Jiang Meng x Xin Yang

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Der Himmel war klar und voller heller Sterne, während Xin Yang sein Pferd auf dem schmalen, ausgetretenen Pfad durch den Wald dirigierte. Außer des dumpfen Geräuschs der Hufe auf der reichhaltigen Erde waren nur das Rascheln der Blätter und ab und an leises Vogelgezwitscher zu hören.

Xin Yang atmete die frische Luft tief ein und genoss die friedliche Atmosphäre. Seinem gesamten Wesen widersprach die laute, hektische Art des Fengbao-Clans zutiefst. Dennoch war er nun Mitglied und musste die graue Robe mit stolz erhobenem Kopf tragen, dem Wunsch seines Vaters gerecht werden.

Seufzend schob Xin Yang den weiten Ärmel seiner schlichten Robe von seinem Handgelenk und offenbarte das weiche hellgrüne Seidenband, das mehrfach um seine blasse Haut gewickelt und sorgfältig verknotet worden war.

Jiang Meng, du bist deiner Pflicht wieder einmal entkommen, dachte er und konnte das kleine Schmunzeln in seinem sonst so regungslosen Mundwinkel nicht unterdrücken. Seit Jahren waren er und Jiang Meng, der Sohn eines Waffenbruders seines Vaters, enge Freunde und wichen einander kaum von der Seite.

Xin Yang wusste, dass sie wegen ihrer Freundschaft viele schiefe Blicke provozierten. Nicht nur waren sie vollkommen gegensätzlich, sie hatten auch völlig andere Positionen inne.

Während Xin Yang ruhig, verantwortungsbewusst und dumm genug war, für seinen Vater einem Clan beizutreten, der manipulativ und machtsüchtig war, kümmerte sich der unabhängige und fast schon unverschämt selbstbewusste Jiang Meng wenig darum, das Ansehen seiner Familie zu erhalten, sondern konzentrierte sich darauf, seine Ausbildung als Krieger zu beenden.

Unvermittelt ertönte ein einzelner, zitternder Ton, der sanft durch die Luft zu Xin Yang wehte. Sofort ließ er sein Pferd anhalten und lauschte. Es war der Klang einer Flöte gewesen, etwas, das er schon unzählige Male gehört hatte.

Dennoch blieb er wachsam, nicht sicher, ob ihn seine Sinne nicht täuschten. Geschmeidig und ohne einen Laut zu verursachen ließ Xin Yang sich aus dem Sattel gleiten und warf die Zügel seines Pferdes über einen nahegelegenen Ast.

Mit ruhigem, kontrolliertem Atem umrundete Xin Yang einige schmale Bäume und erreichte schließlich einen riesigen Laubbaum, dessen dicke, knorrige Äste weit ausladend in alle Richtungen zeigten.

Gerade als Xin Yang sich eingestehen wollte, dass er sich das Flötenspiel wohl eingebildet hatte, ertönte es erneut und zog seinen Blick auf einen der breiteren Äste, die so gut wie horizontal verliefen.

Als Xin Yang die Augen ein wenig zusammenkniff, konnte er zwei schwarze Stiefel und den Saum eines dunkelgrünen Gewands mit weißen Stickereien erkennen, die im Laub des Baums fast unsichtbar waren.

Amüsiert, dass es tatsächlich Jiang Meng war, der dort oben auf dem Baum saß und Flöte spielte, fasste Xin Yang einen Entschluss. Statt sich bemerkbar zu machen wie jeder andere, gut erzogene Mensch es tun würde, schlich er sich weiter an den Baum heran.

Mittlerweile hatten sich die einzelnen, tastenden Töne zu einer zaghaften Melodie verbunden, die Xin Yang ein sanftes Lächeln entlockte. Er liebte es, wenn Jiang Meng spielte, weil sein Spiel das einzige war, das ihn wirklich berühren konnte.

Eine Weile verging, während er sich einfach gegen den rauen Baumstamm lehnte und seinem Freund unbemerkt zuhörte. Irgendwann jedoch unterbrach Jiang Meng unvermittelt und Stille legte sich über die kleine Lichtung.

Dann plötzlich erschien sein Gesicht über Xin Yang, als er sich kopfüber von seinem Ast hängen ließ und neckisch die schmalen Augenbrauen hochzog. Seine dunklen Augen blitzten, als er verkündete:

"Erwischt! Ich weiß schon seit einer Weile, dass du da bist."

Xin Yang stieß sich mit einem leisen Schnauben von der Baumrinde in seinem Rücken ab und schwang sich mit einem kraftvollen Sprung zu seinem Freund auf den Ast.

Waves - Oneshots BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt