57 | Anruf

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,,Lou!“, ruft Becks, springt auf und umarmt mich. Feli musste heute schon früh los, so dass ich direkt ans Trainingsgelände gefahren bin. ,,Wie geht’s dir?“ ,,Ganz okay. Ich bin froh hier zu sein“, antworte ich. ,,Verständlich“, meint sie und ich werde auch von den anderen, die schon hier sind begrüßt. Pauli will erst morgen kommen, aber trotzdem sehen wir uns heute auch noch. Den Nachmittag wollen Becks, sie und ich gemeinsam verbringen. ,,Bist du bereit für die Leistungstests?“, erkundigt Becks sich. ,,Nein. Also vielleicht schon, aber die Trainer wollen, dass ich noch eine Woche warte und meinem Körper etwas Pause gebe. Ich werde ab morgen mit Pauli zusammen ein leichtes Aufbautraining machen und die Leistungsdiagnostik kommt dann erst nächsten Montag“, erkläre ich. Das ist der sinnvollste Weg. Die Saisonvorbereitung wird für den Verein ziemlich lang sein, so dass es reicht, wenn ich erst nächste Woche voll mit einsteige. Natürlich will ich sofort wieder mit den Mädels hier trainieren, aber ich weiß, dass es richtig ist. Die letzten Wochen bei der Natio waren anstrengend und da braucht mein Körper einfach eine Pause. Die bekommt er jetzt. Da ich nicht alleine sein will, bin ich trotzdem schon hier. Und das ist auch gut so. Außerdem brauchen die Mädels ja wen zum anfeuern. Vor allem der Laktattest hat es echt in sich. Da ist jede Form von Anfeuerung wichtig. ,,Wie war die Zeit beim Lehrgang?“, fragt mich Eva, die auch anwesend ist. ,,Intensiv. Ich glaube, das beschreibt es am besten. Es war ziemlich anstrengend, sowohl körperlich als auch mental, aber gleichzeitig trotzdem mega schön.“ ,,Das glaube ich. Solche direkten Vorbereitungslehrgänge sind eigentlich die wichtigsten, auch wenn man am Ende vielleicht nicht beim Turnier dabei ist. Denn dort bekommt man das meiste Feedback und weiß danach genau, woran man arbeiten muss.“ ,,Ja, das kann gut sein. Wobei ich recht wenig nach den Trainingseinheiten selbst erfahren habe, sondern erst nach dem ganzen Lehrgang“, sage ich. ,,Aber da ist bestimmt trotzdem viel wichtiges dabei. Darf ich fragen, was Martina so gesagt hat?“ ,,Klar. Sie meinte, es lag vor allem an meiner Einstellung. Also nicht der Einstellung selbst, denn natürlich wollte ich mit zu Olympia. Aber ich bin zu verkopft da rangegangen. Ich habe mir über alles zu viele Gedanken gemacht und am meisten über meine Leistung im Training. Ich dachte die ganze Zeit, dass ich es sowieso nicht schaffen werde und das hat auch meine Leistung geprägt“, erzähle ich. ,,Hm, das ist natürlich nichts was man haben möchte, aber das kommt bei sehr jungen Spielerinnen recht häufig vor. Doch das bekommst du auch noch in den Griff. Noch weißt du nicht, wo du bei der Natio stehst. Hier schon. Je öfter du bei Lehrgängen teilnimmst, umso mehr wirst du deine Rolle dort kennenlernen und verstehen und dann bist du auch nicht mehr so verkopft. Das ist ein Problem, das sich nur mit der Zeit lösen lässt. Wenn du magst, kann ich dir da gerne bei helfen. Du musst dich nur an mich wenden“, sagt Eva. ,,Danke dir. Ich denke, das werde ich machen.“

Am Nachmittag verlasse ich mit Cinni zusammen das Haus und gehe die zwei Straßen weiter, um erst Becks und dann Pauli abzuholen. Es ist später geworden, als geplant, aber dennoch wollen wir uns heute noch treffen. Zusammen gehen wir zum Allersee. Im Sommer sind wir wirklich oft dort. Heute sind wir allerdings deutlich weniger aktiv, als Feli und ich vor zwei Tagen. Nachdem wir eine kleine Runde geschwommen sind, sitzen wir nur noch draußen rum und reden. Auch Pauli hat noch etwas an der Nichtnominierung zu knabbern, aber sie scheint es mittlerweile gut verkraftet zu haben. ,,Klar, der Traum war natürlich da, aber ich war nicht die, die bei der Natio super viel Spielzeit hatte. Ich habe es schon fast geahnt und es ist wahrscheinlich auch richtig so“, meint sie. Mitten im Gespräch klingelt dann plötzlich mein Handy. Ich weiß nicht Mal, warum ich es überhaupt auf laut hatte. Ich werfe einen entschuldigenden Blick zu Becks und Pauli und schaue dann, wer etwas von mir will. Es ist Martina. Wortlos drehe ich mein Handy zu dem beiden, unsicher was ich tun soll. Warum ruft Martina mich an? ,,Geh ran“, sagt Becks sofort. Also nehme ich den Anruf an.

,,Hallo, hier ist Lou“, melde ich mich. ,,Hallo Lou. Schön, dass ich dich erreichen“, begrüßt mich Martina. ,,Darf ich fragen, warum du anrufst?“ ,,Natürlich. Es gibt da ein kleines Problem. Und du könntest die Lösung dafür sein. Tabea hat sich heute im Training verletzt.“ ,,Oh Shit!“ Ich weiß, dass es unhöflich ist sie zu unterbrechen, aber ich kann nicht anders. Das letzte, was ich jetzt irgendwem wünschen würde, wäre eine Verletzung. Warum muss das jetzt passieren? ,,Die erste Untersuchung ergab gerade eine Verletzung im Sprunggelenk, die es ihr unmöglich macht bei den Olympischen Spielen teilzunehmen. Wir würden dich gerne nachnominieren“, sagt Martina. ,,Was? Ich?“, frage ich einfach nur. Ich soll nachnominiert werden? ,,Ja, du. Lou, wir haben nicht lange gebraucht, um zu entscheiden wen wir nachnominieren. Du bist genauso flexibel einsetzbar im Sturm wie Tabea und dadurch wollen wir genau dich in unserem Kader haben. Du weißt wie sehr ich deine Qualitäten schätze und keine der anderen wir Tabea besser ersetzen kann als du.“ ,,Ähm Dankeschön. Aber wie, wann komme ich dann nach Herzogenaurach und ist das mit Wolfsburg schon geklärt? Muss ich da noch etwas machen?“ ,,Ganz ruhig. Ich verstehe, dass du überfordert bist. Wir wollen dich auch nicht weiter überfordern, aber uns wäre es am liebsten, wenn du direkt morgen früh anreist, damit du direkt mit in die Vorbereitung starten kannst. Ich habe mit Tommy schon telefoniert und natürlich lässt er dich gehen. Du machst dann die gleiche Vorbereitung wie die anderen Nationalspielerinnen. Du musst also nichts mehr machen außer deine Sachen zu packen und morgen um halb sechs kommt dann das Shuttle“, erklärt Martina. ,,Okay. Und Danke nochmal. Ich kann das noch nicht ganz realisieren und es tut mir auch total Leid für Tabsi, aber ich freue mich, dass ich die bin, die nachrücken darf“, sage ich. ,,Wir freuen uns auch auf dich. Bis morgen“, verabschiedet sich Martina. Ich lasse mein Handy sinken und blicke in zwei strahlende Gesichter. ,,Herzlichen Glückwunsch!“, ruft Pauli und sofort werde ich von beiden gleichzeitig in eine feste Umarmung gezogen. ,,Aber Pauli, ich…“, setze ich an. Jetzt sitze ich hier mit ihr zusammen und bin die, die nachnominiert wird und nicht sie. ,,Nein, sag nichts. Wenn du dich entschuldigen willst, mach das nicht. Du hast es verdient dort zu stehen und kannst absolut nichts dafür. Ich freue mich wirklich extrem für dich, weil du es einfach verdient hast und Tabsi wirklich am besten ersetzen kannst. Ich bin so stolz auf dich“, unterbricht sie mich sofort. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll und umarme Pauli deswegen erneut. Ehrlich gesagt weiß ich überhaupt nicht, was ich jetzt tun soll. Ich fahre zu den Olympischen Spielen. Aber das nur, weil Tabsi sich verletzt hat. Wie soll ich das denn verarbeiten? ,,Wisst ihr was? Wir gehen jetzt zu Lou, helfen wir beim Packen und kochen dann gemeinsam“, beschließt Becks.
Das machen wir dann auch.

Mittlerweile sind die beiden allerdings gegangen und ich versuche das ganze etwas sacken zu lassen. Endlich komme ich auch dazu die Nachrichten, die ich bekommen habe zu beantworten. Auch Eva informiere ich kurz über meine Nachnominierung. Dann schreibe ich Tabsi.

Ich: Hey, Es tut mir wirklich so Leid für dich. Warum muss dir das passieren? Das ist so ungerecht. Weißt du schon, was es genau für eine Verletzung ist?

Tabsi: Hey, alles gut. Noch ist es nicht klar, aber wahrscheinlich habe ich mir das Außenband gerissen. Im besten Fall ist es nur angerissen, aber das Turnier ist durch mich….

Ich: Sh*t, das ist echt richtig mies…. Irgendwie kann ich mich noch nicht ganz freuen, dass ich so dazu komme dieses Turnier zu spielen

Tabsi: Du darfst dich aber wirklich freuen. Es ist echt dumm gelaufen, aber du hast die Nachnominierung wirklich verdient. Du hast schon so viel geleistet und so viel erlebt und das ist jetzt der Lohn für deine ganze Arbeit!

Ich: Danke dir. Wir sehen uns ja morgen dann nochmal, oder? Ich werde auf jeden Fall für dich mitspielen. Auch wenn ich wahrscheinlich eher den linken als den rechten Flügel unsicher machen werde, wirst du immer mit mir mitlaufen. In unseren Herzen bist du definitiv immer dabei! <3

Tabsi: Das ist echt lieb von dir <3

Flowers need time to bloomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt