AMELIA
Gähnend trete ich im Hotel aus dem Fahrstuhl hinaus und streife mir meine Heels von den Füßen. Sie schmerzen schrecklich nach dieser Tortur von Schuhen. Keuchend lege ich sie beiseite und sinke auf einen der Stühle im Wohnzimmer.
Timéo lässt sein Jackett auf der Lehne des Sofas liegen und zerrt sich in einem geübten Handgriff die Krawatte vom Hals. »Endlich wieder atmen«, seufzt er zufrieden und wirft sie ebenfalls aufs Sofa. Nur mit Hemd und schwarzer Hose gekleidet, kehrt er mir den Rücken und steuert auf den Barwagen zu, der sich im Zimmer befindet. Ich reibe mir meinen schmerzenden Füße, höre wie Alkohol in ein Glas plätschert.
Stumm kommt Timéo mir entgegen, und reicht mir eines der beiden, die er befüllte hat. Ich schnuppere skeptisch. Das kalte Kristall fühlt sich gut in meinen Händen an. Ich ziehe die kleinen Einkerbungen, wie ein Muster mit meinen Fingerkuppen nach. Beobachte Timéo, wie er sich rückwärts auf das große Sofa fallen lässt.
»Ein gelungener Abend«, seufzt er erledigt. Ich stimme ihm nickend zu. Noch immer skeptisch am Alkohol schnuppernd, merke ich endlich, dass es vermutlich Whisky ist, den er mir da eingegossen hat, und gerade schluckt wie Wasser.
Ich probiere auch. Er schmeckt stark, brennt sich wie Feuer meine Kehle entlang in meinen Magen. Hustend schiebe ich das Glas auf den Eichenholztisch zwischen uns. Der Franzose wirft mir einen belustigten Blick zu.
»Noch nie echten Whisky getrunken? Langsam frag ich mich, wer hier von uns beiden die Engländerin ist.« Seine anklagenden Worte gehen in einem erneuten Schluck Whisky unter. Heimlich verdrehe ich meine Augen.
»Whisky stammt aus Schottland«, korrigiere ich ihn. Das sollte er doch wissen.
»Und? Woher kommst du?«
»Was spielt das für eine Rolle?«
»Eine sehr große. Doch aus dem Buckingham Palace, Queen Elizabeth?«
»Wenigstens bin ich kein dicker Franzose auf nem Pferd.«
Gespielt beleidigt tastet Timéo seinen Oberkörper ab. »Fett? Autsch. Dachte das sind Muskeln.«
»Falsch gedacht, Napoleon.«Ich überrede mich doch selbst dazu, den Rest des Glases zu leeren. Es schmeckt nicht weniger scheußlich als beim ersten Mal. Kaum ist es geleert, schenkt er mir schon nach.
»Also woher kommst du?«, lenkt er auf das eigentliche Thema zurück. Seine Augen mustern mich neugierig.
»Wieso interessiert dich das?«, will ich ehrlich wissen. Immerhin sollte ihn das kein bisschen kümmern. Er zuckt mit seinen Schultern.
»Darum eben. Sag schon. Aus Schottland schonmal nicht. Die würden dich hochkant rausschmeißen, wenn sie gesehen hätten, was du für ein Gesicht beim Trinken gezogen hast«, macht er sich über mich lustig. Ich kippe sauer einen großen Schluck nach. »Kann ja nicht jeder ein Alkoholiker wie du sein«, brumme ich und zwänge mich am Sofa vorbei. Bevor er mir antworten kann, bin ich ins Schlafzimmer abgebogen. Ich bin hundemüde, und wenn ich das richtig verstanden habe, werden wir schon bald abreisen. Davor sollte ich noch etwas Schlaf bekommen. Besser später als nie.Plötzlich werde ich zurückgerissen und mein Körper prallt hart gegen die geschlossenen Schranktüren. Ich stöhne, kneife meine Augen zusammen, nur um Timéos Ebenbild vor mir zu sehen, als ich sie wieder öffne. Er hat sich bedrohlich vor mir aufgebaut. Seine Finger bohren sich wie Schraubstöcke in meine Schultern und pinnen mich am Schrank fest. Die Emotionen, die über sein Gesicht huschen, lassen mich stocken.
»Ich bin alles andere, als ein dreckiger Alkoholiker, klar?«, fährt er mich zornig an. Mein Körper zuckt heftig zusammen, als seine Worte meine Ohren fluten. Sie erinnern mich augenblicklich an London. An Sergio.
»Ja«, wispere ich atemlos, sehe ihm in seine Augen, die so von Macht und Hass dominiert sind wie nie zuvor. Irgendwas muss sich in seinem Gehirn umgelegt habe. War ich es? Meine Worte? Ich muss ihn getriggert haben. Und das wollte ich nicht. Dieser Timéo, gefällt mir nicht. Ich mag den anderen viel mehr, obwohl ich keinen von den beiden mögen sollte. Verdammt. Seine Finger lösen schmerzen aus. Ich unterbreche unser intensives Anstarrduell. Sehe, wie seine Brust sich hektisch beweget. Er ist völlig in Rage. Das ist nicht gut. Schweratmend schließe ich meine Augen. Bei Scotland Yard haben sie mir beigebracht, nie klein beizugeben. Immer das durchzusetzen, was getan werden muss. Sich nie abwimmeln zu lassen. Aber gerade in diesem Moment merke ich, dass ich mit Sturheit und meiner großen Klappe nicht weit komme. Ich schlucke hart, taste in der Dunkelheit nach seinem Hemd. Der schwarze Stoff, fühlt sich weich an, zwischen meinen Fingern. Ich traue mich nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Dafür rast mein Herz viel zu schnell. Stattdessen sind es meine Hände, die seinen Körper weiter erkunden. Über seine Brust fahren, sich an seinen Hals legen. Unter meinem Daumen fühle ich das kräftige Pochen seiner Halsschlagader. So fest und stetig, dass ich fast glaube, er würde gleich richtig ausflippen. Doch er tut nichts. Zitternd entweicht Luft aus meinen Lungen.

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King of Marseille | 18+
Romance»Ma chérie, komm zu mir kleines. Abhauen kannst du ohnehin nicht.« Als Geschenk für einen Freund, wird die junge Polizistin Amelia nach Frankreich entführt, um dort den Juwelendieb Timéo zu heiraten. Aus dem anfänglichen unbändigen Hass den sie auf...