Dareios x Hector

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Die Schreie. Das Beben. Dieses unheilvolle Gefühl, das die Krähen von den Ästen und die Menschen aus den Häusern treibt...

All das kenne ich schon.

Ich habe es gesehen, in meinen Träumen - genau so, wie ich es jetzt mit eigenen Augen beobachten muss. Und genauso hilflos muss ich nun mitansehen, wie gewaltige, unheilvolle Rauchwolken vom großen Vesuv in den Himmel aufsteigen.

Erneut erzittert die Stadt und lässt mich schwanken. Eine Frau mit einem Binsenkorb auf der Schulter stolpert und ich lasse meinen Speer fallen, dann umfasse ich schnell ihre Schultern, um sie vor dem Straucheln zu bewahren.

Dankbar lächelt sie mich an, aber die Angst steht ungeschönt in ihren großen braunen Augen.

„Geh nach Hause, pack nur das Nötigste und verlass die Stadt, so schnell du kannst", weise ich sie eindringlich an, woraufhin sie hastig nickt und davoneilt.

Seufzend richte ich mich auf und lasse meinen Blick durch die sich füllenden Straßen Pompeijs schweifen. Es ist eine stolze Stadt - groß, schön, bekannt -, aber trotzdem bleiben die Menschen nicht verschont vom grausamen Schicksal des unausweichlichen Todes.

Sie werden es nicht rechtzeitig schaffen. Der Vesuv war immer eine Gefahr, aber er hat ein gutes Leben in Fülle und Wohlstand versprochen und alle haben das in Kauf genommen. Heute ist der Tag, den Preis für diesen Luxus zu zahlen.

„Soldat! Wir müssen ins Stadtzentrum und die Flucht koordinieren!", ertönt die autoritäre Stimme meines Hauptmannes hinter mir. Schnell hebe ich meinem Speer auf und trotte ihm nach.

Allerdings komme ich nicht sonderlich weit, denn nur wenige Hausreihen weiter vernehme ich plötzlich undeutlichen, wenn auch inbrünstigen Gesang.

Irritiert halte ich inne, denn das Gefühl will mich nicht loslassen, dass der Sänger nicht mitbekommen hat, dass die ganze Stadt in wenigen Stunden unter Asche und glühendem Gestein begraben sein wird.

Also hole ich tief Luft und biege von der Straße in die kleine Seitengasse ab, nur um dem unverständlichen Gesang durch eine angelehnte Tür in einen hellen Innenhof zu folgen.

Mitten in diesem Innenhof steht eine mannshohe Statue aus Stein, die einen tanzenden Faun darstellt. Allerdings ist sie noch nicht fertig.

Gerade macht sich Bewunderung für die detailverliebte Arbeit in mir breit, als eine männliche Gestalt - unverkennbar die Quelle des Gesangs - in mein Blickfeld tritt.

Und in den nächsten zwei Atemzügen werden mir drei Dinge klar: Erstens ist dieser hinreißende, blonde Mann in der schneeweißen Tunika der Erschaffer der Statue, zumindest implizieren das der Hammer und Meißel in seiner linken Hand.

Zweitens bemerkt er mich nicht, denn er steuert zielstrebig die Statue an, wobei er seinen Gesang unterbricht, um eine Schimpftirade über den Vulkan loszulassen. Darüber weiß er also doch Bescheid.

Und drittens ist er vollkommen, wirklich vollkommen sternhagelbreit. Nicht nur schwenkt er einen Weinkrug in der anderen Hand und torkelt gefährlich, auch kann ich seine Fahne über den ganzen Hof riechen.

Dieser Mann wird seinen eigenen Untergang im Rausch verpassen.

Ich weiß nicht, ob ich Bewunderung oder Mitleid empfinden soll, aber bevor ich mich entscheiden kann, fällt der Blick seiner grauen Augen auf mich und er japst überrascht.

„Bei allen Göttern, was habe ich verbrochen, dass mir Soldaten geschickt werden?!"

Er lallt heftig, aber trotzdem überrascht er mich mit seiner geistigen Klarheit. Schnell stelle ich meinen Speer beiseite und hebe beschwichtigend beide Hände.

Waves - Oneshots BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt