Ich schaffe das.

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"Sie ist das Gehirn?", wiederhole ich und komme nicht umher, May in einem anderen Licht zu sehen. 
Ist sie vielleicht doch nicht so unwissend, wie sie vorgegeben hat?
"Gott, doch nicht so, wie du denkst. Immer diese scheiß Bullen, die alles falsch verstehen wollen."
Okay? Die Beamtenbeleidigung ignoriere ich jetzt mal netterweise.
"Ich meine, zwischen May und mir. Sie ist definitiv die klügere von uns beiden. Eigentlich ist sie sogar die klügste Person, die ich kenne. Ich meine... sieh sie dir an. Sie ist perfekt."
Zayn seufzt und scheint mit seinen Gedanken bei seiner Freundin zu sein. Auf seinen Lippen erscheint ein warmes Lächeln, welches mir mehr Angst macht, als seine bisherige Erscheinung.
"Sie spielt Schach, Geige und kann sieben Sprachen. Sieben! Vor kurzem hat sie mit Mandarin angefangen. Einfach nur so, weil ihr langweilig war. Hinzu kommt, dass sie der empathischste Mensch der Welt ist, auch wenn sie das nicht immer zeigt. Und sie ist unglaublich hübsch. Ich habe wirklich großes Glück mit ihr."
Wow. Ich sehe Zayn plötzlich mit ganz anderen Augen. 
Er scheint ja doch nicht so ein Arschloch zu sein, wie ich bisher angenommen habe.
"Wenn sie also keine Lösung für unser Problem hat, dann vermutlich niemand."
Ich nicke, als plötzlich die Tür zum Atelier auffliegt und keine Geringere als May hineinschneit.
Strahlend kommt sie in den Raum, lässt sich schwungvoll auf Zayns Schoß fallen und verwickelt ihn in einen Kuss, der bei weitem nichts mit einem harmlosen Begrüßungskuss zu tun hat. 
Etwas unbeholfen starre ich an die Decke. Ist das Gespräch jetzt zu Ende? Soll ich lieber gehen?
Doch genauso schwungvoll wie May sich hat fallen lassen, springt sie auch wieder auf und sieht mich mit einem überglücklichen Lächeln an.
"Schön, dich zu sehen, Louis."
Sie greift nach einer Wasserflasche, welche auf einem der Tische steht, öffnet diese und riecht daran. Angewidert schraubt sie die Flasche wieder zu und sieht zu ihrem Freund.
"Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du die Verdünnung nicht in Wasserflaschen füllen sollst? Willst du, dass ich sterbe? Eines Tages werde ich dieses Zeug aus Versehen trinken und dann haben wir den Salat."
Zayn will etwas sagen, doch dann dreht sich May wieder zu mir und ignoriert ihren Freund somit.
"Also... da du hier in diesem Atelier bist und ich eine bedrückende Stimmung spüren kann, nehme ich an, dass ihr über Harry gesprochen habt. Und da Zayn dich noch nicht umgebracht habt, scheint es ein mehr oder weniger erfreulicher Grund zu sein, oder? Bitte sag ja, Louis. Sag mir, dass es einen erfreulichen Grund gibt."
Diese Frau überfordert mich gerade ein wenig. 
"Ähm... ich weiß nicht genau", gestehe ich und sehe unsicher zu Zayn, welcher seine Freundin allerdings wie ein verliebter Trottel anstarrt. 
Gar nicht gruselig.
"Ich... eigentlich bin ich hier, weil ich Harry noch eine Chance geben wollte", beginne ich einfach mal und ignoriere Mays kleinen Freudenschrei.
"Aber dann hat er mir gesagt, dass er nicht mit diesen Kunstdiebstählen aufhören kann. Zumindest noch nicht."
May seufzt und nickt.
"Klassisches Suchtverhalten. Aufschieben und sich einreden, dass es so besser klappt. Niemand ist Fan von einem kalten Entzug."
Ihr ist aber schon klar, dass wir hier nicht von Heroin sprechen, oder?
"Und jetzt weißt du nicht, was du machen sollst? Ob du ihm vertrauen kannst und er wirklich aufhören wird? Und ob du das mit deinem Gewissen vereinbaren kannst?"
Sprachlos nicke ich und sehe erneut zu Zayn, welcher mich wissend angrinst. 
Sein Blick schreit gerade zu: Ich habe es dir gesagt!

