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AMELIA

Das Abendessen war unglaublich. Ich habe schon lang nicht mehr etwas sowas Fantastisches gegessen wie gerade eben. Nachdem wir uns von einer Menge – ich habe bei fünfzig aufgehört zu zählen – Leute beglückwünscht haben lassen, ging es an den Tisch. Nach einer kleinen Rede von Timéo, gab es endlich Essen. Dabei habe ich mehrere Gläser Champagner geleert und fühle mich seitdem etwas beschwipst. Den Gesprächen denen Timéo nachgegangen ist, habe ich nicht verfolgt. Ich habe mich selbst mit einigen neugierigen Frauen unterhalten, dessen Namen ich nicht kenne. Es ging um belangloses zeug, zumindest, wenn man nicht so reich und materialistisch wie diese Damen ist. Hochzeitsgeschenke, teure Prada und Gucci Taschen, Schuhe und die Einladung zu einer Klatschrunde in Marseilles begehrtesten High Society Club. Alle waren sie so ermüdend, dass ich mir ständig ein Gähnen unterdrücken musste, während ich mich gespielt interessiert mit ihnen unterhielt. Irgendwann hat Timeo mich dann gnädigerweise aus dieser Unterhaltung gerettet und mir zugeflüstert, dass ich mit zwei Hausmädchen auf mein Zimmer gehen soll, um mich umzuziehen. Und ich bin verdammt froh, endlich aus diesem schweren Kleid herauszukommen. Es ist wunderschön, keine Frage, aber weit, lang und umständlich. Das merke ich vor allem, als ich die Treppenstufen in die Villa hinein hinaufsteige. Die zwei Hausmädchen helfen mir, heben die Schleppe und den Rock, begleiten mich bis in mein Zimmer. Sie schließen die Tür hinter sich und als diese ins Schloss klickt, erhellt sich der Raum in diffusem Licht, dass von den Wänden abstrahlt. Die Vorhänge sind zugezogen und so sieht die feine Gesellschaft, die sich im großen Garten aufhält, mich nicht. Im Bad vor dem großen Spiegel angekommen, lasse ich den zusammengerafften Rock fallen und atme gleichzeitig erleichtert aus. Meine Schultern senken sich, als wäre jegliche Last von ihren Schultern gefallen und ich bin mehr als dankbar, mich endlich den Blicken der Gäste entziehen zu können.

Schweigend öffnet eines der Hausmädchen mir das Kleid, während die andere mit einem Kleidersack ins Bad tritt, und diesen wie mein Brautkleid zuvor, an die Tür hängt. Aus dem weißen Sack zieht sie ein kurzes enges Kleid, dessen Satinstoff mir entgegenschimmert. Es ist hübsch und der eckige Ausschnitt erinnert mich ein wenig an das Tüllkleid, aus dem ich mich gerade schäle. Es fällt zu Boden, die Angestellte reicht mir eine Hand, und ich klettere auf den hohen weißen Brautschuhen aus dem Haufen Stoff. Noch bevor ich wieder auf beiden Beinen stehe, ist es verschwunden und die zweite Frau, taucht mit dem neuen Kleid neben mir auf. Ihr stark französischer Akzent, wärmt mein Herz.
»Für Sie, Madame.«
Dankend lasse ich mir hineinhelfen und betrachte mich selbst im Spiegel. Die weiße Spitzenunterwäsche verschwindet unter dem Satin, und mit ihr kommt das üble Gefühl, wenn ich daran denke, was jeder hier von mir erwartet. Mit Timéo zu schlafen. Dabei spuken mir noch immer die Bilder aus London im Kopf herum. Von dem, was mir widerfahren ist und mich für immer verfolgen wird. Ich will mich übergeben, so schlecht ist mir. Luftanhaltend höre ich das Ratschen des Reißverschlusses. Geschlossen, sitzt das Kleid wie eine zweite Haut und schmeichelt meiner Figur. Es betont meine Taille, meinen Po und meine Brüste. Ich drehe mich mit wackligen Beinen und streiche mir nervös den Bauch hinab. Der Stoff endet in der Mitte meiner Oberschenkel.  Das kurze Kleid ist elegant und lässt mich wie eine Lady der high Society der Stadt fühlen, die sich gerade im Garten der Villa befindet. Dabei bin ich kein Teil von ihr und werde es nie sein. Sie sind so anders als ich und ich so anders als sie.

»Merci«, kommt es über meine Lippen. Die beiden Frauen haben mein Make-up aufgefrischt und meine Haare zurechtgelegt. Selbst die röte meiner Wangen ist einem sanften Teint gewichen. Ich bin froh, dass die Male auf meiner Haut, fast vollständig verschwunden sind. Zumindest die, die sichtbar sind. Die auf meiner Seele, werden für immer bleiben. Nichts kann je die Erinnerungen an diese schicksalhafte Nacht ausradieren, die mir in London widerfahren ist. Es schmerzt, darüber nachzudenken. Mist. Wenigstens heute sollte ich versuchen, die dunklen Gedanken in die tiefste Ecke meines Kopfes zu verbannen. Und endlich versuchen, den Abend zu genießen. Ganz gleich, ob dies eine Liebeshochzeit war, oder nicht. Ich spüre, dass der Abend gerade erst begonnen hat. Auch wenn der Mond hell am Himmel steht, und auf mich hinabscheint, als ich die Villa durch die Haustür verlasse. Während die Feier hinter dem Haus noch in Gange ist, hat Timéo sich heimlich in den Vorgarten geschlichen. Er lehnt lässig an einen schwarzen SUV gelehnt an der Motorhaube. Seinen Anzug, der ihn streng und autoritär aussehen lässt, hat er längst abgelegt und die oberen Knöpfe seines Hemdes gelassen geöffnet. Seine Krawatte ist weit und breit nicht in Sicht.
Mir entgehen die schwarz gekleideten Securitymänner nicht, die ich im Augenwinkel sehe, als ich auf ihn zulaufe. Meine hohen Schuhe hinterlassen volle Klänge auf dem gepflasterten Steinboden der Auffahrt. Das Wasser eines Springbrunnes plätschert mir in den Ohren, und kleine feuchte Spritzer des Wassers, benetzen meinen Arm beim Vorbeigehen.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt