Ach, Sie sind es

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"Ich halte diese Idee für äußerst dämlich", brumme ich, nippe dabei an meinem Kaffee und schaue aus dem Streifenwagen.
Liam und ich haben Nachtschicht und mein bester Freund hatte vor wenigen Stunden die glorreiche Idee, dass wir uns einfach vor einem Museum auf die Lauer legen.
Jetzt sitze ich hier, mit ekelhaftem Tankstellenkaffee und einem miesen Radiosender.
"Warum? Das kann klappen".
Ich verdrehe meine Augen. "Warum sollte Picasso ausgerechnet heute Nacht in dieses Museum einbrechen? Ein Lottogewinn ist wahrscheinlicher." Mein Kollege brummt genervt. "Ich finde die Idee gut."
Im Radio wird zum zweiten Mal in dieser Stunde Paradise City von Guns N' Roses angespielt und ich bekomme wahrlich einen Lagerkoller. Ich bin für Beschattungen einfach nicht gemacht. Für sowas bin ich viel zu ungeduldig.
"Ich vertrete mir die Beine", kläre ich Liam auf und verlasse den Wagen, ohne auf eine Antwort von ihm zu warten.

Das Museum ist dunkel. 
Lediglich einige Außenleuchten erhellen das Gebäude und ich beneide den Nachtwächter nicht. Vermutlich würde ich mir nachts in diesem Ding vor Schiss in die Hose machen. 
Mittelalterliche Kunst, steht auf einem Plakat, welches auf die aktuelle Ausstellung hindeutet. In vier Wochen steht dann alles in dem Motto viktorianisches Zeitalter.
Keine Ahnung, was die Menschen daran toll finden. Ich kann diese Begeisterung nicht teilen.
Wenn Harry jetzt meine Gedanken hören würde, würde er die Augen verdrehen und mir einen stundenlangen Vortrag über die wundervolle Schönheit solcher Objekte halten. 
Wäre nicht das erste Mal.

Bei den Gedanken an meinen Lockenkopf bildet sich unweigerlich ein Lächeln auf meine Lippen. 
Zwischen uns läuft es einfach nur gut. Es ist harmonisch und es vergeht so gut wie kein Tag, an dem wir uns nicht sehen. 
Erst heute Morgen hat er mich mit einem Frühstück im Bett überrascht, wobei das anschließende Dessert mein persönliches Highlight war. 
Aber wer würde zu einem nackten Harry schon nein sagen?
Ich jedenfalls nicht.
Mein Herz wummert gegen meine Brust, als die Bilder von heute Morgen vor meinem inneren Auge auftauchen. Wie verdammt kann ein Mensch nur so umwerfend aussehen? 

Ich biege nach links und befinde mich neben dem Museum. 
Hier gibt es keinerlei Beleuchtung mehr und lässt dieses alte Gebäude nur noch gruseliger wirken. 
Vielleicht sollte ich Harry bald vorschlagen, dass wir gemeinsam in den Urlaub fahren.
Nur wir beide, den ganzen Tag in Badehose - oder eben ohne. Portugal soll schön sein.
Ich biege erneut nach links ab und stocke.
Hat sich da gerade was bewegt?
Sicherlich nur eine Katze.
Wir sollten definitiv in den Urlaub fahren. Dann habe ich Harry auch komplett für mich alleine und bekomme keine Todesblicke, von einem überfürsorglichen besten Freund, der anscheinend irgendwie bei Harry wohnt. Zumindest ist Zayn immer da, wenn ich da bin und das ist so gut wie jeden Tag. 
Wenn ich nur wüsste, was sein verdammtes Problem mit mir ist.

Moment!

Da hat sich doch schon wieder was bewegt.
Ich hebe meine Hand und leuchte mit meiner Taschenlampe in die Richtung, aus der ich die Bewegung ausmachen konnte. Doch wie zu erwarten, starren mich leuchtende Katzenaugen an. 

Ich sollte May fragen, was das beschissene Problem von ihrem Freund ist. Wenn sie es nicht weiß, wer dann? Es ist bestimmt auch in ihrem Interesse, dass Zayn und ich unser Kriegsbeil begraben. Die Abende bei Harry würden so viel harmonischer ablaufen.

Wieder biege ich links ab und habe das Gebäude somit fast umrundet.
Wenn dieser ganze Picasso-Scheiß vorbei ist, werde ich Harry auch Liam und Niall vorschlagen.
Allerdings, wenn Liam weiter so macht, dann wird das vermutlich schon eher geschehen. 
Seit er weiß, dass mein Freund irgendwie mit unserer Arbeit zusammenhängt, begutachtet er jeden Mann im Revier mit Adleraugen und versucht herauszufinden, ob zwischen irgendwem und mir die Luft knistert.
Das tut sie, aber das bekommt Liam Gott sei Dank nicht mit.
Ihm fällt es nicht auf, wenn Harry und ich uns mit unseren Blicken verschlingen. Harry hat es schon von Anfang an getan und vermutlich zieht Liam darauf keinerlei Schlüsse.
Ich - okay, das bilde ich mir jetzt aber nicht ein.
Da war gerade wirklich was.

Der Lichtstrahl meiner Taschenlampe gleitet das Gebäude herauf und tatsächlich, eines der Fenster steht offen. Und wenn ich nicht vollkommen Banane im Kopf bin, habe ich gerade eine Bewegung an genau diesem Fenster gesehen.

Ich greife nach meinem Funkgerät und drücke auf den Knopf. "Liam?".
Ein Knacken ist zu hören, dann die genervte Stimme meines besten Freundes. "Nein, wir fahren nicht zurück zum Revier". "Halt mal den Mund, du Vogel", grätsche ich dazwischen und lasse das Fenster nicht aus den Augen. "Hier ist ein Fenster offen und wenn mich nicht alle Sinne täuschen, habe ich gerade gesehen, wie jemand eingestiegen ist."
Kurz herrscht Stille, als es erneut in der Leitung knackt. "Kein Scheiß?". "Kein Scheiß".
"Wir gehen rein".
So schnell ich kann, eile ich zum Haupteingang des Gebäudes. Liam steht bereits vor der Tür, als ich ankomme. Der Sicherheitsmann weiß natürlich, dass wir vor Ort sind und hat uns in weiser Voraussicht einen Ersatzschlüssel gegeben. So muss niemand die Tür eintreten und wir verlieren auch keine kostbare Zeit, wenn er erst durch das gesamte Gebäude rennen muss, damit er uns die Tür öffnen kann.

So leise wie es irgendwie nur geht, schleichen wir uns in den ersten Stock. Das Gebäude hat insgesamt vier Stockwerke, wovon aber sicherlich nur der Erste für den Einbrecher interessant sein wird. Zumindest, wenn es sich bei dem Einbrecher um Picasso handelt. 
Bei jedem Schritt, den wir der Ausstellung näher kommen, wird das Klopfen in meiner Brust stärker und die Nervosität breitet sich in meinem gesamten Körper aus. 

Hat das hier gleich alles ein Ende?

Als Schritte zu hören sind, halte ich automatisch die Luft an. Meine Hand legt sich wie automatisch an mein Holster, da werde ich auch schon von einem grellen Lichtstrahl geblendet. 
Fluchend halte ich mir die Hand vor die Augen und höre, wie Liam leise vor sich hin meckert.
"Ach, Sie sind es", bölkt die Stimme des Wachmannes, welche durch den hallenartigen Raum hallt, wie durch eine Kathedrale.

Tja, das war es dann wohl.
Wenn uns der Einbrecher jetzt nicht gehört hat, dann ist er entweder taub, oder einfach nur dumm.

"Ich habe Schritte gehört und bin sofort hergekommen. Ich dachte, dass vielleicht endlich dieser Dieb eingebrochen ist und ich ihn festnehmen kann, aber dann stehen Sie auf einmal vor mir und sind gar nicht der Dieb", plappert er vor sich hin und ich stöhne genervt auf. Mein Blick gleitet zu Liam, welcher mich ansieht und nickt. 
Ohne den Wachmann weiter zu beachten, gehen wir weiter durch den großen Raum, biegen einmal ab und kommen dann bei den Gemälden an, welche unser Dieb persönlich bevorzugt. 

Doch wie zu erwarten, befindet sich hier niemand. 

Meine Taschenlampe gleitet über die Wände, doch ich kann nichts erkennen, was auf einen Tausch hindeutet. Hier sind eh alle Bilderrahmen unterschiedlich und somit unmöglich für mich, eine Fälschung zu vermuten. Als der Lichtstrahl dann das Fenster trifft, welches ich von draußen aus gesehen habe, fluche ich erneut auf. 
Es ist geschlossen.

Picasso ist also auf und davon.

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