Dean x Jesse II

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Deans Blick ist starr auf die dunkle Landstraße vor uns geheftet, sein Kiefer immer noch krampfhaft zusammengepresst.

Wir fahren schon seit einer ganzen Weile umher und langsam kriecht die Abenddämmerung den Horizont entlang. Ehrlich gesagt bezweifle ich stark, dass Dean ein festes Ziel hat, aber ich werde einen Teufel tun und ihm hier jetzt reinreden.

Das hier ist seine Art, mit seinem Vater umzugehen. Ich wüsste nicht, wie ich an seiner Stelle reagiert hätte.

Während im Radio irgendein nichtssagender aber angenehmer Country-Song vor sich hin plätschert, kreisen meine Gedanken um meinen mürrischen besten Freund.

Es tut mir weh zu sehen, wie sehr er unter der Unfähigkeit und Ungerechtigkeit seines Vaters leidet - und gleichzeitig noch die Lasten seines Bruders mit stemmt.

Das hat niemand verdient, schon gar nicht Dean. Er mag schwierig sein, aufbrausend und nachtragend, ja. Viele würden ihn - aus ihrer Sicht auch berechtigt - als Arsch betiteln, aber ich weiß, wie ehrlich, zuverlässig, loyal und am Wohl anderer interessiert er in Wahrheit ist.

Manchmal verwünsche ich seine harte Schale, aber ich würde nie auf die Idee kommen, ihm dafür Vorwürfe zu machen. Dafür war er schlicht und einfach zu oft derjenige, der mich aus der Scheiße gezogen hat, wenn niemand sonst Hilfe angeboten hat.

„He, Jesse?" Seine tiefe, etwas belegt klingende Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und ich blinzle ihn fragend an. Die untergehende Sonne lässt seine Augen hell strahlen und zaubert Schatten von seinen Wimpern auf seine Wangen.

„Ich kann noch nicht nach Hause..."

Obwohl er weiterhin konzentriert die Straße im Visier hat, huscht sein Blick doch für den Bruchteil einer Sekunde zu mir herüber und ich kann die Unsicherheit darin erkennen.

Sofort ist mir klar, was er mich jetzt fragen will, aber anscheinend nicht über die Lippen bekommt. Ein kleines Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln, während ich ihm weiteres Herumreden erspare und frage:

„Wie wärs, wenn wir heute irgendwo übernachten? Ich sage meinen Eltern Bescheid, dass ich bei dir penne und du bringst mich dann einfach morgen heim statt heute. Es ist spät."

Für einen Moment herrscht Stille in seinem Land Rover, dann atmet er hörbar auf. Im nächsten Moment, als er sich durch die glänzend schwarzen Haare fährt, sehe ich, dass seine Hand zittert.

Mitleid erfasst mich. Ich möchte gar nicht wissen, wie es gerade in ihm aussieht. Immerhin ist er gerade dabei, das erste Mal offiziell von zuhause wegzurennen.

Dann murmelt er etwas, das ich kaum verstehe, aber als ein leises „Danke" interpretiere und setzt den Blinker, um die Landstraße zu verlassen.

...

Seufzend wische ich mir die letzten Wassertropfen aus dem Gesicht, bevor ich mir ein Handtuch um die Hüften binde und das Bad verlasse.

Dean liegt bereits im riesigen Bett unseres Hotelzimmers und zappt durch die Kanäle im Fernsehen. Er sieht müde aus, aber trotzdem lächelt er mich ehrlich an, als ich aus der Tür trete.

„Was hältst du von Kill Bill 2? Hat gerade angefangen", meint er und deutet mit der Fernbedienung auf den großen Bildschirm.

Grinsend hebe ich einen Daumen, bevor ich zu dem Stuhl schlendere, auf den ich meine Kleidung geschmissen habe. Da wir so spontan aufgebrochen sind, bleibt mir nichts anderes übrig, als dieselben T-Shirt und Boxer wieder anzuziehen.

„Klingt gut. Mach mal Platz."

Wenig später liegen wir nebeneinander in den schneeweißen Laken und verfolgen schweigend das Geschehen des Films. Deans Handy liegt ausgeschaltet auf dem Tisch neben mir.

Irgendwann ist der Film vorbei und ich schalte den Fernseher mit einem gezielten Knopfdruck aus. Jetzt liegen wir im schummrigen Dunkel, das nur von einer Nachttischlampe erhellt wird.

Es dürfte bereits gegen ein Uhr sein.

„Ich weiß echt nicht, was ich machen soll, Jesse", flüstert er plötzlich. Fragend drehe ich den Kopf und blicke ihn an.

Er starrt zurück und ich spüre den Hauch von Verzweiflung deutlich. Nach einer Weile fährt er leise fort:

„Wenn mir Clay wenigstens etwas helfen würde, wäre Dads Sucht vielleicht nicht ganz so schlimm. Aber ich fühle mich vollkommen auf mich allein gestellt, sobald ich dieses gottverdammte Haus betrete."

Betrübt höre ich ihm zu, mir bewusst, dass ich ihm nicht wirklich helfen kann.

Dean lacht bitter auf. „Ich meine, ich habe versucht, mit Clay zu sprechen, ihn um Hilfe gebeten. Aber er ist so sehr mit sich beschäftigt. Ganz ehrlich, ich hätte mir nie erlauben können, so ein Drama um jemanden zu machen wie er um Zoe."

Unvermittelt muss ich schlucken. Der Gedanke, dass Dean tatsächlich mit irgendwelchen Mädchen hätte umherziehen können - und wahrscheinlich auch sollen - verursacht einen bitteren Nachgeschmack auf meiner Zunge.

Einerseits will ich nicht, dass er sich einsam fühlt und andererseits weckt die Vorstellung von ihm mit jemandem sofort die Angst in mir, er könnte sich von mir entfernen.

Tief durchatmend rolle ich mich auf die Seite, blicke ihn fest an.

„Das einzige, was ich dir sagen kann, ist, dass du in vier Monaten 21 wirst und dann dein eigener Herr bist.

Kauf dir mit dem Geld, das du von deiner Mum geerbt hast, eine Wohnung und leb dein eigenes Leben. Sobald du an die Uni gehst, kann er dir sowieso nicht mehr das Leben schwer machen."

Hetze ich ihn gerade gegen seine Familie auf? Ja. Denke ich, dass es das Beste für ihn ist? Ja!

Dean mustert mich einen Moment Land, dann lächelt er zaghaft. Ich erwidere es sofort, es ist wie ein Reflex.

„Gut, Mr. Seelenklemptner, dann brauche ich aber auch jemanden, der mir Gesellschaft leistet, damit ich nicht einsam bin. Wissen Sie da jemanden?"

Ich hebe die Augenbrauen. „Eine Freundin?"

Jetzt lacht er, laut und ehrlich. „Nein, du Spacko, keine Freundin, sondern einen Mitbewohner. Wenn schon eigene Wohnung, dann eine WG. Du willst doch eh auch in Santa Barbara studieren..."

Er verstummt und starrt mich auffordernd an, bis ich es endlich kapiere.

„Ohhh, ist das gerade ein Angebot?"

Dean knufft mich sanft und streckt mir die Zunge raus, woraufhin ich ihm gegen das Ohr schnipse. Er hasst es, wenn ich das tue und auch jetzt rümpft er die Nase und reibt sich die Ohrmuschel.

„Idiot."

„Selber." Dann werde ich wieder ernst und richte mich auf den Ellbogen auf, um auf ihn hinunterzublicken.

„Dean, wenn du das wirklich machen willst, dann weißt du, dass ich sofort dabei bin. Immer. Okay?"

Stille herrscht zwischen uns, bis er ganz leicht nickt und todernst ein kaum hörbares „Okay" erwidert. Mein Versprechen hängt bedeutungsschwer zwischen uns.

Dann durchbricht Dean den Moment, indem er seinen Arm um meinen Hals schlingt und mich mit einem kräftigen Ruck zu sich hinunter zieht.

Seine Lippen drücken einen kurzen, aber sanften Kuss auf meine Schläfe, bevor er zurückweicht und mich anlächelt.

Die Wärme, die in seinen Augen strahlt, jagt mir kleine Schauer über den Rücken. Mit einem ähnlichen Lächeln auf den Lippen lasse ich mich neben ihn fallen und schließe die Augen, seine warme Schulter an meiner.

Wir werden das schon hinkriegen, irgendwie.

Waves - Oneshots BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt