Es ist kaum verwunderlich, dass mir irgendwann mit dem warmen Tee im Bauch und der einlullenden Stimme des Dokumentarerzählers die Augen zu fallen.
Der Schlafmangel, die Arbeit und der ganze Stress bringen mich an meine Grenzen und so schlafe ich, gegen meinen Willen, irgendwann auf meinem Sofa ein.Wach werde ich, da ich merke, wie jemand durch meine Haare streichelt und mir somit ein wohliges Gefühl verschafft. Ich kuschele mich ein wenig enger in die Wolldecke, genieße die Streicheleinheiten auf meinem Kopf und bin kurz davor, einfach wieder weiterzuschlafen, als mir einfällt, wer mir hier gerade durch die Haare krault und auf wessen Schoß mein Kopf gebettet ist.
Ruckartig erhebe ich mich und rücke von Harry weg. Er sieht mich entschuldigend an, ein leichtes Lächeln ziert dabei seine Lippen und wäre ich nicht sauer auf ihn, würde ich es glatt als niedlich bezeichnen."Du bist eingeschlafen", erklärt er das Offensichtliche und stellt seine leere Teetasse auf den Couchtisch. "Dann hast du dich gegen mich gekuschelt und irgendwann lag dein Kopf auf meinem Schoß. Ich wollte dich nicht wecken. Du sahst ziemlich fertig aus."
Ein Schnaufen kann ich nicht unterdrücken. Wer ist denn Schuld daran, dass ich keinen Schlaf bekomme?Kommentarlos stehe ich auf, wickele die Wolldecke wie einen Burrito um mich und gehe in die Küche. Mit dem Blick nach draußen stelle ich den Wasserkocher an, nehme mir eine neue Tasse aus dem Schrank und einen neuen Teebeutel.
Es regnet noch immer und auch der Wind hat deutlich zugenommen.Es ist still zwischen uns, als ich mich wieder auf das Sofa setze und auf den Fernseher schaue.
Die Dokumentation über Seepferdchen scheint vorbei zu sein. Stattdessen läuft irgendeine True-Crime-Sache, welche normalerweise meine volle Aufmerksamkeit bekommen würde.
Normalerweise.
Jetzt jedoch kann ich mich nicht konzentrieren. Harrys Blick liegt unentwegt auf mir und das wiederum macht mich nervös. Ob positiv oder negativ, weiß ich nicht.
"Du fehlst mir", gesteht er dann plötzlich leise und jagt mir mit seiner Stimme einen Schauer über den Rücken.
"Wir haben uns gestern erst gesehen."
"Das meine ich nicht."
Ich neige meinen Kopf und begegne seinem Blick. Grüne Augen sehen mich verzweifelt an und bescheren mir einen noch dickeren Kloß im Bauch, als ohnehin schon.
"Ich..." beginnt er, bricht dann aber ab und schüttelt seinen Kopf. Abwartend mustere ich ihn und erst da fallen mir seine dunklen Augenringe auf. Scheint, als wenn auch er Probleme beim Schlafen hat.
Tja, selbst Schuld.
"Was...was kann ich tun, damit es zwischen uns wieder so wird wie vor wenigen Tagen?", möchte er wissen und sorgt dafür, dass ich ihn fassungslos anschaue.
War das gerade eine ernstgemeinte Frage?
"Es tut mir leid, Louis. Ich hätte dir das alles schon viel eher sagen sollen, aber...ich hatte einfach Angst. Und...ich...ich will dich nicht verlieren, weil...weil-" er bricht erneut ab und senkt seinen Blick. Ein verdächtiges Schniefen erklingt und lässt mich schlucken. Er darf jetzt nicht weinen. Ich weiß nicht, ob ich das verkraften würde.
"Ich liebe dich", haucht er, seine Stimme gebrochen und zitternd. "Wenn...kann ich denn gar nichts tun, damit du mir verzeihst?"
Tief atme ich durch, schüttele langsam meinen Kopf und versuche ihn nicht anzusehen.
Erneut erklingt ein Schniefen und dann ein Laut, der alles in mir zu zerreißen droht.
Harry weint, verbirgt sein Gesicht hinter seinen Händen und ich muss meinen Kopf zur Seite drehen, damit ich ihn nicht ansehe. Nur zu gerne würde ich ihn in meine Arme nehmen, ihm sagen, dass alles wieder gut werden wird und dass ich ihn auch liebe - aber wäre das nicht gelogen?
Natürlich liebe ich ihn. Das ändert sich auch nicht so schnell, denn dieser Idiot hat mir nun mal einfach mein Herz geklaut.
Aber er hat mich belogen. Von Anfang an und die Kunstdiebsache kommt noch hinzu."Hör mit dem Scheiß auf", fordere ich nach einem Moment der Stille und traue mich dann endlich, meinen Blick wieder auf ihn zu legen. Harrys Kopf hebt sich, seine Finger fahren über die geröteten Augen und ein weiteres Schniefen ertönt.
"Hör mit diesem ganzen Diebstahlmist auf."
Seine Augen weiten sich und er schüttelt kaum merklich seinen Kopf.
"Das kann ich nicht."
Ich muss meine Augen schließen und mich verdammt stark konzentrieren, damit ich ihm nicht meine heiße Teetasse über den Schädel ziehe.
"Du kannst nicht", spotte ich und knalle meine Tasse etwas zu energisch auf meinen Tisch.
"Du kannst nicht?!"
Aufgebracht stehe ich vom Sofa auf, wickele mir die Wolldecke vom Körper und schüttele fassungslos meinen Kopf.
"Dein beschissener Ernst?!"
Harry seufzt.
"Es...ich weiß auch nicht, aber..." sein Kopf hebt sich und plötzlich liegt in seinen Augen ein gewisser Glanz. Beinahe Vorfreude und Begeisterung, wenn man es so nennen kann.
"Es ist wie ein Rausch, Louis. Ein richtiger Adrenalinkick!"
Nun steht auch er auf und dreht sich einmal im Kreis, ehe er sich selbst umarmt und dabei ein wenig wie ein Psychopath aussieht.
"Dieses Kribbeln in meinem Bauch, die Aufregung, das Adrenalin, welches durch den Körper saust und dann der Moment, wo man es hinter sich hat... es ist... keine Ahnung, es fühlt sich wie der geilste Trip der Welt an."
Ich bin wahrlich fassungslos.
"Dann geh Fallschirmspringen, verdammte Scheiße! Wenn es dir um diesen beschissenen Adrenalinkick geht, kannst du auch andere Sachen machen."
Ich verstehe das nicht.
Doch Harrys Augen leuchten immer mehr, während sich auf seine Lippen ein begeistertes Lächeln legt.
"Ich bin süchtig nach diesem Gefühl und... wenn du es nur einmal spüren würdest....es ist einfach unglaublich."
Verständnislos sehe ich den Mann in meinem Wohnzimmer an, dann schüttele ich meinen Kopf.
"Geh."
Harrys Kopf hebt sich, seine Augen weiten sich und sein Blick fällt binnen eines Wimpernschlags.
"Was?"
"Verschwinde!"
"Aber-"
"Verschwinde, habe ich gesagt!"
Er macht zwei große Schritte und steht direkt vor mir. Seine Hände greifen nach meinen, aber ich weiche einen Schritt zurück und schüttele meinen Kopf.
"Aber ich liebe dich, Lou."
Traurig senke ich meinen Kopf, merke, wie die Trauer sich immer mehr in mir ausbreitet und die Wut damit in eine der hinteren Ecke drängt. Jetzt fühle ich einfach nur den Schmerz.
"Anscheinend nicht genug, damit du diesen Mist hinter dir lassen kannst."
Ein weiterer Schritt von ihm und er steht wieder genau vor mir. Dieses Mal entziehe ich ihm meine Hände nicht und lasse zu, wie er diese in die seinen nimmt und einen sanften Kuss auf meine Fingerknöchel haucht.
Ich schlucke die Tränen herunter, welche diese Geste in mir auslösen und will einfach nur noch, dass er aus meinem Leben verschwindet.
Hätte ich ihn doch nur niemals kennengelernt."Aber May kann es doch auch. Wir können das schaffen, Love."
Ich löse meine Hände aus seinen, drehe mich wortlos um und steuere meine Wohnungstür an.
May kann es eben nicht. Sonst hätte sie mich nicht gebeten, diesen ganzen Mist hier zu beenden. Sie erträgt es, aber mehr auch nicht. Und ich bin nicht gewillt, das alles zu ertragen.
Mein Blick hebt sich, während ich meine Tür öffne und ich Harry auffordernd anschaue.
"Verschwinde endlich."
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Der Kunsthändler
Fiksi PenggemarDie Polizei ist schon eine lange Zeit auf der Suche nach dem Kunstdieb "Picasso". Leider kann er jedes Mal aufs Neue unbemerkt vom Tatort verschwinden und hinterlässt eine exakte Kopie der Gemälde, die er an sich nimmt. Kunsthändler und Experte Har...