11

5.2K 244 8
                                        

TIMÉO

Die Blondine stöhnt mit geschlossen Augen ein letztes Mal, bevor ich meine Finger aus ihr ziehe und den Knopf ihrer Hose schließe. Sie liegt in meinen Armen, als hätte sie keinen Kummer der Welt, dabei weiß ich, wie sehr sie mich hasst. Sie tut es, weil sie die Situation verabscheut, in der sie ist. Hier in Frankreich und nicht zuhause. Menschen wie sie haben gern die Kontrolle über ihr Leben. Sie hat diese verloren und fühlt sich schrecklich. Außer in diesem Moment, in dem sie sich gegen mich lehnt und ein leiser Seufzer über ihre Lippen kommt. Sie hat es genossen, auch wenn sie es nie zugeben würde.
»Zeit ins Bett zu gehen petite chérie, wir werden ganz bald nach Paris aufbrechen«, flüstere ich leise in ihr Ohr und nehme mir einen kurzen Moment, um den Duft der an ihr haftet, einzusaugen. Etwas an ihr, zieht mich magisch an. Amelia kommt kein Ton mehr über die Lippen. Sie erhebt sich schweigend als ich sie freigebe und fährt sich ein letztes Mal durch die Haare, bevor sie stumm das Arbeitszimmer verlässt und ich allein hierbleibe.

~

Am nächsten Morgen ist der Himmel über Marseille grau. Bereits als ich die Augen öffne, brennt sich ein klagender Schmerz durch meine Stirn, als hätte ich die Nacht zuvor zu viel getrunken. Dabei habe ich keinen Tropfen Schnaps gehabt. Die Kopfschmerzen vergehen nicht. Nicht nach dem Frühstück, nicht, nachdem ich mit Quen einige Dinge in den Katakomben erledigt habe. Es ist als hängt eine dicke Wolke in meinem Gehirn fest, in der es gewittert. Ich kann es nicht beschreiben.
Stöhnend sinke ich am Abend rückwärts auf das Sofa und platziere mir den Eisbeutel mit verzerrten Lippen auf der Stirn. Das kühle Päckchen lässt mich einen Moment lang aufatmen. Mit geschlossenen Augen und in der Stille, die sich in der Villa breitgemacht hat, kann man es aushalten. Alle Pakete sind verschickt und die Kisten, in denen die Stücke kamen, machen sich auf den Weg nach Paris. In den kommenden Tagen werden wir sie dort brauchen. Es ist der simpelste Weg, um unser Gut zu transportieren, bevor es sich auf den Weg zu den Käufern macht. Im Grunde genommen sind wir nur ein Logistikunternehmen, was die Ware weiter versendet. Der Gedanke lässt mich fies schmunzeln.

»Warum grinst du, wenn du hier mit einem Eisbeutel auf dem Kopf liegst? Hat dich jemand geschlagen?«, reißt mich Amelias Stimme aus den Gedanken. Als ich die Augen öffne sehe ich sie mit verschränkten Armen hinter dem Sofa stehen. So in meinen Gedanken versunken habe ich sie nicht bemerkt. »Man schleicht sich nicht an und nein, mich hat niemand geschlagen.«
»Schade, verdient hättest du es«, gibt sie Schulterzuckend zu. Diese Frau...
»Was willst du?«, frage ich schroff. Ich kann mir ihr erscheinen nicht erklären. Immerhin habe ich sie heute den ganzen Tag nicht zu Gesicht bekommen.
»Ich ... hatte Hunger«, gesteht sie und wackelt mit der Tüte Schokolade in der Hand herum, die mir bis jetzt nicht aufgefallen war. Ich hebe meine Augenbrauen und bereue es sofort als ein stechender Schmerz durch meine Stirn fährt. Mist. »Du warst nicht beim Abendessen aber klaust dir Schokolade?«
Sie lässt meine Worte unkonzentriert und setzt sich auf einen der Sessel neben dem Sofa. Stumm zupft sie die Packung Schokolade auf bricht sich ein Stück ab. »Hört sich verurteilend an, Napoleon.«
»Woher weißt du überhaupt wo es hier Schokolade gibt?«, hinterfrage ich und richte mich ein Stück auf. Amelia nickt auf die Küche. »Deine Angestellten haben mir die Tafel gegeben«, erklärt sie und dies klingt tatsächlich plausibel. Die Hausmädchen sollten in fünf Minuten Feierabend machen. Nicht mal ich wusste, dass es überhaupt Schokolade in diesem Haus gibt. Das gibt mir zu denken...

»Also? Was willst du noch hier?«, lenke ich das Thema wieder auf sie. Meine Augen fahren ihren Körper hinauf. Ihre Beine überschlagen, die Tafel Schokolade in ihrem Schoß abgelegt sitzt sie da und schiebt sich ein Stück nach dem anderen in den Mund. »Was? Dürfen Geiseln keine Schokolade essen?«
»Du bist nicht meine Geisel.«
»Dein Gast aber auch nicht.«
»Siehst du hier irgendwo Fesseln? Ketten? Kabelbinder? Nichts hält dich auf dich hier frei zu bewegen.« Mit einer ausschweifenden Geste deute ich auf das Haus. Ihre Brauen zucken. »Es ist mehr die unsichtbare Mauer, die mich hier gefangen hält«, erklärt sie. Ich verstehe.
»Du willst in den Garten? Dann geh doch in den Garten. Benutz den Pool, schau den Rasensprinklern im Vorgarten beim Bewässern des Rasens zu. Mir egal«, brumme ich und schließe die Augen wieder. Ihre Präsenz verschlimmert meine Beschwerden. Vielleicht ist es ihre Aura, die mir so abweisend und kräftig entgegen strahlt. »Davon spreche ich nicht«, nuschelt sie mit vollem Mund.
»Von was dann?«, seufze ich genervt. Langsam geht sie mir auf die Eier. »Du sagst mir ja auch nicht, was genau in London passiert ist. Nur vage Hinweise. Wie soll ich dann nachvollziehen können, was passiert ist? Wie soll ich dir da entgegenkommen? Mit was? Wir werden so oder so heiraten. Egal was los war, wir wissen beide, dass du nie wieder in dein altes Leben zurückkehren kannst. Sieh es als Chance an, die ich dir biete. Du könntest es hier guthaben«, mache ich ihr klar. Will sie es nicht verstehen? Oder kann sie es einfach nicht?

Ich sehe wie sich etwas in ihren Augen spiegelt, als ich die meine öffne. Sie kann es nur mit Mühe hinter einer Maske verstecken. Doch mir reicht dieser kurze Augenblick, um zu wissen, dass sie schwer über meine Worte grübelt.
»Nur verstehe ich nicht, wieso genau ich das sein muss«, gibt sie schließlich zu. Ich schnaube.
»Naja, du bist die Einzige, die per Expressversand kam«, scherze ich und ernte einen weniger erfreuten Blick. »Witzig«, zischt sie säuerlich. Ich zucke mit den Schultern. Mir doch egal, dass sie mich fast erdolcht mit ihren Blicken. Das lässt meinen Schwanz nur noch härter werden. Ich mag ihre biestige Art, auch wenn sie mir gerade gehörig auf den Nerv geht. Vielleicht sind es die Kopfschmerzen, die mich zu diesen Gedanken drängen. Ja, vielleicht. »Also, ist das der einzige Grund, wieso du hier bist? Du bist mir heute ziemlich aus dem Weg gegangen«, merke ich an. Hängt das mit gestern Abend zusammen? Wir haben seitdem kein Wort miteinander gesprochen.
Stumm schiebt Amelia ein weiteres Stück Schokolade zwischen ihre vollen Lippen und ich kann meinen Kopf nicht daran hindern, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn dieses Stück Schokolade mein Schwanz wäre. Wie er sich zwischen ihre warmen, feuchten Lippen schiebt und tief in ihren Mund vordringt. Die tiefen Geräusche, die ihrer Kehle entfliehen würden. Gott, allein bei dem Gedanken ...

»Du warst den ganzen Tag weg«, nuschelt sie.
»Ich war die ganze Zeit hier«, widerspreche ich.
»Im Keller? Was macht ihr da unten?«
»Das geht dich nichts an, fürchte ich.«
Ein Lächeln zuckt über ihre Lippen. Sie schaut mich an, der Blick tief und intensiv, so als könne sie direkt in mein Inneres schauen, ohne ihr eigenes freizugeben. Sie ist mir ein verdammtes Rätsel und alles in mir verlangt, es zu knacken.
»In ein paar Stunden fliegen wir nach Paris«, eröffne ich ihr schließlich und richte mich endgültig auf. Ein letztes drücke ich mir die Packung Eis an die Stirn, bevor ich sie auf dem Couchtisch absetze und Amelia zu meiner rechten mustere. Alles an ihr sagt mir, wie schrecklich sie diese Worte findet. Wie abstoßend die Idee, mich nach Paris zu begleiten. Und doch liegt Neugier in ihren Augen. Neugier über das, was geschehen wird. Ich habe das Thema gestern kurz angerissen aber nicht weiter ausgeführt. Immerhin hat sie eh keine Wahl, außer mit mir mitzukommen.
»Was machen wir da?«
»Lass dich überraschen chérie«, sage ich geheimnisvoll. Sie schluckt den letzten Bissen Schokolade herunter. »Ich hasse Überraschungen«, murmelt sie. Diesmal Zucken meine Mundwinkel gen Zimmerdecke, als ich mich erhebe. »Trotzdem bist zu zu neugierig, als eine Szene zu veranstalten. Geh jetzt schlafen Ma chérie, wir brechen bald auf«, rate ich ihr. Es ist schon spät und in wenigen Stunden werden wir zum Flughafen fahren. Sie sollte dringend in ihr Zimmer und ich könnte auch ein paar Stunden Schlaf vertragen. Vielleicht sind meine Kopfschmerzen dann endlich weg.
»Ich hab nie gesagt, dass ich mitkomme!«, ruft sie mir auf meinem Weg aus dem Wohnzimmer hinterher. Sie denkt wirklich, sie könne darüber entscheiden? Süß. Im Wahrheit hat sie recht. Sie ist an mich gebunden und mein Wort ist oberstes Gesetz. Immerhin ist sie nicht freiwillig hier und sucht sicher nur einen Ausweg, um endlich abzuhauen. Ich bin nicht so blöd und denke, dass sie es nie versuchen wird. Sie ist Polizistin - war Polizistin. Es liegt ihr quasi in der Natur, es zu versuchen. Das im Keller mag ihr erster Versuch gewesen sein. In Paris dann vielleicht ihr zweiter. Es wäre einfach, sehr einfach und doch kann ich nur für sie hoffen, dass sie es nicht versuchen wird. Gnade ihr Gott, sollte sie es doch wagen.
»Und ich habe nie gesagt, dass du eine Wahl hast.«

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt