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"I can feel you slip away like I knew you would. Don't you leave me in this silence" Slip Away - Luke Hemmings

...

Seit dem Unfall waren vier Wochen vergangen. Louis' untere Körperhälfte war noch immer gelähmt, aber er war inzwischen in der Lage, mit mir zu reden, mich anzusehen, mir zuzuhören. Doch all das dauerte bei ihm noch ziemlich lange. Manchmal brauchte er mehrere Minuten, um einen Satz zu formen und an schlechten Tagen schaffte er es kaum, die Buchstaben in seinem Kopf zu Wörtern zusammen zu reimen. Aber es wurde besser. Es wurde immer besser.

Er redete nicht besonders viel, aber er hörte mir zu. Er hörte mir zu, wenn ich ihm von meinem Praktikum im Museum erzählte oder von den Spaziergängen, die ich mit Mick unternahm. Er hörte mir zu, wenn ich ihm die Neuigkeiten aus der Zeitung vorlas oder ein weiteres Kapitel aus My Policeman. Und auch wenn ich an manchen Tagen das Gefühl hatte, alles würde schlimmer werden und wir würden uns nur im Kreis drehen, so überraschte er mich an anderen Tagen, an denen er beinahe redete wie ein Wasserfall.

Nach weiteren vier Wochen war es so, als hätte er nie Schwierigkeiten mit dem Reden gehabt, doch ich merkte, dass er sich veränderte. Er redete nicht mehr so viel und das nicht, weil er es nicht konnte, sondern weil er es nicht wollte. Seine Antworten bestanden meistens aus ein-Wort-Sätzen, seine Tagesberichte waren knapp und seine Augen trüb.

Er musste täglich zur Physiotherapie und hatte inzwischen einen Trainer, der mit ihm Übungen machte, damit sich seine Muskeln nicht zurück bildeten. Außerdem gab es einen strikten Essensplan, in dem viele Vitamine und allerlei gesunde Sachen beinhaltet waren. Er hasste es. Er sagte es zwar nicht, aber ich wusste, wie sehr er es hasste.

Die Ärzte hatten mir erklärt, dass sein Körper das brauchte. Bewegung und einen gesunden Lebensstil. Sein Körper brauchte genug Energie und Training, damit er eines Tages wieder gehen könnte. Doch es war hart, das konnte ich sehen. Ich konnte sehen, wie sehr Louis kämpfte, Tag für Tag. Aber er gab nicht auf. Naja... Was hatte er schon für eine Wahl?

Ich sah ihn jeden Tag. Nicht immer in Person, denn er war zu weit weg, als dass ich jeden Tag zu ihm fahren könnte. Doch wir videochatteten an den Tagen, an denen ich nicht da war. Anfangs hatte ich überlegt, mir ein Hotel in der Nähe zu nehmen, doch Louis hatte sich dagegen gewehrt, er hatte gemeint, dass mein Praktikum zu wichtig war, um es wegzuwerfen. Außerdem hätte ich sowieso keine Idee gehabt, wie ich einen so langen Hotelaufenthalt hätte finanzieren sollen. An den Wochenenden blieb ich oft solange, bis ich neben ihm einschlief. Bereits fünf Mal war ich von der Security entfernt worden, weil ich außerhalb der Besucher*innenzeiten in Louis' Zimmer gewesen war. An diesen Tagen hatte ich auf den Bänken im Wartebereich weitergeschlafen, nur um mich früh morgens zurück zu meinem Freund zu schleichen. Denn ich wusste, wie sehr er es hasste, alleine zu sein. Ich wusste, dass er jede Nacht von Albträumen geplagt wurde, dass er kaum schlief, dass er Angst hatte, wenn er nachts aufwachte und niemand bei ihm war.

Am Wochenende fuhr ich meistens mit seiner Mum und auf seine Schwester Lotti. Beide waren immerzu freundlich und nett zu mir und ich hatte das Gefühl, irgendwie bereits in ihre Familie aufgenommen worden zu sein. Beide waren überaus liebe Menschen. Louis' anderen Geschwister waren mir bisher nicht begegnet, doch ich hatte seinen Stiefvater Mark einige Male gesehen.

Heute war ich auch bei Louis. Ich saß im Schneidersitz neben ihm und erzählte ihm von meinem bisherigen Tag. Inzwischen hatte ich meine Abiturnote bekommen und war eigentlich durch mit all dem, bloß der Abiball stand noch an. Ich hatte Louis damals fragen wollen, ob er mich begleiten würde, doch dann war das mit dem Jobangebot dazwischen gekommen und dann der Unfall. Vielleicht würde ich sowieso nicht hingehen. Irgendwie war ich im Moment nicht in der Stimmung dazu.

Only For The Brave - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt