AMELIA
Skeptisch stochere ich in meinem Nachtisch herum. Meine Worte grübeln noch immer über das nach, was er vor dem Abendessen sagte. Ich will glauben, dass er lügt, aber irgendwie kann ich das nicht. Er will Infos, dafür zeigt er mir welch ein Leben ich hier führen könnte. Es hört sich verlockend an, auch wenn ich noch immer abhauen will. Schaden kann es nicht, oder? Ich meine, viele Infos habe ich eh nicht. Er will sicher wissen, wie ich in die Kiste gekommen bin. Nur fällt es mir alles andere als leicht, darüber zu sprechen. Die Dinge die Sergio getan hat ... sie sind nicht einfach so aus meinem Kopf löschbar. Die Momente, die ständig vor meinem inneren Auge auftauchen, oder die Stimmen von ihm. Es bringt mein Herz ängstlich zum Schlagen. Ich bin nicht bereit, diesen Teil preiszugeben, weil es mich schwach macht, und das will ich nicht sein.
»Bist du noch anwesend?«, hakt Timéo nach als er die Gabel auf seinem leeren Teller ablegt und sich im Stuhl zurücklehnt. Genervt schiebe ich mir noch ein Stück Cheesecake in den Mund und schenke ihm einen vielsagenden Blick.
»Wie ich sehe bist du bei bester Laune, chérie.«
»Spar dir das«, murre ich und ramme die Gabel zurück in den Erdbeerkäsekuchen. Idiot.
»Willst du mir endlich mal erzählen, wie genau jemand wie du in die Lage gekommen bist?«, hakt er nach. Ich schüttle ehrlich meinen Kopf. »Nein, will ich nicht. Wieso ist das so interessant für dich? Frag doch diesen James einfach danach«, frage ich ihn. Der Franzose zuckt mit den Schultern und nimmt einen Schluck Rotwein aus seinem Glas. »Weil es mich nun mal interessiert, petite brittanique, und du hier bist um mir zu antworten. Wieso sollte ich dann James fragen?«, meint er und ich schnaube. Gesättigt stecke ich die Gabel in das letzte bisschen Kuchen auf meinem Teller und hebe die Stoffserviette zu meinen Lippen, um sie mir abzuputzen. »Weißt du was ich glaube?«, frage ich und lege das Stück Stoff wieder beiseite. Timéo spitzt die Ohren und deutet mir mit einer ausladenden Geste weiterzusprechen. »Ich glaube, James gibt dir keine Antworten und deswegen gehst du mir auf die Nerven«, gebe ich ehrlich zu. Die Sache stinkt doch bis zum Himmel. Der Typ verrät ihm doch kein noch so kleines Ding.Der dunkelhaarige Franzose beginnt selbstgefällig zu schmunzeln. Das dämliche Funkeln in seinen smaragdfarbenen Iriden strahlt mir dabei kräftig entgegen. »Was glaubst du denn noch so zu wissen, chérie?«, hakt er nach.
»Einiges«, behaupte ich und bringe ihm zum Grinsen. »Ach ja? Und zwar?«
»Das verrate ich dir nicht.«
»Verrate mir doch stattdessen mal, wie du genau in diese brenzliche Situation gekommen bist«, fordert er. »Ich wurde gekidnappt«, antworte ich trocken. Das ist eines der Dinge, die ich über die Lippen bringe. Immerhin ist es auch so gewesen. Seine Aufmerksamkeit habe ich damit jedenfalls sicher. Er rutscht im Stuhl hinauf, langt nach der Flasche Wein zwischen uns und gießt sich nach.
»Ach ja? Fahr fort«, fordert er mich auf.
Mit verschränkten Armen schaue ich dabei zu, wie die rote Flüssigkeit in sein Glas plätschert. »James und Sawyer haben eine Frau vor diesem Mann, der mich gekidnappt hat, gerettet und mich dort gefunden. Sie dachten wohl, ich wäre ein passendes Geschenk für dich«, erkläre ich ihm ehrlich. Das hört sich an wie eine gute Zusammenfassung.
Mit gehobenen Brauen schaut er mir entgegen. Der Blick in seinen Augen nicht zu deuten. »Und wer war dieser Mann?«, will er neugierig wissen. »Sergio«, flüstere ich und senke meine Augen hinab auf meine Beine, weil sich Momente aus dem Keller in London vor meinen Augen abspielen. »Sergio wer?«
»Karakov.«
»Scheiße, der Hurendealer? Ist der nicht Tod?«, fragt Timéo in einem schrillen Ton. Ich nicke und fahre mir Unbehagen durch die Haare. »James und Sawyer haben ihn umgebracht«, murmle ich. Timéo beginnt zu lachen. Es ist so unvorhersehbar, dass ich mit runzelnder Stirn aufschaue und mich Frage, wieso er das so witzig findet. Er lacht. Es klingt rau und tief wie knisterndes Holz und ein tobender Sturm. Wie Schleifpapier und raue Wellen. »Was ist so witzig daran?«, lege ich meinen Kopf schief. »Nun ja«, der Franzose erhebt sich langsam aus seinem Stuhl und schlendert mit seinem Weinglas in der Hand zu mir hinüber. Ich beobachte, wie er sich seitlich auf der Höhe meines Tellers gegen den Tisch lehnt und einen Schluck trinkt. »Kaum zu fassen das die beiden ihn endlich umgelegt haben. Da haben sie ja ein paar Jahre für gebraucht«, schnaubt er. Verwirrt zucke ich mit den Schultern. »Keine Ahnung. Was hat das überhaupt mit mir zu tun?«, frage ich mich selbst und wippe nachdenklich mit meinem Fuß unter dem Tisch hin und her. »Das hat sehr vieles mit dir zutun, chérie. Es ist ein Teil deiner Geschichte«, erklärt Timéo und langt nach dem Wein. Ohne dass ich ihn stoppe, sehe ich zu, wie er mir beginnt nachzuschenken. »Da du mir erzählt hast, was ich hören wollte, werde ich meinen Teil der Verabredung einhalten«, fährt er fort und reicht mir mein völlig überfülltes Glas. Ich mag keinen Rotwein, dennoch trinke ich ihn. Seine Worte lassen eine Menge Fragen in meinem Gehirn auftauchen, zu denen ich antworten brauche. Aber im Moment reicht mir sein Blick, der mir sagt, dass er nichts dummes machen wird und aus irgendeinem Grund, glaube ich ihm das.
»Das wäre?«
»Trink erstmal aus chérie, dann werde ich es dir zeigen«, verspricht er und legt seine Finger an den Boden des Glases, um es gegen meinen Mund zu heben. Ich trinke auch den letzten Schluck meines dritten Weinglases aus, vermutlich ist das keine gute Idee. Zufrieden nimmt er mir das Glas ab, reicht mir seine Hände, die ich zögerlich annehme. Sie sind warm und lösen ein Prickeln in mir aus. An einigen Stellen sind sie weich, über die anderen ziehen sich Schwielen. »Lass uns woanders hingehen«, schlägt er vor und geht voran. Seine Hand noch in meiner. So führt er mich durchs Haus. Auf dem Weg zu dem mir nicht bekannten Ziel, merke ich wie der Alkohol seine Wirkung in mir entfaltet. Er war ziemlich stark und das steigt mir jetzt zu Kopf. Ich fühle mich unglaublich leicht und unwohl auf den Füßen.
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King of Marseille | 18+
Romantizm»Ma chérie, komm zu mir kleines. Abhauen kannst du ohnehin nicht.« Als Geschenk für einen Freund, wird die junge Polizistin Amelia nach Frankreich entführt, um dort den Juwelendieb Timéo zu heiraten. Aus dem anfänglichen unbändigen Hass den sie auf...