James x Aidan I

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- James -

Der vertraute Geruch nach Lilien empfängt mich, als ich an Philipp, dem Butler meiner Schwester, vorbei in die Eingangshalle ihres Anwesens trete. May hatte immer schon ein Faible für Lilien, schon als kleines Mädchen. Jetzt hat dieser Geruch etwas Schweres, Trauriges an sich.

"Darf ich Euer Gepäck schon auf Euer Zimmer bringen lassen?", meldet sich Philipp rechtzeitig zu Wort, um mich aus meinen trüber werdenden Gedanken zu holen. Mit einem schmalen Lächeln danke ich ihm. "Das wäre fantastisch, danke. Meine Schwester ist im Kaminzimmer?"

Kaum auf die Antwort wartend schlage ich schon die Richtung ein, in der ich das gemütliche, stets von einem knisternden Feuer erwärmte Zimmer weiß. Es überrascht mich nicht, May auf einem der dunkelroten Sofas liegen zu sehen, den Rücken gegen eine Armlehne gestützt und ein Buch auf dem Schoß.

Sie ist jedoch ungewöhnlich blass und ihre ohnehin zarte Gestalt wirkt eingefallen und hager im dunklen Stoff ihres Kleides. Die schwarzen Haare, die meinen sehr ähnlich sind, fallen in einem lockeren Zopf über ihre Schulter.

"May", begrüße ich sie leise, um sie nicht zu erschrecken. Ich weiß nicht genau, wie ich mit ihr umgehen soll. Als sich der Blick ihrer grauen Augen hebt, liegt darin eine müde Traurigkeit, die mir das Herz brechen möchte. Dennoch zeichnet sich schnell ein ehrliches Lächeln auf ihren Lippen ab.

"Hallo, James! Danke, dass du gekommen bist."

Sie möchte aufstehen, aber da bin ich schon mit wenigen Schritten bei ihr und schließe sie in eine feste Umarmung, bevor sie sich bewegen kann. Ihr Körper wirkt gebrechlich in meinen Armen. Sanft streiche ich ihr über den Schopf, dann löse ich mich etwas von ihr, um sie mustern zu können.

"Wie geht es dir?"

Sie lächelt freudlos und greift nach meiner Hand. "Ich fühle mich einsam, die Wände drohen mich zu erdrücken und ich sehe hinter jeder Ecke und in jedem Schatten Montgomery. Ich kann noch nicht akzeptieren, dass er tatsächlich fort ist..."

Ihre Stimme bricht und sie senkt den Blick. Vor zwei Wochen etwa habe ich einen Brief von May bekommen, in dem sie mir mitteilt, dass ihr Ehemann Montgomery am Fieber gestorben ist. Zurückgelassen hat er eine liebende Ehefrau mit gebrochenem Herzen, ein riesiges Anwesen und einen Haufen Geld, den May nie im Leben ausgeben wird.

Ich mochte Montgomery, er war ein ruhiger, ehrlicher Mann, der meiner Schwester die Welt zu Füßen gelegt hat - und sie hätte alles für ihn getan. Dass genau so eine Liebe vom Schicksal zerstört wird, ist schlichtweg nicht fair.

Unglücklich betrachte ich May, die sich bereits wieder gefangen hat und zögerlich lächelt.

"Wie lange hast du vor zu bleiben?", fragt sie leise, trotzdem höre ich die Hoffnung in ihrer Stimme. Ich kann mir gut vorstellen, wie verloren sie sich hier in diesem riesigen Haus fühlen muss, in dem sie alles an ihren Verlust erinnert.

"Ich habe genug Sachen eingepackt, um bis Neujahr hierbleiben zu können."

May strahlt. Dass ich ganze sechs Wochen eingeplant habe, scheint sie nicht erwartet zu haben. Mein Zuhause ist eigentlich gute dreißig Meilen von hier, in Swindon, und als Earl Hetherington of Swindon ist es eben nicht selbstverständlich, dass ich einfach mal so nach Oxford ziehe.

"Das weiß ich wirklich zu schätzen, James", murmelt May schließlich, was ich mit einem Lächeln quittiere. Natürlich tut sie das, sonst wäre ich nicht hier. "Soll ich dir deine Zimmer zeigen?", bietet sie darauf an und legt das Buch beiseite, um sich zu erheben.

"Sehr gerne."

...

Vier Tage sind nun vergangen, seit ich bei May in Oxford angekommen bin. Vier Tage, in denen es nur geschneit hat und in denen die schiere Größe und Kälte des Anwesens ihre einschüchternde, erdrückende Wirkung auf mich ausüben konnten. May hat das Kaminzimmer kaum verlassen - um den mitleidigen Blicken der Bediensteten zu entgehen, sagt sie.

Waves - Oneshots BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt