Ich muss vollkommen bescheuert sein!

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Mit angehaltener Luft gehe ich in meinem Kopf die Möglichkeiten durch.
Viele sind es nicht und als ich den Unbekannten fast schon vor meiner Nase habe, setze ich auf den Überraschungsmoment und schieße hinter der Säule hervor.

Ein erschrockenes Japsen erklingt vom Unbekannten und während er noch komplett verwundert ist, packe ich mir seine Arme, drehe diese hinter den Rücken und befördere den Dieb zu Boden. 
Mein Herz wummert stark in meiner Brust, meine Finger zittern, während der Unbekannte wild vor sich her zappelt. 
Vergeblich, denn aus diesem Griff kommt er so einfach nicht mehr raus. 

Ich greife nach meinen Handschellen, fixiere sie an den Handgelenken des Diebes und atme zitternd ein, als ich die schwarze Skimaske begutachte.
Innerlich bete ich zu Gott, dass es sich hier nicht um meinen Freund handelt und beinahe schon wie in Zeitlupe, lasse ich meine Hand zu dem schwarzen Stück Stoff gleiten. Das Zappeln hat der Dieb mittlerweile eingestellt, wobei sich sein Brustkorb verdächtig schnell hebt und senkt. 

Bitte lass es nicht Harry sein, denke ich und ziehe die Skimaske langsam über das Gesicht des Unbekannten.

Scheiße.

Grüne Augen sehen mich an.
Grüne Augen, die ich nur zu gut kenne.
Grüne Augen, in denen ich mich schon so oft verloren habe und die ich eigentlich liebe.

Harry sagt kein Wort.
Er blickt mich einfach nur stumm an, während sich die Welt um mich herum zu drehen beginnt.
"Fuck", entflieht es meinem Mund und ich schüttele den Kopf.
Er ist es also wirklich.
Mein Bauchgefühl hatte also recht. 

Und plötzlich ergibt auch alles Sinn.
Die nächtlichen Auktionen, Zayns Worte und dessen seltsames Verhalten - ja einfach Alles.
"Ich fasse es nicht", hauche ich und schüttele meinen Kopf.
"Love-" - "Halt die Klappe!", zische ich und unterbreche ihn dabei.

Ich stehe auf, raufe mir durch meine Haare und merke eine bleierne Übelkeit in mir aufkommen. 
"Fuck, Fuck, Fuck!"
Was mache ich denn jetzt?

Noch einmal schaue ich zu Harry, welcher am Boden liegt und mich wachsam beobachtet. Ich weiß nicht, was er denkt, was in seinem Kopf vorgeht und vielleicht ist es auch besser so.
"Du hast mich die ganze Zeit belogen", flüstere ich und schüttele abermals meinen Kopf.
Die Vorahnung war schon beschissen, aber jetzt, dieses Gefühl in mir ist einfach nicht in Worte zu fassen. 
"Ich war einfach nur Mittel zum Zweck."
Natürlich.
Von mir konnte er ja bestens erfahren, ob wir ihm auf die Schliche kommen, oder nicht.
Wie dumm und naiv kann ich denn eigentlich sein?

"Love, nein."
Harry schüttelt den Kopf, will aufstehen, bekommt es aus seiner Haltung allerdings nicht hin. 
"Meine Gefühle für dich sind echt. Ich liebe dich."
Schnaufend verdrehe ich meine Augen.
Wer's glaubt. 
"Louis, bitte. Ich liebe dich."
Mein Blick gleitet zurück zu ihm und ich komme ins Stocken. Sein Blick hat sich verändert, zeigt nun Schmerz und auch seine Augen scheinen zu glänzen. 
"Zweifele nicht an meinen Gefühlen, Louis. Bitte", fleht er und das Schimmern in seinen Augen wird mehr. 
Überfordert drehe ich mich einmal im Kreis, sehe durch den Raum und dann zum Fenster.
Ich schalte mein Funkgerät wieder an und sehe erneut zu Harry.
Mein Gehirn dreht sich und ich überlege hin und her, möchte am liebsten laut schreien, während mein Kopf sich so anfühlt, als wenn er jeden Moment in tausend Teile zerbricht. 
Von meinem Herzen ganz abgesehen.

Plötzlich knackt mein Funkgerät und ich höre Liams Stimme.
"Was gesichtet?", will er wissen und die Nervosität kehrt zurück. Er kann jeden Moment hier auftauchen. Er oder Smulder.
Erneut geht mein Blick zum Fenster, dann zu Harry.
"Fuck! Ich werde mich dafür hassen", murmele ich und beuge mich zu meinem...was auch immer, herunter.
"Ich will eine ausführliche Erklärung haben", zische ich, öffne die Handschellen und stehe wieder auf. 
Harry erhebt sich ebenfalls, will einen Schritt auf mich zu machen, doch ich weiche kopfschüttelnd zurück.
"Du wartest gleich ein paar Minuten und verschwindest dann von hier." Ich deute auf das Fenster. "Und wenn meine Schicht vorbei ist, will ich Klartext reden."
Harry nickt und geht zum Fenster. Er sieht hinaus, dann zu mir, schweigt aber.
"Ich muss vollkommen bescheuert sein."
Tief atme ich durch, dann drücke ich den Knopf an meinem Funkgerät.
"Leute!", gebe ich hastig von mir und sprinte los.
"Er ist vor mir! Ich kann ihn sehen. Er rennt Richtung Keller!"
Eilig renne ich die Treppen hinunter, als sich Smulder meldet.
"Von dort aus gibt es nur einen Ausgang auf der westlichen Seite"
Gut, dass ich mir in seinem Büro den Lageplan eingeprägt habe.
"Verdammt! Bin gleich bei dir, Louis", höre ich Liam verzerrt und dann noch: "Alle Security zur Westseite. Er darf uns nicht entkommen!"

Vor der Kellertür bleibe ich keuchend stehen. 
Es dauert keine zwei Sekunden, da erscheinen Smulder und Liam neben mir und sehen mich an.
"Er ist hier rein", erkläre ich und greife ich meine Seite. 
Der Fitteste bin ich auch nicht mehr.
"Dann sitzt er uns in der Falle", freut sich Smulder und ihm ist anzuerkennen, dass er das hier viel zu sehr genießt.
Vermutlich ist es das Spannendste, was er jemals in seinem Beruf erlebt hat. 
Erneut knacken unsere Funkgeräte.
"Wir stehen jetzt alle vor der Tür. Wenn es nur diesen einen Ausgang gibt, läuft er uns direkt in die Arme."
Liam und ich sehen uns an, ein Nicken folgt und dann stürmen wir den Keller.

"Verdammt, wie groß ist das hier?", will Liam wissen und leuchtet mit seiner Taschenlampe durch den Raum.
"Dieser Raum hier beträgt stolze 370m²", erklärt Smulder und leuchtet ebenfalls in die Ecken. 
"Er kann überall sein", gebe ich zu bedenken und schaue mich ebenfalls um. Wohl wissend, dass Harry nicht hier ist. 
"Smulder? Ordern Sie einige von den Securitys hier her. Die sollen uns lieber hier im Keller helfen."
Der Wachmann nickt, nimmt sein Funkgerät und gibt die Ansage von Liam durch.
Nur wenige Minuten später sind vier weitere Männer im Keller und helfen uns bei der Suche, während zwei von den übrigen Wachleuten die Tür beobachten. 

Die Tür, aus der Harry niemals rauskommen wird. 

Der Kunsthändler Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt