerne küssen, aber die Folgen davon wollen wir wohl beide nicht“, sagt sie und beugt sich über das Geländer, um mich zu umarmen. Ich muss mich ganz schön strecken, um sie auch richtig umarmen zu können. Mein Spitzname ,,Kleine“ ist wirklich nicht weit hergeholt. ,,Du hast überragend gespielt“, meint Jule. ,,Danke dir. Und Danke, dass du hier bist. Das bedeutet mir echt unglaublich viel.“ ,,Nichts zu danken. Du weißt, dass ich sehr gerne hier bin und dich immer unterstütze.“ ,,Und nächstes Jahr stehst du dann auch hier auf dem Rasen“, grinse ich. Ich bin froh, dass ich das so offen sagen darf. Ihr Wechsel wurde vor wenigen Tagen verkündet. Das wird so schön werden, wenn wir endlich zusammen spielen werden.
Doch zuvor muss erstmal diese Saison zu Ende gespielt werden. Am vorletzten Spieltag können wir in der Liga den Meistertitel klar machen. Wieder ein Moment, der mich emotional komplett überwältigt hat. Ich bin einfach deutsche Meisterin und das mit diesem grandiosen Team. Vor der Saison hat man schon mit uns gerechnet, aber die Favoritenrolle war eher den Bayern zugeschrieben. Und jetzt sind wir die, die Meister sind. Das ist mein erste richtig großer Titel, vor allem auf Vereinsebene. Jetzt stehen nur noch drei Wochen mit Spieltagen an. Erst der letzte Spieltag in der Bundesliga, dann das Pokalfinale und schließlich das Champions League Finale. Dieses spielen wir leider nicht gegen Chelsea. Im anderen Halbfinale konnte sich der FC Arsenal durchsetzen. Nach dem letzten Finale wird es dann die Mail geben, in der der vorläufige Olympia Kader bekannt gegeben wird. Ich rechne trotz meiner guten Leistungen in den letzten Wochen nicht mit einer Nominierung. Es gibt so viele andere, erfahrenere Spielerinnen als mich. Da werde ich als gerade Mal 18-jährige kaum eine Chance haben. Aber für mich ist das kein Problem. Ich bin eben noch so jung, so dass ich die Möglichkeit ein großes internationales Turnier zu spielen noch öfter bekommen werde. Was dann aber in der Mail stehen wird, ich lasse ich überraschen. Auch wenn ich davon ausgehe nicht dabei zu sein, will ich Martina und dem Trainerteam die Entscheidung so schwer wie möglich machen. Das kann ich in den nächsten Spielen definitiv noch tun.
Nach dem letzten Liga Spiel gegen Freiburg bei uns in Wolfsburg bekommen wir dann die Meisterschale. Das Gefühl, sie in den Händen zu halten, ist einfach unglaublich. Es ist der Lohn für ein ganzes Jahr voller harter Arbeit. Jedes Spiel in der Liga zählt für diesen Titel und da heißt es auch wirklich jedes Mal alles geben. Das haben wir getan und jetzt diese Belohnung dafür zu bekommen, ist einfach ein tolles Gefühl. Auf dem Platz ist irgendwann nur noch Party. Die Schale wird rumgereicht, jede macht Fotos damit. Irgendwann gehen wir in die Kabine und feiern dort weiter. Für mich ist das tatsächlich immer noch etwas befremdlich. Ich war nie der Mensch, der schon Mal irgendwie gerne feiern war. Das einzige waren bisher immer nur die Feiern mit dem Team, wenn es welche gab, was in der Zeit, in der ich dabei bin, eher wenig waren. Doch ich kann mich einfach gehen lassen und mitfeiern. Vielleicht sollte ich mich im Hinblick auf die nächsten Wochen daran gewöhnen.
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Flowers need time to bloom
FanfictionEineinhalb Jahre später hat sich vieles für Lou verändert. Nachdem sie sich zurückgezogen hat und in aller Ruhe ihr Abitur gemacht hat, kommt sie wieder in die erste Mannschaft des VfL Wolfsburg und versucht einen Neustart. Rasant geht es aufwärts u...