Am Ende bin ich verloren

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Mühsam schaffe ich es, meine Augen zu öffnen.
Ein leichter Schmerz zieht durch meine Schläfe und erinnert mich an meinen Alkoholkonsum vom Vortag. Gähnend drehe ich mich auf den Rücken, reibe mir über meine Augen und blinzele verdutzt, als mir bewusst wird, dass das hier nicht mein Schlafzimmer ist.

Oh Scheiße!

Mein Blick schießt zur rechten Betthälfte, auf der Harry liegt - nackt.
Er hat einen Waschlappen auf seinem Gesicht liegen, die Bettdecke liegt zusammen gestrampelt am Fußende und unweigerlich kommen die Erinnerungsfetzen der vergangenen Nacht in meinem Kopf an.
Ich kann nicht verhindern, dass meine Augen über seinen nackten Körper gleiten, mich einen kurzen Moment dieses Abbild genießen lassen, bis ich brummend meine Augen schließe und meine Hände über mein Gesicht lege.

Verdammt.
Das hätte nicht passieren dürfen.

Ich reibe mit meinen Zeigefingern über meine Schläfe, versuche zu blinzeln und den Schlaf aus meinen Augen zu bekommen. Plötzlich bewegt sich Harry neben mir, nimmt sich den Waschlappen vom Gesicht und sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an.
„Explodiert dein Kopf auch gleich?", möchte er wissen, seine Stimme rau und tief.
Ungewollt erschaudere ich bei diesem Klang.
„Ich war betrunkener, als ich dachte", murmelt er und dreht sich auf die Seite.

Sein Blick liegt auf mir, durchbohrt mich regelrecht und als ich es dann endlich über mich bringe, ihn ebenfalls anzuschauen, kommen erneut Erinnerungen der letzten Nacht in mir auf.
Harry seufzt leise und richtet sich auf. Er zieht es nicht einmal in Betracht, sich irgendwie zu verdecken.
„Okay. Bevor du hier gleich panisch das Haus verlässt, lasse ich uns von Norma ein Frühstück machen und dann reden wir über gestern."
Ich möchte etwas dagegen sagen, will ihm widersprechen, aber da steht er schon auf und verlässt das Zimmer.
Immer noch nackt.

Verfluchte Kacke, Tomlinson.
Was ist nur über dich gekommen?

Um die Bilder in meinem Kopf loszuwerden, kneife ich meine Augen zusammen, drehe mich auf die Seite und drücke meinen Kopf in das weiche Kissen.
Harrys Kissen.
Es riecht nach ihm und beschert mir ein unliebsames Bauchkribbeln.
Nicht gut.
Gar nicht gut.

„Sie wird es uns gleich bringen", erklingt Harrys Stimme wenig später und ich vernehme die Zimmertür, die sich wieder schließt.
Er krabbelt zurück in das Bett, zieht sich die Bettdecke über den Körper und legt sich dicht neben mich. Seine Hand findet den Weg in meine Haare und auch wenn ich es nicht möchte, genieße ich das Gefühl seiner Finger auf meinem Kopf.
„Du brauchst dir keine Gedanken darüber machen, dass ich jetzt denke, dass alles wieder gut ist. Ich weiß, dass du dir gerade Vorwürfe machst und die Nacht mehr als bereust."
Seine Stimme wird von einem Hauch Schmerz begleitet und unweigerlich bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil ich für den Schmerz verantwortlich bin.
„Aber ich habe es genossen", gesteht er leise und krault weiterhin meinen Kopf. Sehr genossen.
Brummend öffne ich meine Augen, möchte etwas sagen, als es klopft und Norma das Zimmer betritt.
„Einen wundervollen guten Morgen, ihr zwei", begrüßt sie uns mit einer Singsangstimme und stellt ein vollbeladenes Tablett auf das Fußende des Bettes.
„Lasst es euch schmecken und wenn ihr noch etwas braucht, schreit einfach."
Gut, dass ich die Bettdecke über mich gezogen habe. Nicht nur Harry hat keine Kleidung an und ich bin nicht scharf darauf, dass Norma mich nackt sieht.

„Aspirin?"
„Bitte."
Mühsam rappele ich mich auf, lehne mich gegen das Kopfende und nehme dankend das Glas entgegen und kippe es in eins herunter.
Schmunzelnd tauscht Harry das Glas gegen eine Tasse Kaffee und lässt mich dankbar nicken.
Essen bekomme ich noch nicht herunter. Mein Magen fühlt sich verdächtig flau an und ich poker nicht gerne. Vermutlich ist der Kaffee schon zu viel des Guten.
Harry hingegen schnappt sich einen Croissant und beißt genüsslich hinein.

Schweigend sitzen wir in seinem Bett. Ich trinke in langsamen Schlücken den Kaffee, während Harry ausgiebig frühstückt. Mittlerweile läuft der Fernseher leise im Hintergrund und ich entspanne mich ein wenig. Auf eine verkorkste Art und Weise fühlt es sich angenehm vertraut an und ich genieße die gemeinsame Zeit mit dem Lockenkopf.
Es hat mir einfach gefehlt.
Er hat mir gefehlt.

Irgendwann stellt Harry das Tablett auf den Boden neben das Bett, meine Kaffeetasse findet den Weg auf das Nachtschränkchen neben mir.
Die Müdigkeit umhüllt mich noch immer, aber die Kopfschmerzen sind mittlerweile verschwunden, worüber ich mehr als dankbar bin.
Doch die Tatsache, dass Harry und ich noch immer im Bett liegen, nackt nebenbei bemerkt, macht mich unheimlich nervös.
Und auch frage ich mich, warum ich nicht schon längst abgehauen bin. Warum ich nicht sofort meine Sachen schnappe und von hier verschwinde.
Ich kann es aber irgendwie nicht.
Es scheint so, als wenn mein Körper sich regelrecht dagegen wehren würde.

Als Harry sich dann wieder in die Kissen kuschelt, sich auf die Seite dreht und mich ansieht, mache ich es ihm gleich. Ich drehe mich auf die rechte Seite, blicke ihn an und merke, wie unsere Blicke sich ineinander verschmelzen.
Er ist unfassbar hübsch. Selbst jetzt, nach einer durchzechten Nacht und nur wenigen Stunden Schlaf.
Mein Herz wummert in meiner Brust und zeigt mir, dass es genau hier sein will.
„Wieso rennst du nicht davon?", möchte Harry leise wissen, mustert mich intensiv, als sich seine Hand auf meine Wange legt und mich für einen kurzen Moment aus der Bahn wirft.
Alles in mir kribbelt.
„Ich...  Ich weiß es nicht", gestehe ich ehrlich und schmiege mich unwillentlich gegen seine Hand.
Harry rückt näher zu mir, sein Daumen beginnt über meine Wange zu streicheln und das Kribbeln in mir nimmt zu.
Dicht an dicht liegen wir uns gegenüber, sein süßlicher Atem prallt gegen mein Gesicht und mein Herz scheint überzulaufen vor Gefühlen.
Das Grün seiner Augen fesselt mich, nimmt mich vollkommen ein und treibt mich zurück in unsere Blase, die alles andere vergessen lässt.
Unsere wundervolle, rosarote Blase, in der alles gut ist.
Vielleicht ist es der Restalkohol oder das wundervolle Gefühl in mir, was mich letztendlich dazu veranlasst, die letzten Millimeter zu überbrücken und ihn zu küssen. Vielleicht ist es aber auch die Sehnsucht und das Pochen meines Herzens, was mich dazu veranlasst.
Und Harry wehrt sich nicht.
Stattdessen seufzt er leise, lässt seine Hand in meine Haare gleiten und erwidert den Kuss, sanft und voller Zuneigung.
Das schwerelose Gefühl lässt mich vermutlich einsehen, dass ich diesen Mann noch immer liebe. Das Kribbeln in mir zeigt es mir deutlich und die Sehnsucht, das Verlangen – all die Gefühle drängen mich immer mehr in seine Arme.
Arme, die mich fest umschließen, mich nie wieder loslassen wollen und mir ein wonniges Gefühl geben.
Und ich genieße dieses Gefühl mit alles Sinnen.
Lasse mich davon einnehmen, mich einhüllen und die Liebe spüren, die ich noch immer für diesen Mann empfinde.
Am Ende bin ich verloren, doch für diesen Moment ist diese Liebe alles, was ich brauche.

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