"Okay, Louis. Ich glaube tatsächlich, dass du der Einzige bist, der Harry dazu kriegen kann. Du bedeutest ihm so verdammt viel, dass er es aufgeben möchte, aber noch nicht kann. Vergleich ihn am besten mit einem Drogenabhängigen. Sein Verhalten gleicht dem komplett. Er will, kann aber nicht. Und der Gedanke daran, aufzuhören, breitet Panik in ihm aus, gleichzeitig hat er Angst, dass er dich dadurch verlieren wird."
"Toll und jetzt?", möchte ich wissen und bin wahrlich ratlos.
"Setz ihm eine Frist und dann schauen wir weiter."

Setz ihm eine Frist.
Toll.
Ich soll also munter dabei zuschauen, wie Harry weiterhin seinen Arsch riskiert und dabei eine Straftat begeht, bis er endlich so weit ist, diesen ganzen Scheiß zu lassen?
Klingt für mich jetzt nicht nach der perfekten Lösung.

Ich seufze, als ich das Schlafzimmer wieder betrete, bleibe dann allerdings in der Tür stehen.
Harry liegt auf dem Rücken auf seinem Bett und starrt an die Decke. An sich nichts Schlimmes, allerdings zeichnet sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck ab, der sich mein Herz zusammenziehen lässt.
"Hey", hauche ich leise, betrete den Raum und setze mich dann auf die Kante des Bettes. Harrys Blick ist weiterhin auf seine Zimmerdecke gerichtet, dein Blick ängstlich und gebrochen.
"Ich habe nicht damit gerechnet, dass du wieder kommst", haucht er, meidet meinen Blick.
"Warum nicht?"
Eine richtige Antwort bekomme ich nicht. Lediglich ein Schulterzucken. 
Scheiße.
Ihn so zu sehen, tut mir weh.
Richtig weh.
Ich lege mich ebenfalls hin, lege mich quer zu Harry und bette meinen Hinterkopf auf seinem Bauch. Meine Augen haften nun ebenfalls an der Zimmerdecke, als ich leise seufze.
"Ich bin mir absolut nicht sicher, ob das hier alles richtig ist", gestehe ich und merke, wie sich Harry unter mir anspannt.
"Diese Diebstähle sind der absolute Horror für mich."
Mein Herz wummert wie wild, als ich mich auf die Seite drehe und somit einen Blick auf Harry habe. Auch er senkt seinen Blick, sieht mich inzwischen an, während seine rechte Hand in meine Haare gleitet.
"Ich gebe dir zwei Wochen, Harry. Zwei beschissene Wochen, mehr kann ich nicht."
Seine Augen weiten sich und der Griff in meinen Haaren wird fester.
"W...Was?"
"Du musst es schaffen, in den zwei Wochen aufzuhören. Wenn du es kannst, bleibe ich für immer bei dir. Wenn nicht, dann war es das und du siehst mich nie wieder."
Blitzartig richtet sich der Lockenkopf auf, wodurch ich von seinem Bauch rutsche und mit dem Kopf in seinem Schoß liege. Seine Augen spiegeln pure Verwirrung wider.
"Du... du gibst mir also wirklich eine Chance?"
Auch ich richte mich auf und nicke unsicher.
"Zwei Wochen, Harry."
Eifrig nickt er, greift nach meinen Händen und haucht mir liebreizende Küsse auf meinen Handrücken.
"Ich schaffe das", murmelt er, zieht mich an sich und nickt immer wieder.
"Ich schaffe das. Zwei Wochen. Kein Problem."
Ein Räuspern verlässt meinen Mund und sein Nicken hört auf. 
"Ich werde dir nicht helfen. Keine Warnungen, Nichts. Und wenn es hart auf hart kommen sollte, muss ich dich festnehmen. Noch einmal kann ich dich nicht laufen lassen."

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