Was haben wir alle dabei gelacht!

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Kaum betreten wir das Esszimmer, erscheint es mir mucksmäuschenstill im gesamten Haus.
Ein Déjà-vu umhüllt mich und erinnert mich an den Moment vor wenigen Stunden, wo ich noch gehofft hatte, dass Harry nicht unser Dieb ist.
Auch dort war es so leise wie in diesem Moment und jetzt - kacke ey.

"Guten Morgen, ihr zwei", begrüßt meine Kollegin Harry und Zayn, welche dicht beieinander am Esstisch sitzen. Sie sehen uns an, nein, vielmehr sehen sie mich an und die Übelkeit steigt erneut. Zudem rast mein Puls in einem Tempo, welches nicht gesund ist.
Ich bleibe an Ort und Stelle, beobachte May dabei, wie diese gutgelaunt auf Zayn zu schlendert und ihm einen Kuss auf die Lippen drückt. Harry hingegen knufft sie in die Wange, was ihn die Augen verdrehen lässt und wäre diese Situation nicht vollkommen grotesk, hätte ich jetzt gelacht.

Aber zum Lachen war mir bei aller Liebe nicht.

Harry und mein Blick treffen sich.
Ich schlucke und da mir meine Hände auf einmal vollkommen sinnlos vorkommen, ich nicht weiß, was ich mit ihnen anstellen soll, verschränke ich meine Arme vor der Brust.
Was mache ich denn sonst mit meinen Händen?
Hängen die einfach schlaff runter?
Mache ich irgendwas mit meinen Fingern?
Und warum zum Geier ist das jetzt gerade eine wichtige Frage?

"Setz dich doch bitte, Louis", fordert mich May auf und deutet auf einen freien Stuhl.
Sie schenkt sich eine Tasse Kaffee ein, schnappt sich ein Brötchen und grinst mich dann an, als wenn nichts passiert wäre. Als wenn wir nicht alle hier zusammen sind, weil ich Harry erwischt habe.
Naja, Harry und Zayn, denn ich bin mir verdammt sicher, dass der Schwarzhaarige die Fälschungen herstellt.
Es ergibt einfach Sinn.

"Louis", mahnt mich May und deutet erneut auf den freien Stuhl. Dieses Mal energischer und lässt mich genervt aufseufzen, während ich mich in Bewegung setze. Warum ich auf sie höre, weiß ich nicht.
"Kaffee?", möchte Zayn wissen und sieht mich an.
Irritiert kneife ich meine Augen zusammen und sehe den Schwarzhaarigen fragend an.
Meint er mich?
"Ja oder nein?"
Ich nicke zögerlich und halte ihm meine Tasse entgegen.
Vielleicht will er mich ja vergiften?
Alle Zeugen beseitigen?
Zutrauen würde ich es ihm.

Ich stelle den Kaffee neben meinen Teller und rühre ihn lieber nicht an. Harry neben mir schmunzelt, nimmt meine Tasse und trinkt kommentarlos einen Schluck, bevor er sie mir reicht und mich mit einem "Siehst du"-Blick ansieht.
Also kein Gift.

May stopft weiterhin fleißig Essen in sich rein, wobei ich mich frage, wo sie die Unmengen an Nahrung lässt, während ich keinen Bissen herunterbekomme.
Auch die anderen beiden essen nichts und als die Stille in diesem Raum beinahe nicht mehr auszuhalten ist, räuspert sich Zayn und bekommt somit meine Aufmerksamkeit.
"Warum hast du ihn gehenlassen?"
Zuerst bin ich baff, dann werde ich wütend.
"Sollte ich nicht eigentlich derjenige sein, der hier die Fragen stellt?"
Was ist das hier überhaupt für eine Show?
Ein reichlich gedeckter Tisch, Mays übertrieben gute Laune und das fröhliche Beisammensein?
Was soll der Scheiß?

Sauer sehe ich zu Harry, welcher bei meinem Blick zusammenzuckt.
"Was soll diese verdammte Scheiße?" will ich wissen und drehe mich zu ihm.
"Ich dachte, es wäre vielleicht-" - "Das meine ich nicht!", blaffe ich ihn an und merke, wie die blanke Wut sich in mir ausbreitet.
"Wie lange wolltest du mich noch verarschen, hm? Mir deine Gefühle vorspielen, während du schön hinter meinem Rücken die Gemälde tauscht und über mich wunderbar an Informationen rankommst? Wie lange wolltest du dieses beschissene Spiel noch spielen?"
Ein fieser Stich geht durch meinen Brustkorb, meine Kehle wird enger, doch ich werde hier niemanden die Genugtuung geben und losheulen.
Bei aller Liebe nicht!
"Nimm dich mal nicht so wichtig", brummt Zayn und verdreht seine Augen. "Die Informationen bekommen wir auch ohne dich." Sein Blick geht zu May, die mir vergnügt zuzwinkert und sich erneut ein Stück Obst in den Mund schiebt.
"Darüber reden wir noch", motze ich und wende meinen Blick von May ab und sehe wieder zu Harry.
"Macht es dir solch einen Spaß, mir etwas vorzuspielen? Gibt dir das einen gewissen Kick?"
Harry sieht verletzt aus, aber er kann auch einfach ein guter Schauspieler sein.
Glauben tue ich ihm gar nichts mehr.

Plötzlich steht er auf und sieht mich an.
"Können wir unter vier Augen sprechen?"
Ich zögere, nicke dann aber.

Wir verlassen das Esszimmer und gehen in den Garten.
Harry steuert den Pool an und lässt sich dann auf einer Liege nieder. Er deutet auf die Liege neben sich und ich setze mich, bereit dafür nun Antworten zu bekommen.
Ich schaue auf das Wasser, welches so glasklar ist, dass es quasi einlädt direkt hineinzuspringen.
Doch dafür bin ich nicht hier, auch wenn solch eine Abkühlung meinem Gehirn vermutlich guttun würde.
Vielleicht wüsste ich dann, warum um alles in der Welt ich so gehandelt habe.
Warum ich mich gegen meine Berufsehre entschieden habe und mir stattdessen jetzt auf einer Poolliege, die vermutlich teurer ist als zwei Monatsmieten von mir zusammen, eine billige Ausrede anhören kann.

"Zuerst; Ich liebe dich wirklich, Louis. Meine Gefühle für dich sind nicht vorgespielt. Das musst du mir bitte glauben."
Harrys flehender Unterton entgeht mir nicht und ich beschließe, vorerst, nichts darauf zu antworten. Stattdessen entscheide ich, dass ich nur an Antworten komme, wenn ich Fragen stelle.
Die richtigen Fragen.
"Wolltest du es mir je sagen?"
Faktisch gesehen die falsche Frage, aber für mich persönlich ist es eine sehr wichtige.
Harry zuckt mit den Schultern und sieht nun ebenfalls auf das Wasser.
"Ich habe darüber nachgedacht, ja, nur...ich wusste nicht wie und...keine Ahnung. Ich hatte Angst vor deiner Reaktion."
Ich möchte gerne behaupten, dass das verständlich ist, aber das ist es für mich nicht.
"Wie bist du überhaupt auf diese beschissene Idee gekommen?", stelle ich meine nächste Frage und bekomme indessen wieder den Blick des Lockenkopfes. Kurz schmunzelt er, doch dann wird er wieder Ernst.
"Also eigentlich war es eine Art Witz."
"Ja, total witzig", grummele ich und verdrehe meine Augen.
Was haben wir alle dabei gelacht!
"Zayn und ich sind schon so lange befreundet", erklärt Harry und ignoriert meine Aussage einfach.
"Ich habe ihm gerne die Räume zum Malen bereitgestellt und habe ihm im Gegenzug gebeten, eines meiner Lieblingswerke von Picasso nachzumalen. Es hängt in der Küche. Ein wahres Meisterwerk, auch wenn Zayn nach jedem Bild besser wird. Mittlerweile kann man seine Bilder nicht mehr von den Originalen unterscheiden. Es sei denn, man untersucht die Farben oder Rahmen. Aber selbst die Pinselführung hat er mittlerweile so drauf, dass nicht mal Picasso selbst sagte könnte, dass das Bild nicht von ihm ist."

Ich habe es kapiert.
Zayn bekommt den Preis für den Künstler des Jahres.

Augenrollend schaue ich mich nach etwas zu trinken um, doch leider steht nichts in Reichweite.
Meine Kehle fühlt sich an wie ein Sandkasten.
"Und dann haben wir rumgeblödelt. Haben gesagt, wie einfach es doch wäre, so Gemälde zu klauen und dass das niemand merken würde..." - "Und dann habt ihr es einfach gemacht.", kombiniere ich und unterbreche Harry damit.
Er nickt, überschlägt seine Beine und lehnt sich etwas weiter nach hinten.
"Womit ich nicht gerechnet habe ist, dass es sofort auffällt. Wir haben nicht an die Rahmen gedacht, aber uns hat niemand erwischt, also haben wir es erneut versucht."
Und seid damit durchgekommen, denke ich und wünsche mir erneut ein kühles Getränk herbei.
"Als dann die Polizei in meiner Firma nach einem Spezialisten gefragt hat, habe ich mich natürlich sofort freiwillig gemeldet. Immerhin war das ein Kinderspiel und ich musste nur etwas von Farben und irgendwelchen Pinselführungen reden und schon konnte ich das Bild als eine Fälschung enttarnen. Wobei ich bei der Analyse nicht gelogen habe. So konnte ich Zayn sagen, worauf er beim nächsten Mal achten sollte."
Ich stehe auf, gehe unter Harrys wachsamen Blick zurück in das Esszimmer und nehme mir die Flasche Wasser vom Tisch, ohne Zayn und May auch nur eines Blickes zu würdigen.
Als ich zurück am Pool bin, trinke ich hastig einen großen Schluck und sehe den Lockenkopf wieder an.

"Kommen wir nun zur finalen Frage. Warum? Warum das alles?"

Der Kunsthändler Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt