Lucifer x Osajah

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Er konnte es nicht fassen. Sein goldener Blick lag starr auf dem braunhaarigen Engel, der vor ihm stand, durch die drei Treppenstufen etwas unter Augenhöhe.

Sekundenlang herrschte atemlose Stille, in der niemand es auch nur wagte zu atmen. Dann legte Lucifer das Manuskript weg, mit dem er sich bis eben noch beschäftigt hatte, und erhob sich ruckartig. Alle Anwesenden zuckten unterbewusst bei dieser unkontrollierten Wut zusammen.

Lucifer war normalerweise weder hektisch noch ungehalten, sondern für seine Selbstbeherrschung und Abgeklärtheit bekannt - nicht umsonst trug er den Spitznamen "Liebling Gottes". Im Gegensatz zu seinen arroganten Brüdern Michael, Gabriel und Rafael war er sogar sehr umgänglich für einen Erzengel.

Doch in diesem Moment lag eine finstere Aura über seiner hochgewachsenen, schönen Gestalt. Seine Schultern waren sichtlich angespannt und in seinen Augen lag ein wütendes Feuer, das nichts Gutes verhieß.

Die Engel, die um ihn herum im Garten gestanden hatten, traten eilig einen Schritt zurück, um Gottes Erstgeborenem Platz zu machen, als er an ihnen vorbeistürmte. Seine riesigen Schwingen und das weiße Gewand flatterten leise.

Keiner wusste genau, was ihn so aus der Fassung gebracht hatte, denn der Bote, mit dem er bis eben noch gesprochen hatte, starrte nur mit unglücklichem Blick hinter dem blonden Erzengel hinterher, ohne auch nur auf die fragenden Mienen der anderen zu reagieren.

Lucifer kochte innerlich. In seinen Venen wütete ein gefährlicher Cocktail aus Wut, Panik und Hilflosigkeit, während er mit aller Macht versuchte, nicht gewalttätig zu werden. Er tat es nicht, aber es kostete ihn Mühe - mehr, als es das jemals getan hatte. Es erschrak ihn, dass er sich selbst plötzlich nicht mehr unter Kontrolle hatte.

Dann dachte er an das, was er soeben erfahren hatte, und beschleunigte seine Schritte noch weiter. Als er dann endlich die Tür erreicht hatte, die ihn zu seinem Vater führen würde, hielt er nicht an und würdigte den beiden Engeln, die an der riesigen Flügeltür standen, keines Blickes, sondern ließ diese mit einer kleinen Handbewegung auffliegen und marschierte hindurch.

"Sohn? Was versetzt dein Wesen derart in Unruhe?", wurde er direkt von einer bekannten Stimme empfangen. Ohne seine Geschwindigkeit zu drosseln, wandte sich Lucifer etwas nach rechts und steuerte die Sitzecke an, in der sein Vater auf ihn wartete.

Kaum dass der blonde Engel seinem Vater, der bequem auf einem der Sessel saß, ins Gesicht blicken konnte, platzte es schon aus ihm heraus: "Wieso um alles in der Welt hast du Osajah auf die Erde verbannt?!"

Die Frage hing einen Moment lang unbeantwortet im Raum, während sie sich in die Augen starrten - Gold traf auf Silber. Dann war ein leises Seufzen zu hören, woraufhin Lucifer die Zähne zusammenbiss, bis sein Kiefer knackte.

"Osajah hat seine Pflichten nicht erfüllt. Anstatt sich lediglich um dieses kleine Dorf zu kümmern, in das ich ihn geschickt habe, bringt er die Geschichte aus den Fugen, indem er verhindert, dass vorbestimmte Dinge geschehen. Wie hätte ich deiner Meinung darauf reagieren sollen, Lucifer?"

Der Angesprochene zog unzufrieden die goldenen Augenbrauen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihm gefiel das Lächeln nicht, mit dem er gerade bedacht wurde. Es gab ihm das Gefühl, ein kleines Kind zu sein, das gescholten wird.

"Hast du wenigstens vorher mit ihm gesprochen und dir seine Version der Dinge angehört, bevor du ihn aus seinem Zuhause verbannt und von seiner Familie getrennt hast, nachdem er dir Jahrtausende lang treu gedient hat?"

"Und mit seiner Familie meinst du dich, nicht wahr, mein Sohn? Ich spüre deine Wut deutlich, du hast das Gefühl, dass Osajah nicht gerecht behandelt worden ist, hab ich recht? Muss ich mir Sorgen machen?"

Waves - Oneshots BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt