Prolog

7.4K 230 23
                                    

AMELIA „ABBY"

Mein Körper zittert wie nie zuvor. Es fühlt sich an, als würde er jeden Moment einfach abschalten und mein Kopf auf dem harten Kopfsteinpflaster aufschlagen wie eine Bombe in den Boden. Blöd nur, dass es nicht so ausschaut, als würde ich bald aus dieser verzwickten Situation herauskommen. Ich bin bereits seit Stunden - vielleicht Tagen - hier unten. Es ist kalt, so arschkalt, dass ich meine Fingerkuppen bereits fast nicht mehr spüre. Ich dachte, vor ein paar Tagen würde endlich alles besser werden. Aber stattdessen wurde ich vom einem Keller in den nächsten verfrachtet wie ein Stück Vieh. Ich weiß noch immer nicht, wie es so weit kommen konnte. Das letzte, an das ich mich erinnern konnte, war, dass ich von der Arbeit auf dem Polizeipräsidium nachhause lief, bevor mir jemand auf den Hinterkopf schlug. Das Nächste, was ich sah, war die schwärze die mich im Keller empfing, und die Eiseskälte, die bereits tief in meine Knochen gekrochen war, als ich erwachte. Dort verbrachte ich eine Weile, es müssen ebenfalls Tage gewesen sein. Die Männer, die mich dort festhielten, setzten mich regelmäßig unter Drogen, nachdem ich einen von ihnen gebissen hatte. Ich war dort im Gegensatz zu diesem Ort, nicht allein. Männer sind gekommen, um die Frau zu retten. Männer, die mich mitgenommen haben und nun selbst festhalten. Niemand wird kommen, um mich zu retten.

Bibbernd zerre ich meine Knie an mich und höre die schweren Eisenketten in der Finsternis klirren, die um meine Knöchel gebunden wurden. Ich bin allein, schon seit einer Weile war niemand mehr hier. Es ist so still, dass ich vermute das wir tief unter der Erde sein müssen. Keine Metro, keine Autos, keine Sirenen sind zu hören. Es gibt nur wenige Orte in London, die so ruhig sind. Und in der Stadt bin ich auf jeden Fall noch. Die Fahrt im Kofferraum des Autos, mit dem ich hergebracht wurde, ist nicht länger als dreißig Minuten gewesen. Den Geräuschen nach, die ich während der Fahrt hörte, müssen wir uns im Zentrum befinden oder befunden haben.

Die Tür des finsteren Raumes entriegelt sich hörbar und sogleich hüllt der Keller sich in warmweißes Licht. Blinzelnd schirme ich meine Augen von den Lampen ab, da die plötzlichen Lichter sich tief und schmerzhaft in meine Augen brennen. Ich sehe nur am Rande meiner Finger, Schuhe auf mich zukommen. Schuhe die ungewöhnlich poliert ausschauen für solch einen Ort. »Wie ich sehe, hast du dich eingelebt«, scherzt eine tiefe Stimme. Ich höre, wie die Tür sich wieder verriegelt und sehe, wie er mir näherkommt. Unsicher lasse ich meine Hand sinken und blicke an ihm hinauf. Seine Sachen passen zu einem reichen Geschäftsmann, nicht zu jemanden, der andere Leute in seinem Keller festhält. Nun ja, Keller kann man das nicht nennen, es ist eher ein altes Gewölbe welches aufwendig saniert wurde. Geschliffene Steinböden, Sandsteinmauern und gedimmte Lampen. Selbst für ein Verlies zu Nobel. Zitternd schlinge ich meine Arme wieder um die Knie und schaue in sein vor Autorität strotzendes Gesicht. Seine Haltung und der Ausdruck in seinen Augen, jagen mir fürchterliche Angst ein. Aber ich kenne ihn. Jetzt wo er keine Skimaske trägt, kommt mir sein Gesicht schrecklich bekannt vor. James McLeod. Ein reicher Hotelinhaber bei Tag, Gangster bei Nacht. Und ausgerechnet ich sitze hier nackt vor ihm. Er könnte machen, was er wollte. Mir die Augen rausschneiden, einen Finger nehmen, mich vergewaltigen. Aber er sieht nicht so aus, als würde er dies wollen. Immerhin bedeutet die Frau, die bei mir war, ihm anscheinend etwas.

»Wo bin ich hier?«, frage ich leise mit kratziger Stimme und senke mein Gesicht. Ich kann seinem herrschenden Blick nicht länger standhalten. »Dort, wo dich niemand schreien hören würde, süße. Aber ich will dir nicht wehtun«, erklärt er mir amüsiert. Schön, dass das alles Spaß für ihn ist. Für mich ist es ernst. Mir entflieht ein kleines ungläubiges schnauben, was ihm anscheinend nicht entgeht. Ich nehme mir eine Sekunde, um ihn erneut von der Sohle bis zum Haar zu mustern. Unsere Blicke kreuzen sich, und diesmal erlaube ich es mir nicht, wegzuschauen. »Was ist mit der anderen Frau passiert?«
»Jane?«
Ich nicke. »Ihretwegen wart ihr dort, oder? Ist sie... deine Freundin?«
»Ihr gehts gut«, brummt er mir entgegen. Etwa ein wunder Punkt?
»Aber ich bin deinetwegen hier, kleines Raubkätzchen. Hast den Männern übel die Arme zerkratzt als sie dich herbringen wollten«, merkt er an und schnalzt missbilligend mit seiner Zunge. »Sie waren nicht gerade sanft«, verteidige ich mich. Schulterzuckend schlinge ich meine Arme fester um die Knie. Mir doch egal. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich ihnen ihre mickrigen Schwänze abgerissen.
»Solltest dich daran gewöhnen, dass man dich nicht mit Samthandschuhen anfasst, Püppchen. Deine nächsten Wochen werden nämlich ebenfalls nicht rosig werden.«
Mit gerunzelter Stirn zucke ich auf. »Was meinen Sie damit?« Noch mehr Wochen in dem kalten Keller? Dann werde ich hier unten ohne Essen und Wasser sterben. Vielleicht ist es ja genau das, was er will. Jemand wie er, hätte mich längst umbringen können, so wie er es bereits mit tausenden anderen tat, dessen Morde ich untersucht habe und am Ende einstellen musste, weil mein blöder Boss verfickt bestechlich ist. James McLeod steht ganz oben auf meiner imaginären Liste. Und irgendwann werde ich ihn persönlich erledigen.

»Du arbeitest bei Scotland Yard als Detective, richtig?«, will er wissen. Ich wüsste nicht, was ihn das angeht, nicke aber dennoch verwirrt. Er kommt mir näher, und alles in mir schreit von ihm wegzukommen. Ich rutsche panisch über den harten Boden, die Ketten klirren bei jeder meiner Bewegungen, bis sie straff vom Haken im Boden über den Boden hängen. Ich kann nicht weiter entkommen, aber er schleicht wie ein Raubtier auf mich zu, in seinen Augen sehe ich ein pures Monster, dass nur darauf wartet, mir die Kehle aufzuschlitzen.
»Ich kann dich nicht singen lassen, kleines Vögelchen, das weißt du hoffentlich.«
»Was meinen Sie damit?«, will ich wieder wissen, schlucke zitternd meine Angst hinunter. Seine Augen gleiten über meine Titten bis hinauf in mein Gesicht, er ist widerlich.
»Ich kann dich nicht gehen lassen«, wiederholt er sich kryptisch und kommt dicht vor mir zum Stehen. Wut flammt in mir auf. Wut auf ihn, die Situation und diese blöden Ketten an meinen Beinen. Ich will ihm seine blöden teuflischen Augen auskratzen, mit denen er mich anschaut, als würde ich sein nächstes Opfer sein. »Doch! Sie müssen mich gehen lassen!«, versuche ich ihn zu überzeugen, »bitte!«
Ich kann hier unten nicht sterben, das darf nicht sein...

Sein barbarisches Lachen jagt mir den nächsten kalten Schauer über den Rücken. »Muss ich nicht und kann ich nicht«, erklärt er mir und die Wut in meinem Bauch wächst noch mehr an, wie ein Wirbelsturm, der bald nicht mehr zu bändigen ist.
»Du hast zu viel gesehen, Abby. Du weißt, dass es kein Zurück in dein altes Leben mehr für dich gibt. Ein guter Freund braucht eine Ehefrau, und du scheinst perfekt in sein Schema zu passen. Deshalb sende ich dich als kleines Geschenk für ihn nach Frankreich. Ich denke, du wirst Marseille recht ansprechend finden. Es ist gut genug, um dort den Rest deines Lebens mit neuer Identität zu verbringen. Dort, wo dich niemand suchen wird, Polizistin.«
Meine Gesichtszüge entgleisen im gleichen Moment in denen er die letzten Worte ausspricht. Er will was? Mich nach Frankreich an einen Mann verkaufen? Einen Kriminellen? »Nein...«, wimmere ich bettelnd, während er sich abwendet und auf die Tür zusteuert. »Nein!«, kreische ich wie verrückt und zerre an den Ketten. Sie klirren und klappern, meine Schreie hallen durch die Katakomben wie Echos. »Bitte! BITTE!«

Die Tür fällt ins Schloss und einstig meine Schreie füllen den Raum wie die Hilferufe einer Sirene. Ich kann nicht mehr. Ich schreie, reiße an den Ketten, bis meine Finger taub sind und meine Kehle staubtrocken wie die Sahara. Die Tür springt erneut auf, diesmal sind es drei Männer, die auf mich zusteuern. Der eine packt mich, ich trete und schlage ihn sofort. Die anderen beiden ringen mich zu Boden, lösen die Ketten. Einen Moment schenken sie mir keine Aufmerksamkeit und ich nutze meine Chance, springe auf und trete dem einen so fest in die Eier das er zu Boden geht und wimmert wie ein kleines Baby. Ich schmeiße mich brüllend auf den anderen, kratze ihm übers Gesicht und kicke dem dritten in den Magen. Dann renne ich. Ich renne so schnell ich kann, aber vor der Tür warten noch zwei andere, die mich zu fassen bekommen und mich gewaltsam zu Boden ringen. »Nehmt eure verfickten dreckigen Griffel von mir!«, kreische ich wie eine verrückte, trete und boxe blind um mich. Die Männer fluchen, einer packt nach meinen Knöcheln. Mein Rücken macht Bekanntschaft mit dem unebenen Kopfsteinpflaster und bringt mich dazu nach Luft zu japsen. »Lasst mich ihr Perverslinge!«, schreie ich, spucke dem einen direkt ins Gesicht. »Halt still du dumme Schlampe!«, brüllt er mich an, holt aus und donnert seine Faust in mein Gesicht. Der explodierende Schmerz in meiner Stirn ist das letzte, was ich spüre, bevor die Dunkelheit mich einholt und ich das Bewusstsein und somit den Kampf um meine Freiheit endgültig verliere.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt