Du hast ihn gerade verpasst.

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Ich warte sicherheitshalber noch wenige Minuten, bis ich Harry nicht mehr auf den Monitoren ausmachen kann. Der Sicherheitsmann beäugt mich skeptisch, doch das ist mir egal. Soll er doch denken, was er will.

"Du hast ihn gerade verpasst" erklärt Liam mir, als er mir auf halbem Wege entgegenkommt. Ich tue überrascht und hebe das Videoband in die Höhe.
"Ihr seid schon fertig?", will ich wissen und bekomme ein Nicken als Antwort, während mir mein Kollege das Video abnimmt und es argwöhnisch betrachtet.
"Wann steigen sie endlich auf USB um? Mit diesen alten Dingern kann man Wände bauen."
Leise lache ich auf, schiebe meine Hände in die Jackentasche und schlendere neben meinem besten Freund den langen Gang entlang, auf dem Weg nach draußen.
"Ich glaube unser lieber Kunstexperte war etwas enttäuscht, dass du nicht da warst."
Mein Kopf schießt ungewollt schnell in die Höhe, weswegen mein Kollege mich schmunzelnd ansieht.
"Ich sage ja, er steht auf dich."
"Bullshit! Vermutlich war er nur überrascht, weil ich sonst immer da war."
"Überrascht...mhhh...na klar."
"Liam!" mahne ich meinen besten Freund, doch der scheint das alles hier einfach nur lustig zu finden. Würde ich vermutlich auch, wenn wir hier nicht gerade über meinen Ex-Freund sprechen würden.
"Er hat das Gemälde jedenfalls mitgenommen und meinte, dass er sich bei uns melden wird."
Nickend trete ich aus dem Gebäude heraus und bin erleichtert, als eine kühle Brise mir um die Ohren weht. Innerlich scheine ich zu glühen und der kalte Wind ist ein wundervoller Kontrast zu meiner warmen Haut.
"Was hältst du von der ganzen Sache?"
Unschlüssig zucke ich mit meinen Schultern, steige in den Streifenwagen und lege meinen Gurt an. Liam nimmt neben mir Platz, startet den Wagen und reiht sich in den mäßigen Verkehr ein.
"Keine Ahnung", gestehe ich ehrlich. "Entweder ist es eine weitere Fälschung, weil er sich über uns lustig machen will, oder er hat keine Lust mehr auf das Bild? Ich habe wirklich keinen Plan."
"Vielleicht ein schlechtes Gewissen?"
Zögerlich nicke ich. "Das kann schon sein, aber darauf würde ich nicht bauen."

Dennoch ist es genau diese Vermutung von Liam, die mich den ganzen restlichen Tag nicht zur Ruhe kommen lässt.
Hat er wirklich ein schlechtes Gewissen und hat das Gemälde deshalb zurückgebracht?
Oder hat er es sogar gemacht, um mich zu besänftigen?
Aber würde das was ändern?
Ich habe absolut keine Ahnung.

Und wie sehr mich diese Frage in den Wahnsinn treiben wird, bekomme ich schon wenige Tage später zu merken.
Harry hört damit nämlich nicht auf.
An drei aneinander folgenden Tagen bricht er in ein Museum ein und stellt das gestohlene Gemälde zurück an Ort und Stelle. Jedes Mal ungesehen, jedes Mal erfolgreich.

Und heute, am vierten Tag, komme ich leider nicht drumherum ihm aus dem Weg zu gehen.
Ob es Liams Absicht ist, weiß ich nicht. Aber sein Grinsen nach zu urteilen schon.
Schneller als ich gucken kann, verschwindet er mit der Security im Schlepptau, damit er das Überwachungsmaterial sichern kann und lässt mich somit am Gemälde alleine. 
Sicherlich denkt er, dass eine kleine Flirterei mit dem Kunsthändler mich auf andere Gedanken bringt. Mich von meinem Liebeskummer, den ich wegen meines Ex-Freundes habe, ablenkt.
Dass er genau das Gegenteil damit bezweckt, kann er nicht wissen.

Schöne Scheiße.

Als das mit nur allzu bekannte Klackern von Absätzen erklingt, halte ich die Lust an und merke, wie mein gesamter Körper sich anspannt. 
Ich bin definitiv nicht bereit dazu, ihn zu sehen.
Oh wahrlich nicht!
Und kaum biegt Harry um die Ecke, möchte ich mich am liebsten direkt hier auf dem teuren Boden übergeben.
Als er mich erblickt, sieht er überrascht aus. Sicherlich hat er heute auch wieder mit Liam gerechnet. Doch kaum ist die Überraschung gewichen, schleicht sich ein sanftes und unsicheres Lächeln auf seine Lippen. 
Dieses Lächeln macht alles nur noch schlimmer.
"Gehst du mir heute nicht aus dem Weg?" möchte er wissen, als er vor mir stehen bleibt und mich einen winzigen Augenblick mustert. 
Die Uniform.
Scheiße. Er sieht bezaubernd aus, heute. Dieser mintgrüne Anzug steht ihm ausgesprochen gut und seine Haare sind zu einem ordentlichen Dutt gebunden. Ich liebe es, wenn er sie so trägt.
"Liam hat mir leider keine andere Wahl gelassen", brumme ich und versuche ihn nicht zu sehr zu mustern.
Er nickt, betrachtet dann das Gemälde und weiß ganz genau, dass er vor mir seine dumme Show nicht anziehen muss.
Wir wissen beide, dass dieses hier das originale Gemälde ist. 
Seine Augen verlassen das Gemälde nicht, dennoch vernehme ich ein leises Seufzen. 
"Du fehlst mir schrecklich, Louis"
Ich kneife meine Augen zusammen.
Ein schneidender Stich zieht durch mein Herz und mein Magen zieht sich zusammen.
"Kannst... besteht die Möglichkeit, dass wir noch einmal über alles reden?"
Nun verlassen seine Augen doch das Gemälde und er sieht zu mir. Seine Augen haben jeglichen Glanz verloren und er sieht einfach komplett verloren aus. Alles in mir schreit danach, ihn in meine Arme zu nehmen. Ihn zu trösten, bei ihm zu sein.
"Harry..."
"Bitte, Louis. Ich....ich habe das Gefühl, dass ich ohne dich durchdrehe."
Ich muss schlucken und wende meinen Blick ab. 

Wieso muss Liebe eigentlich immer wehtun?
Warum kann es nicht einfach genauso wie in jeder, kitschigen Liebesromanze ablaufen?
Warum muss es immer ein Drama geben?

Erneut schließe ich meine Augen und atme tief durch. 
Ich habe keine Ahnung, was in meinem dämlichen Gehirn los ist, aber ehe ich realisiere, was ich da genau sage, verlassen die Wörter auch schon meinen Mund.
"Ich werde heute Abend zu dir kommen."

Der Kunsthändler Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt