Genau ins Schwarze getroffen.

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Mister Higgs hat seit seinem letzten Einbruch einiges an Sicherheitsleuten eingestellt.
Sechs Securitys laufen von nun an um das Gebäude herum, während Clark Smulder noch immer die Aufsicht im Inneren hat. Higgs hat ihn nicht rausgeworfen, was ich persönlich sehr gut finde.
Der Arme war damals fix und fertig.

Aber gerade, weil Higgs so aufgerüstet hat, verstehe ich nicht, warum Liam und ich jetzt in unserem Streifenwagen vor dem Museum stehen und auf Gott weiß was warten. 

Müde nippe ich an meinem Kaffeebecher und unterdrücke ein Gähnen. 
Die wenigen Stunden Schlaf machen sich mehr als bemerkbar und auch, dass meine Gedanken nicht bei der Arbeit sind, gibt sich in meinem Gemütszustand deutlich zu erkennen. 
"Darf ich ehrlich sein, Louis?", unterbricht Liam die Stille und legt seine Laugenbrezel zur Seite. 
Ich neige meinen Blick wortlos zu ihm, signalisiere ihm dadurch, dass er weitersprechen soll.
"Du siehst absolut beschissen aus."
"Na vielen Dank auch."
Genervt verdrehe ich meine Augen und nehme einen weiteren Schluck Kaffee. 
Mein fünfter in dieser Schicht. 
"Im Ernst. Deine Augenringe sprechen wahre Bände. Wir müssen dringend eine normale Schicht machen."
Seufzend nicke ich. "Wem sagst du das."
Mein bester Freund kratzt sich an seinem nicht vorhandenen Bart und sieht auf das Museum.
"Niall hasst es, wenn ich Nachts nicht da bin. Er kann dann immer nicht schlafen."
Verstehend nicke ich. Liam hatte mal etwas angedeutet, weshalb ich gut verstehen kann, dass auch er nicht gerne Nachts von seinem Freund getrennt ist. 
"Wenn es nur ein paar Tage alle paar Wochen ist, dann kommt er klar. Irgendwie. Aber wenn es zur Gewohnheit wird, weiß ich nicht, wie Niall jemals wieder schlafen soll."
"Wir müssen mit dem Chief reden. Er wird das verstehen", beschließe ich und leere meinen Kaffee. 

Erneut tritt Stille ein, bis Liam mich erneut ansieht.
Da ist also noch etwas.

"Was hat er getan?", will er wissen und lässt mich fragend meine Augenbrauen heben. 
"Was?"
"Dein Lover. Was hat er angestellt? Du siehst nicht nur wegen des Schlafentzuges so beschissen aus."

Beschissener bester Freund.
Beschissener bester Freund, der mich beschissen gut lesen kann. 

"Genau ins Schwarze getroffen", murmelt Liam und unterdrückt ein Schmunzeln. 
Ich kann ein Seufzen nicht unterdrücken, schaue auf meinen leeren Kaffeebecher und nehme mir dann einfach den von Liam. Der ist noch zu Hälfte gefüllt und so gönne ich mir einen großen Schluck.
"Ich glaube, er belügt mich, bin mir aber nicht sicher."
Liam nickt, kaut auf seiner Brezel herum und schluckt den Bissen herunter.
"Hast du ihn darauf angesprochen?"
Schnell schüttele ich meinen Kopf.
"Ich glaube nicht, dass er es zugeben würde. Und beweisen kann ich auch nichts. Also nicht richtig zumindest. Es ist auch nur eine Vermutung von mir und eigentlich möchte ich, dass ich mich irre, aber dieser Gedanke geht mir einfach nicht aus meinem Kopf."
"Und jetzt gehst du ihm aus dem Weg?"
"Du bist kacke, weißt du das?"
Liam lacht leise und erobert sich seinen Kaffee zurück. 
"Nur weil ich weiß, wie du tickst?", er grinst. "Es ist eigentlich total einfach. Normalerweise bist du ständig am Handy, schreibst mit deinem Lover dreckige Nachrichten und schmachtest ihn voll, doch heute ist das Handy ruhig. Du guckst nicht mal drauf, aus Angst, dass er dir etwas geschrieben haben könnte."
"Ich habe keine Angst!", protestiere ich, weiß aber ganz genau, dass Liam damit verdammt recht hat. 
"Du solltest ihn darauf ansprechen und-", ein Klopfen an unserer Fensterscheibe unterbricht uns. Fragend schaue ich zur Fahrerseite und erkennen einen der Sicherheitsleute. 

Liam lässt das Fenster herunter und sofort spanne ich mich an. 

"Einer unserer Männer hat gerade etwas Verdächtiges gesehen. Er ist sich nicht absolut sicher, aber er meint, dass eventuell jemand durch eines der Fenster geklettert sein könnte. Zumindest steht es offen und als er vorher an seinem Posten war, war es noch geschlossen."

Innerlich stöhne ich auf, während Liam sich bereits abschnallt und aus dem Wagen steigt. 

Ich folge ihm und hoffe, dass dieser Typ sich einfach geirrt hat und das Fenster schon die ganze Zeit offen war. Und wenn nicht, dann hoffe ich, dass meine Gedanken falsch sind.
Dann aber wieder 
Vielleicht bekomme ich so eine Antwort auf all meine Fragen. 
Wenn wir diesen Dieb fassen, dann habe ich Klarheit. Und wenn es nicht Harry ist, was ich bei aller Liebe nicht hoffe, dann habe ich mir umsonst meine Gedanken gemacht. 

Plötzlich durchflutet eine Welle Adrenalin meinen Körper und ich haste neben Liam zum Eingang des Museums. 
Higgs hat uns für diese Nacht einen Schlüssel gegeben, sodass wir nicht erst Smulder kontaktieren müssen und im Falle eines Falles keine kostbare Zeit verlieren. 
"Sie bleiben weiterhin hier draußen. Sollte sich der Verdacht bestätigen, wird der Dieb flüchten, wenn er uns bemerken sollte. Halten Sie also ihre Augen offen und seien Sie bereit", weise ich den Security an, welcher sein Funkgerät in die Hand nimmt und seinen Männern die Anweisung gibt, wachsam zu sein. 
Liam und ich tauschen einen Blick und dann betreten wir das Gebäude.

Fast lautlos schleichen wir durch die Gänge.
Wir wissen genau, wo wir hin müssen.
Picasso wird nur in einer Abteilung dieses Gebäudes ausgestellt und wenn unser Dieb nicht seinen Geschmack geändert hat, wird er sicherlich dort zu finden sein. 

Schmulder begegnet uns auf halber Strecke. Auch er steht unter Funkkontakt mit den Sicherheitsleuten und weiß also schon Bescheid. Der rundliche, alte Mann wird uns zwar bei einer Verfolgung nicht wirklich helfen können, aber ein Mann mehr ist immer besser. 

Nervosität durchkriecht meinen Körper, als wir im besagten Abschnitt des Museums ankommen. 
Es ist mucksmäuschenstill. Man könnte eine Stecknadel fallen lassen und würde es hören.
Unsere Taschenlampen durchleuchten den Raum, doch es ist nichts zu erkennen. 
Niemand hier.
Erneut tauschen Liam und ich einen Blick, eine Handbewegung folgt und wir trennen uns voneinander. Schmulder bleibt an Ort und Stelle, falls der Dieb nur darauf gewartet hat, dass wir wieder verschwinden.

Ich gehe nach rechts, verlasse das Abteil und suche meine Umgebung nach irgendetwas auffälligen ab. Das offene Fenster fällt mir ins Auge und mein Puls beschleunigt sich.
Der Griff um meine Taschenlampe wird fester, als ich mich umdrehe und nach Liam schaue. Doch der ist weit und breit nicht zu sehen, befindet sich vermutlich am anderen Ende der Etage.
Meine Augen scannen den Raum ab, fixieren die dunklen Ecken, doch ich kann absolut nichts erkennen. 
Plötzlich kommt mir eine Idee. 

Ich seufze, drehe mich um und verlasse den Bereich, in dem ich gerade war. Zielsicher steuere ich eine dicke Säule an, die als Abteilung der verschiedenen Themen dienen soll und schalte meine Taschenlampe aus. 
Ich verstecke mich, schiele um die Ecke und warte.
Vielleicht klappt es nicht, aber ein Versuch kann nicht schaden. 
Vorsichtshalber schalte ich mein Funkgerät aus. Nicht, dass Liam mich anfunkt und somit mein Versteck verrät. Ich kenne doch diesen Idioten. Der funkt mich ja auch an, wenn er eine Fliege an der Wand entdecken würde.

Minuten vergehen und es ist absolut still. 
Kein Laut ist zu hören und ich beschließe, dass meine Idee für die Tonne war. 
Wäre ja auch zu einfach gewesen, wenn - Scheiße!
Da hat sich doch gerade was bewegt, oder?
Shit.
Ich kneife meine Augen zusammen, damit ich in der Dunkelheit besser gucken kann und tatsächlich - ich kann eine Bewegung ausmachen. 
Eine unbekannte Gestalt tritt langsamen Schrittes aus der Dunkelheit heraus, sieht sich zögerlich um und steuert dann das Fenster an. Dort angekommen stockt die Gestalt, sieht vermutlich die Sicherheitsleute und ich bilde mir ein, ein Grummeln zu hören. 

Mal ehrlich, was dachte er denn? 
Dass wir ihm eine Strickleiter zur Verfügung stellen?

Die Gestalt entfernt sich vom Fenster, sieht sich einmal um und scheint den Raum abzuscannen. Ich bleibe hinter der Säule, nicht zu sehen für den Dieb und merke, wie meine Hände anfangen zu zittern. 
Und dann kommt die Gestalt direkt auf mich zu. 
Nicht direkt auf mich, aber auf die Säule und ich mache mich innerlich bereit.

*****

Kinners,

ihr hasst mich jetzt, oder?
Gut, ich kann es verstehen. Ich würde mich auch hassen.
Und weil ich nicht euren Groll gegen mich haben möchte, verspreche ich euch für morgen ein weiteres Kapitel. Ihr müsst also nicht bis Freitag warten.
Nur bis Morgen.
Na das ist doch mal ein Deal, oder?

Einen wundervollen Sonntag für euch.
All the love, K.

Der Kunsthändler Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt