Doof für mich

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Die Klinke in meiner Hand fühlt sich glühend heiß an. Vermutlich ein kleiner Streich von meinem Gehirn - Danke dafür.
Als ich die Klinge allerdings durchdrücke und mich gegen die Tür lehne, passiert absolut gar nichts.
Toll.
Abgeschlossen.
Hätte mir bei diesem paranoiden Psychopathen ja eigentlich klar sein müssen. 

Gut, vielleicht ist es nicht wirklich nett von mir, ihn als solches zu betiteln, aber mal ehrlich - ich kann diesen Typen einfach nicht ausstehen und weiß beim besten Willen noch immer nicht, warum er so ein verdammtes Problem mit mir hat. 
Harry und ich sind nun schon eine Weile zusammen, einige Monate und dennoch zweifelt er an mir?
Sollte ihm nicht endlich mal klar sein, dass ich es Ernst mit seinem besten Freund meine?
Wenn ich ihn nur in die Kiste bekommen wollte, hätte ich das ja mittlerweile mehr als ein Mal hinbekommen. 
Wo verdammt ist also sein scheiß Problem?

Ich schnaufe und merke die Frustration deutlich in mir aufkommen. 
Mir kommen die Gespräche mit Harry und dem Schwarzhaarigen in den Kopf.
Dass Harry sich in Gefahr bringt, er aber alles unter Kontrolle hat. Zayn, der unfassbar wütend darüber war, dass ich hier in diesem Haus war. Der so ein großes Problem damit hat, dass ich Polizist bin, obwohl seine Freundin ebenfalls dort arbeitet.
Und dann noch dieser ominöse Satz, dass er sich kein Zimmer teilen will. 
Damals kam mir diese Aussage schon seltsam vor und für einen kurzen Moment hatte ich ein Gefängnis im Kopf. 
Ich habe es als absurd abgetan, doch jetzt?
Ist vielleicht Zayn unser Picasso?
Die Schuhe kann er sich ja von Harry ausgeliehen haben. Oder er hat sie sich einfach genommen. 
Und der arme Harry weiß gar nicht, was sein bester Freund hinter seinem Rücken treibt.
Und die Pose?
Abgeguckt. Personen, die viel Zeit miteinander verbringen, gleichen sich irgendwann an. Sie übernehmen Verhaltensweisen des Anderen vollkommen unbewusst. 
Vielleicht auch Zayn. 
Oh Scheiße. 
Ist Zayn wirklich Picasso?

Während ich noch immer vor der Tür zum Atelier stehe, bemerke ich nicht, dass eine Person den Raum betritt. Erst als mein Name gesagt wird, zucke ich zusammen und sehe ertappt auf. Meine Hand liegt noch immer auf der Türklinke.
"May?"
Meine Kollegin schenkt mir ein liebevolles Lächeln und kommt auf mich zu. Als sie meine Hand auf der Klinke sieht, zieht sie allerdings ihre Stirn in Falten.
"Was möchtest du denn in Zayns Atelier?"
Schnell entferne ich meine Hand und trete einen Schritt zurück. Nervös greife ich an mein Ohr, eine nervtötende Angewohnheit und versuche mir in Windeseile eine Notlüge einfallen zu lassen.
"Ich brauche einen Stift und kann nirgends einen finden und da dachte ich, dass bei Zayn im Atelier sicherlich einer rumfliegt."
May mustert mich und nickt. 
"Er hat unzählige Stifte, aber du wirst kein Erfolg haben. Er schließt seine Tür immer ab."
Habe ich auch bemerkt. 
Dennoch halte ich mein Schauspiel offen und drücke die Klinke herunter, tue überrascht und schenke meiner Kollegin ein entschuldigendes Lächeln. "Doof für mich."
May grinst, kramt aus ihrer Handtasche einen Schlüssel hervor und lässt ihn in der Luft baumeln.
"Gut, dass ich hier bin."

Ich mache ihr Platz, als sie die Tür aufschließt und den Raum betritt. "Am besten wartest du im Türrahmen. Zee wird fuchsteufelswild, wenn jemand sein Atelier betritt. Naja, ausgenommen von Harry und mir."
Nickend bleibe ich im Türrahmen stehen, doch das reicht mir. 
Der Raum ist übersichtlich und anders als ich erwartet habe komplett ordentlich und aufgeräumt. 
Überall stehen zwar Leinwände und Farben, trotzdem wirkt es sauber und übersichtlich. 
Und leider ist auch absolut nichts Verdächtiges vorhanden. 
Aber was habe ich auch erwartet?
Eine perfekte Kopie eines Picassobildes?
Ja, vermutlich habe ich das.
"Hier."
May reicht mir einen Stift, welchen ich dankend entgegennehme. Sie sucht irgendetwas und damit meine Ausrede glaubhafter rüberkommt, schnappe ich mir ein Stück Papier, welches in meiner Reichweite liegt und kritzele sinnloses Zeug hinauf.
"Ha! Wusste ich doch, dass sie hier sind."
May hält ihre Laufschuhe in die Luft und grinst breit. Dankend gebe ich ihr den Stift zurück und trete dann in das Wohnzimmer, dicht gefolgt von May, welche die Tür hinter sich wieder abschließt.
Das war dann wohl nichts.
"Wie sieht es aus? Möchtest du mitkommen?"
Erwartungsvoll sieht sie mich an und ich frage mich, wie sie nach einer Nachtschicht noch so Energiegeladen sein kann. 
"Ich möchte eigentlich nur noch schlafen", gestehe ich und lache verhalten. Meine Kollegin nickt, stopft die Schuhe in ihren Rucksack und durchquert gemeinsam mit mir das Wohnzimmer, zurück in Richtung Eingangshalle.
"Ich auch, aber vorher muss ich noch eine Runde laufen. Danach kann ich bedenkenlos acht Stunden am Stück schlafen."

Während May verschwindet, beschließe ich, dass ich wirklich ins Bett gehen sollte.
Müdigkeit hilft meinem Denkvermögen nicht wirklich und bevor ich hier gleich auch noch Geister sehe, wird es vielleicht sinnvoll sein, meinem Gehirn ein wenig Pause zu geben. 
Doch auf dem Weg in das Schlafzimmer streifen meine Augen immer wieder die unzähligen Gemälde an den Wänden. 
Ob das alles wirklich Kopien sind?
Gut, Harry meinte, er hat auch viele Originale, aber die richtig teuren Gemälde wird er hier ja sicherlich nicht haben. Vermutlich spinne ich eh nur herum und interpretiere einfach viel zu viel in diese Turnschuhe hinein. Und in die anderen Tatsachen. 
So wird es sein.

Als ich dann jedoch vor dem Schlafzimmer stehe, stocke ich.
Mit großen Augen schaue ich auf das Gemälde, welches an der Wand hängt.
Ein Gemälde, welches mir unheimlich bekannt vorkommt und auch wenn ich absolut keine Ahnung von Kunst habe, weiß ich, dass dieses Bild von Picasso ist. 
Mein Puls beschleunigt sich, als ich es genauer begutachte.
Es ist das Bild, auf welches ich so eifersüchtig war.

Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es hier gestern noch nicht hing.

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