66 - Epilog Part 2

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AMELIA

Ich erkenne Quentin, die zwei Männer und eine Frau zwischen ihnen. Das muss Sie sein. Ihre langen braunen Haare wehen im Fahrtwind und wirbeln das Sommerkleid auf, welches sie trägt. Quentin reicht ihr die Hand, als sie angelegt haben, und hilft ihr auf das Schwimmdeck. Sie verschwinden plaudernd irgendwo unter uns und dann werden die Stimmen lauter. Und mein Puls schießt in die Höhe. Einen Blick über die Schulter genehmige ich mir. Timéo setzt Matéo gerade in seinem errichteten Spielbereich ab. Ihn hier zu wissen, besänftigt meine innere Unruhe etwas. Er legt, wohlwissend wie es gerade in mir aussieht, eine Hand auf meine Schulter und drückt sie sanft. Ich bin ihm so dankbar...

Quentin ist der erste, der das dritte Deck betritt, eng gefolgt von Jane, die er in ein Gespräch verwickelt hat. Dahinter James und Sawyer. Noch bevor Quen uns entdeckt treffen sich James und meine Blicke und mein Herz setzt für einen Moment aus. Seine sonst so kalten Augen erwärmen etwas, als er realisiert, wer ich bin. Merkwürdig. Das letzte Mal als ich in seine mörderisch kalten Augen geblickt habe und das Verderben tief in ihnen sah, hat er mir klar gemacht, wer und was ich bin. Er ist ein Monster, getarnt in einem Mann, der mir freundlich gegenübertritt. Timéo begrüßt die drei fröhlich, während ich Quentin umarme, der sich unfreiwillig dazu hinreißen lässt, seine Arme tätschelnd, um mich zu legen. Inzwischen sind wir sowas wie gute Freunde geworden, würde ich behauptet. Wir verstehen uns und er erkennt mich endlich als die an, die ich bin. Er hat mir zu Beginn nicht vertraut, was auch sein Verhalten erklärte. Jetzt ist das anders. Quen und ich sind fast wie Sam und ich. Apropos Samuel. Ich bin so froh, dass ich ihn nicht verloren habe.

»Meine Frau muss ich euch beiden ja nicht mehr vorstellen, oder?« Timéo zieht mich an seine Seite. Ich lächle den beiden angsteinflößenden Männern zaghaft entgegen. James grinst dämlich. »Hat dir wohl die Krallen etwas gestutzt, kleine Raubkatze«, höhnt er spöttisch und mustert mich von unten bis oben. Sawyer steigt in sein Lachen ein. Die Frau neben ihm, rammt James hingegen ihren Ellenbogen unsanft in die Seite, was den muskulösen Geschäftsmann nicht kalt lässt. Er straft sie mit einem mahnenden Blick, und ich frage mich wirklich, wie es sein kann, dass die beiden Männer sich so anders verhalten wenn sie bei ihr sind. Es scheint, als hätte sie sie im Griff, auch wenn es von außen nicht so aussehen soll. Das gefällt mir. Jane scheint Biss zu haben. Vielleicht sind wir uns ähnlicher als ich angenommen hatte.
Sie macht selbstbewusst einen Schritt auf mich zu und zieht mich in eine zögerliche Umarmung. »Schön, dich wiederzusehen Abby.«
Sie kennt meinen Namen noch... Sie kann sich wirklich erinnern. Wow.
»Abby?« Timéos Brauen zucken in die Höhe. Nickend wende ich ihm den Kopf zu. »Mein Deckname bei Karakov. Ich war Abby.«
»Also ist das gar nicht dein Name?«, schlussfolgert Jane verwirrt. Ehrlich schüttle ich meinen Kopf und schenke ihr ein kleines Lächeln. »Amelia. Nenn mich Amelia.«
»Jane«, stellt sie sich auch nochmal vor, als ob ich das nicht bereits wüsste. Ich bin froh, dass wir es beide da rausgeschafft haben.
»Lassen wir sie mal alleine«, schlägt Sawyer schließlich vor. »Gute Idee, kommt.« Timéo führt sie zum Esstisch unweit von uns entfernt und dennoch so weit, dass ihre Unterhaltungen nur leises Gemurmel sind. Die vier nehmen Platz und scheinen sich gut zu amüsieren. Ihnen werden Drinks gebracht und auch wir beide werden gefragt.

Zwei Tequila Sunrise später, sitzen wir nebeneinander auf der Lounge und genießen den lauen Sommerwind, der uns um die Ohren pustet. Janes Augen huschen immer wieder zu Matéo, der in seinem Babyknast spielt, wie Quentin es immer nennt. Auch wenn er es jetzt mit Sicherheit leugnen würde, weiß ich das er gerne Onkel für seinen Neffen spielt. Auch wenn sie eigentlich nicht Blutsverwandte sind. Das spielt keine Rolle und wird es auch nie. Familie endet nicht bei gleichen Genen. Vielmehr ist Familie das, was man sich selbst erschafft. Die Menschen, die man um sich hat und die für einen durchs Feuer gehen würden. Familie ist im Herzen.
»Damals bei Sergio ...«, beginnt Jane schließlich leise. Mein Zeigefinger kreist über den Rand meines Glases, welches ich fast geleert habe.
»Da wusste ich nicht, dass ich schwanger war.  Ich habe es erst viel später erfahren und konnte nicht anders als daran zu denken, was wohl passiert wäre, wenn ich es nicht da raus geschafft hätte.«
Janes Offenheit mir gegenüber lässt meine Schultern entspannt hinabsinken. Ich fühle mich so unglaublich wohl bei ihr, als kennen wir uns schon unser ganzes Leben.
»Sawyer hat mir erzählt, was du durchgemacht hast und auch gesagt, dass ich es nicht ansprechen soll. Aber ich muss dir einfach sagen, dass ich das bewundere. Dich, meine ich. Du bist so stark gewesen. Ich glaube nicht, dass ich...« Sie beendet ihren Satz nicht und lässt ihn in der Luft hängen. Ihre Worte lösen Gefühle in mir aus, die ich schon lang nicht mehr gespürt habe und trotzdem schafft sie es gleichzeitig, dass ich mich gut fühle. Wie, weiß ich nicht. Jane hat etwas an sich, was einen wohlfühlen lässt. So vertraut und heimisch zugleich. Ich weiß jetzt, was die beiden an ihr finden. Die Aura, die sie umgibt, ist einzigartig und die Weise, wie die beiden Männer sie stets im Auge behalten, zeigt mir wie ernst es zwischen ihnen sein muss. Zu dritt. Wie auch immer das funktioniert.

»Wie heißt er?«
»Matéo«, wispere ich und richte meine Aufmerksamkeit zurück auf meinen Sohn, der mittlerweile recht gelangweilt aussieht. Er strampelt mit seinen Füßchen in der Luft und steckt sich seine Hände in den Mund. Er ist erst ein halbes Jahr alt und kann nicht unbeaufsichtigt bleiben. Ich schiebe entschlossen meinen Drink auf einen der Beistelltische ab und erhebe mich. Matéo empfängt mich mit freudestrahlenden Augen als ich mich über ihn beuge und ihn in die Arme nehme. Er schmiegt sich müde an mich, stößt ein herzhaftes gähnen aus und ich schnappe mir seine Kuscheldecke, um ihn zuzudecken. Mit ihm auf dem Arm, gehe ich zurück zu Jane und sinke wieder neben sie. Ihre grünen Augen weiten sich begeistert, als sie den kleinen Jungen sieht. Sie zieht eine Grimasse und bringt ihn zum Kichern. Das ist pure Musik in meinen Ohren.
»Wie alt ist dein Baby?«, frage ich Sie. Wenn sie schon schwanger war, als wir uns kennenlernten, muss es älter als Matéo sein. Ich frage mich, wer von den beiden Männern der Vater ist und ob das überhaupt eine Rolle spielt für sie. Es scheint nicht so zu sein.
»Gwen ist ein paar Monate älter als Matéo. Wäre lustig, wenn sie mal heiraten würden.«
Wir lachen und ernten skeptische Blicke von den Männern, die das wohl mitbekommen haben.
»Heiraten? Wen?«, will James knirschend wissen. Jane verdreht ihre Augen und erhebt sich. »Gwen und Matéo. Wäre doch süß«, wiederholt sie sich und sinkt zwischen Sawyer und ihn auf den freien Stuhl am Tisch. Auch ich setze mich in Bewegung und nehme neben Timéo Platz, der zwischen mir und Quentin sitzt. James schnaubt. »Die wird niemals heiraten.«
»Genau«, brummt Sawyer. Schmunzelnd beiße ich mir auf die Lippen, um es mir zu verkneifen. Es ist lustig ihnen zuzusehen.
»Natürlich wird sie das irgendwann, Jungs. Das werdet ihr schon verkraften. Und Matéo wäre doch eine gute Partie«, säuselt sie den beiden zu.
»Naja ich weiß nicht, ob ich euch als Schwiegereltern für meinen Sohn will«, gibt Timéo zu und löst damit die verkrampfte Stimmung am Tisch. James ist der erste der dämlich grinst und voll auf seine Worte eingeht. Während sie sich lachend unterhalten, horche ich meisten nur zu und streichle Matéos Köpfchen gedankenverloren. Der kleine Junge schmiegt sich so fest an mich, dass wir fast verschmelzen und ich mich am liebsten nie von ihm lösen will. Unter der warmen Decke schlummert er tief und fest und so sicher wie er nirgendwo ist, außer bei mir und Timéo. Glücklich lehne ich mich an die Schulter meines Mannes und lasse mich von den Gesprächen und der guten Stimmung besudeln. Das hier ist perfekt. Dieser Moment ist es, weil ich die Menschen um mich habe, die mich glücklich machen. Mein altes Leben habe ich schon lange hinter mir gelassen und wer weiß, vielleicht steige ich irgendwann in Timéos Geschäfte ein. Immerhin weiß ich jetzt genau, was er tut. Er hat mir alles in Ruhe erklärt. Zugeben ist er wohl der talentierteste Juwelendieb Europas und ich kann kaum glauben das ich das sage, aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich früher oder später gemeinsam mit ihm diesen Job nachgehen werde. Mein früheres ich als Polizistin kann mir dabei nur zugutetun. Ausatmend legt Timéo seinen Arm um mich und küsst in einem Moment der Ruhe meine Stirn, während alle anderen von Quentins amüsanter Erzählung abgelenkt werden.
»Ich liebe euch, Amelia Moreau. Dich, seit du mich angefallen hast wie eine kleine Raubkatze. Ich wusste schon immer, dass du die eine bist, ma chérie.« Seine Stimme bloß ein raues Flüstern. Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus und lässt mich, mich enger an ihn pressen. Seine Worte sind wie Balsam für meine geschundene Seele.  Ich liebe ihn so sehr, dass es wehtut.
»Und wir dich, Napoleon. Das wird sich niemals mehr ändern.«




ENDE

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt