Indianerehrenwort

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Nach einem fabelhaften Mittagessen, welches Niall auf die Schnelle, wie er sagt, zubereitet hat, sitzen Liam und ich erneut auf dem Balkon. Wir haben uns eine Flasche Bier genommen, genießen die Sonen auf unserem Gesicht und Schweigen.

Es ist irgendwie unser Ding.
Liam und ich können Stunden nebeneinander sitzen und kein Wort miteinander reden, ohne, dass es komisch wirkt.
"Gemeinsam Schweigen ist ein Zeichen der Verbundenheit", hat meine Mutter früher immer zu mir gesagt und dem kann ich nur zustimmen.

"Okay, ich bin dann mal weg", erklingt Nialls Stimme und der Ire taucht auf dem Balkon auf. Er beugt sich zu Liam, haucht ihm einen Kuss auf die Lippen und die beiden flüstern sich liebliche Nichtigkeiten zu, woraufhin ich so tue, als wenn ich sie nicht hören kann. Erneut küssen sie sich, dann wendet sich Niall an mich. "Lass dir nicht wieder so viel Zeit. Wenn du das nächste Mal einige Wochen hier nicht auftauchst, komme ich und hole dich". Grinsend nicke ich. "Zur Kenntnis genommen".

Der Ire verschwindet zur Arbeit und ich trinke einen großen Schluck von meinem Bier.
"Willst du mir vielleicht jetzt verraten, warum du um deinen neuen Freund so ein Geheimnis machst?". Liams Blick liegt wachsam auf mir und als ich meinen Blick neige, ihn ansehe, kann ich die tausend Fragezeichen über seinem Kopf förmlich sehen. "Ich weiß ja, dass du dir immer erst sicher sein musst, bevor du irgendwem deinen Partner vorstellst, aber mal ehrlich, Lou", beginnt er und ein versöhnlicher Blick erscheint in seinem Gesicht. "Das mit euch geht schon ziemlich lange."
Seufzend fahre ich mir mit den Händen durch das Gesicht, greife erneut nach meinem Bier und bemerke, dass die Flasche leer ist. Wortlos stehe ich auf, sehe Liam fragend an, welcher nickend seine Flasche in die Höhe hält und ich diese gemeinsam mit meiner in die Küche bringe.

Scheiße.
Was sage ich denn jetzt nur?
Die Wahrheit, schießt es mir durch den Kopf.
Aber nicht die komplette Wahrheit.

Mit zwei neuen Flaschen erscheine ich auf dem Balkon und lasse mich ächzend auf einen der gemütlichen Balkonsessel fallen. "Es hat nichts mit dir zu tun", beginne ich das Gespräch und öffne die Bierflasche mit meinem Schlüssel.
"Es ist nur" - ja, wie soll ich das nur erklären?
Liam sieht mich neugierig an, hat seine Flasche mittlerweile ebenfalls geöffnet und gibt mir Zeit.
"Wir arbeiten zusammen, weißt du?".
Mein bester Freund zieht irritiert die Augen zusammen. "Wir? Natürlich weiß ich das. Ich meine...Hä?".
Kurz muss ich über die Antwort meines besten Freundes lachen, ehe ich schnell den Kopf schüttele. "Ich meine nicht uns. Ich meine ihn".
Liams Mund klappt auf und seine Augen weiten sich.
Man kann ihm deutlich ansehen, dass in seinem Kopf gerade absolutes Chaos herrscht. Alle Räder drehen sich, wollen eine Antwort und doch findet er keine.
"Moment...er arbeitet bei uns?".
Das Rattern in seinem Kopf wird lauter und seine Stirn zieht sich nur noch mehr in Falten. "Aber wer?", kommt es leise über seine Lippen und ich lehne mich einfach zurück und trinke einen weiteren Schluck. Das kann jetzt eine Weile dauern.
"Scott und Mike haben eine Freundin. May ist eine Frau...der Chief?". Sein Blick schnellt geschockt zu mir, doch dann schüttelt er hastig den Kopf. "Gott, nein. Niemals. Der ist auch verheiratet und ich glaube alles andere als schwul. Zudem ist er viel zu alt. Nee...der Chief nicht."
Er überlegt weiter fieberhaft, sieht mir dabei tief in die Augen und versucht irgendwie zu durchschauen, was in meinem Kopf vorgeht. "Es kann ja nur einer aus der anderen Schicht sein. Aber wer kommt denn da in Frage?".
"Ich kann es dir leider eh nicht verraten", unterbreche ich meinen besten Freund und lächele entschuldigend. "Beziehungen am Arbeitsplatz sind verboten, wie du weißt." Ein entrüstetes Schnauben ist zu hören. "Ein tolles Fundament für eine Beziehung. Und wie soll das weitergehen? Wollt ihr so lange lügen, bis einer von euch in Rente geht? Oder-", Liams Blick schnellt zu mir. "Wag es ja nicht, das Revier zu wechseln." Sein Finger liegt bedrohlich auf mir und sofort schüttele ich meinen Kopf. "Das habe ich nicht vor".
Mein bester Freund nickt erleichtert. "Gut so. Das hätte ich auch niemals zugelassen."

Ein kurzes Schweigen umhüllt uns, bis ich es nicht mehr aushalte. Dieses Mal ist das Schweigen alles andere als angenehm. "Wir werden uns was überlegen. Aber im Moment wollen wir es einfach so lassen, wie es ist."
Liam nickt verstehend und steht auf. Er greift hinter einen Blumenkasten und fischt eine Zigarettenschachtel hervor. Fragend sieht er mich an und ich nicke.
Wenn Niall wüsste, dass Liam hier immer eine Schachtel deponiert, würde der Ire seinen Freund einen Kopf kürzer machen. Mein bester Freund hat Niall nämlich hoch und heilig versprochen, dass er nie wieder auch nur eine Zigarette anfassen wird.

Nun, das tut er auch nicht. Zumindest nicht, wenn Niall zu Hause ist.

Stumm ziehe ich an meiner Zigarette und unterdrücke ein Husten.
So oft rauche ich nicht, damit dieses Kratzen im Hals ausbleibt.
"Warte mal", unterbricht Liam die Stille und sein Blick fokussiert mich. "Du sagst, dein Freund heißt Haz?"

Mist.

"Bei uns arbeitet doch niemand mit diesem Namen", überlegt er und sein Gehirn beginnt von vorne zu rattern.
"Das ist sein Spitzname. Du denkst doch nicht wirklich, dass ich hier einfach seinen richtigen Namen raushaue?".
Mein bester Freund beginnt zu schmollen, was mich veranlasst, ebenfalls aufzustehen. "Wenn wir uns dazu entschließen, mit offenen Karten zu spielen, dann bist du der Erste, der davon erfährt. Indianerehrenwort."
"Na gut", brummt er und nickt.
"All zu lange kann das ja nicht mehr dauern. Ich denke nicht, dass du der Typ dafür bist, jahrelang geheime Dates zu haben und mit der ganzen Stadt verstecken zu spielen. So bist du nicht und das wiederum spielt mir in die Karten. Ich kann also noch ein bisschen warten, Louis. Früher oder später willst du mir deinen Freund schon noch vorstellen."

Grinsend nicke ich, während ein teuflischer Schatten über Liams Gesicht huscht.
"Wenn ich es nicht vorher selbst herausfinde. Das Revier ist klein. Sowas kann gar nicht unbemerkt bleiben".

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