Casey x Lennox

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Ich habe ihn das erste Mal vor etwa drei Monaten gesehen, auf dem Weg ins Training. Es war ein Dienstagabend, die untergehende Sonne hatte die Dächer von Tampa in ein goldenes Licht getaucht und die warme, floridianische Sommerluft hat nach Wärme und Meer geduftet. 

Normalerweise laufe ich immer in die Halle, weil der Weg von meinem Apartment nicht weit ist und ich dann schon ein wenig aufgewärmt bin, aber an diesem Tag bin ich sehr spät gewesen und habe mich deshalb entschieden, mit der Metro zu fahren.

Also bin ich, am Ende meiner Nerven und mit meiner Sporttasche über der Schulter, den Bahnsteig entlang gehetzt, um es noch in die abfahrende Bahn zu schaffen. Die Türen waren aber schon zu, sodass ich schwer atmend, hilflos und ziemlich angepisst habe mitansehen müssen, wie die einzige Möglichkeit, noch rechtzeitig in der Halle zu sein, vor meinen Augen davongefahren ist.

"Fuck!", stieß ich aus, gedanklich schon bei den fünfzig Strafrunden, die Coach Hendricks mich rennen lassen würde. Es war mir nichts anderes übrig geblieben, als auf die nächste Bahn zu warten, die erst in zwanzig Minuten fahren würde.

So ist es auch gekommen, dass ich unruhig durch die Metro-Station getigert bin, als ich leise, zärtliche Gitarrenklänge wahrgenommen habe. Ich hatte eh nichts zu tun und mein Herz schlägt einfach für schöne Musik, deshalb bin ich der Melodie kurzentschlossen gefolgt.

Und dann, hinter einer Säule, habe ich ihn sitzen sehen. Ein Bein lässig auf einen dieser Musiker-Hocker gestützt, das andere auf dem Boden, eine Gitarre im Arm und einen umgedrehten Hut vor sich auf dem Boden.

Er hat ausgesehen aus wie ein normaler Straßenmusiker, vielleicht etwas zu gut aussehend, aber nicht fehl am Platz.

Was mich jedoch innehalten halten ließ waren die breiten Schultern, der dunkle Bartschatten auf seinem starken Kinn und der raue Klang seiner Stimme, der von atemberaubenden Sonnenuntergängen über Klippen und einem Camaro im Rücken zu erzählen schien.

Fasziniert habe ich ihn beobachtet, wie seine Finger über die Saiten des Instruments geflogen sind, und immer wieder ist mein Blick zu seinen grauen, dunklen Augen gehuscht.

Er muss meinen Blick bemerkt haben, denn er hat mich eine Weile nur unverwandt beobachtet, während er mühelos von Song zu Song gewechselt hat, scheinbar einfach gespielt hat, wonach ihm der Sinn war, und doch hat alles perfekt gepasst.

An dem Tag hätte ich den Zug beinahe ein zweites Mal verpasst, aber das war mir egal. Genauso wie ich mich bei den erwarteten Strafrunden nicht beschwert habe, sondern tatsächlich ein sanftes Lächeln an meinen Mundwinkeln gespürt habe.

Seitdem gehe ich immer eine Viertelstunde früher von zuhause los und suche ihn in der Metrostation. Dass ich dreimal die Woche bei ihm stehe und ihm einfach zuhöre, scheint ihm nichts auszumachen, denn er schenkt mir jedes Mal ein kurzes, wenn auch atemberaubendes Lächeln, bevor er sich wieder seiner Musik widmet.

Auch heute jogge ich also die Treppen hinunter und biege nach rechts ab, in Richtung des Bahngleises, an dem der faszinierende Musiker immer sitzt.

Gerade als ich um die Ecke biege, hinter der der Steig sich bis in die dunkle Höhle des Tunnels zieht, klingelt mein Smartphone. Fahrig greife ich danach und nehme einfach ab, ohne genauer hinzuschauen, weil mein Blick bereits die vielen Ecken der Metrostation nach sturmgrauen Augen absucht.

"Hallo?", melde ich mich ein wenig außer Atem.

"Casey? Bist du dran?"

Als ich die Stimme meiner Schwester Leona höre, halte ich überrascht inne. Es dauert einen Moment, bis ich meine Sprache wiedergefunden habe. "Ja, hi, Leo. Ist irgendwas passiert?"

Waves - Oneshots BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt