65 - Epilog Part 1

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AMELIA
ein halbes Jahr später...

Die Sonne knallt gnadenlos auf die Yacht hinab und würde ich gerade auf die Stadt schauen, würden mir die Augen um Schein der reflektierenden Häuser verbrennen. Der Sommer in Marseille ist nichts, was ich mit dem Sommer in London vergleichen könnte. Regen, graue Wolken getauscht gegen Sonnenschein und blauen Himmel. Ich würde mich gerade an keinen anderen Ort wünschen als hier.
Damals in der Kiste, hätte ich nie gedacht zu was dies hier mal führen würde. Nicht die Nähe, die ich zu Timéo haben würde, geschweige denn die Gefühle, die in mir herrschen, wann immer ich an ihn denke. Damals war alles, was ich wollte, meine Freiheit. Jetzt ist alles, was ich mir vorstellen kann, meine Familie.
Timéo und Matéo.
Mein Leben hat sich voll geändert im Vergleich zu damals, aber ich bereue es keinen Tag. Jeden bin ich froher, geblieben zu sein und zu wissen, dass ich hier zuhause bin. Bei ihm. Meine Karriere als Polizistin habe ich unfreiwillig an den Nagel gehängt, als ich mich dazu entschloss, Undercover zu ermitteln. Nur war mir das bis vor kurzem nicht klar. Mein Chef hat mich belogen und ich bin darauf reingefallen. Ich hätte es besser wissen müssen, aber das ist im Grunde genommen völlig egal. Mit Sam habe ich regelmäßigen Kontakt. Mein alter Kollege ist sowas wie mein bester Freund und ab und zu FaceTimen wir, wenn wir uns nicht schreiben. Nach meiner Rettung von Mathieu, als ich mich etwas besser fühlte, haben wir stundenlang telefoniert. Er hat meine Entscheidung nicht für gut befunden aber im Endeffekt hat er es akzeptiert, weil er sah, dass es mir hier gut geht. Marseille ist inzwischen meine Heimat geworden und ich kann mir keinen anderen Ort mehr vorstellen, an dem ich Leben will. Hier ist mein Zuhause.

Genießend lege ich meinen Kopf in den Nacken und lasse mir die Nase von der Sonne kitzeln. Kleine Hände patschen meinen Hals und bringen mich zum Kichern. Hinabschauend, lege ich meinen Blick auf meinen Sohn, dessen Augen freudig strahlen. Lächelnd richte ich seinen Sonnenhut. Mit jedem Tag gleicht er Timéo mehr. Meine Augen hat er, aber Timéos Züge. Seine Lippen, sein Lächeln, seine Haare. Der kleine Junge ist das Ebenbild seines Vaters.
»Magst du das Wasser?«, frage ich. Meine Augen gleiten hinab zu seinen Füßen, mit denen er im Becken des Pools planscht. Er ist ein glückliches kleines Baby. Kaum zu glauben, nach den Dingen, die er durchmachen musste.
Er strampelt mit seinen Füßchen, spritzt dabei das Wasser herum. Ich selbst sitze am Beckenrand und lasse meine Beine im Wasser baumeln. Es ist ein schöner Tag.
Timéo schwirrt irgendwo auf den unteren Decks herum. Nachher kommen Gäste und die Nachricht, welche es sein würden, lies mich, mich ein wenig zurückziehen. Er hat James und Sawyer zum Abendessen eingeladen, wohlwissend wie ich ihnen gegenüber empfinde. Jahrelang habe ich gegen sie Beweise gesammelt, um ermitteln zu können. Ich weiß mehr schmutzige Dinge über die beiden Männer und ihre Geschäfte als so manch anderer bei Scotland Yard. Aber was soll ich sagen, die beiden können sich jeden Detective mit genügend Geld erkaufen. An dem mangelt es ihnen nämlich nicht. Die beiden sind zwei steinreiche Geschäftsleute aus London. Sie leiten das älteste Hotel der Stadt und haben rekordverdächtige Summen Geld auf ihren Konten, die sie vermutlich alle mit illegalen Geschäften verdienen. Jahrelang standen die beiden ganz oben auf meiner imaginären Abschussliste. Das letzte Mal, als ich James sah, war, als sie mich in ihrem Keller gefangen hielten, bevor sie mich zu Timéo schickten. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. James und mein Gespräch war nicht unbedingt freundlich. Und seid Timéo mir eröffnete, wer uns heute Gesellschaft leistet, haben wir kein Wort mehr miteinander gesprochen. Ich habe mich mit Matéo zusammen zurückgezogen und ihn seit heute Morgen nicht mehr gesehen. Bis jetzt. Ich höre seine Schritte hinter mir auf dem Holzboden näherkommen.

»Hier seid ihr. Ich habe euch schon gesucht.«
Ich wende meinen Kopf Timéo zu, der neben mir in die Knie geht. »Mhm, sind deine Gäste schon da?«, erkundige ich mich. Er seufzt und streckt seine Hand nach Matéo aus, der seinem Vater freudestrahlend entgegenblickt. »Wenigstens einer hat mich vermisst. Deine Maman nicht, hm?« Schmunzelnd streichelt er ihm über seine dunklen Haare und bringt den kleinen Jungen zum Kichern. Ich verdrehe meine Augen.
»Hat Quentin dich mit seinen Sprüchen angesteckt?«, necke ich ihn. Timéo verzieht seine Lippen. »Wünschst du dir, was? Ich wollte nur sehen, wo ihr abgeblieben seid. Du bist schnell weg gewesen vorhin.«
»Mhm.«
»Was hast du, chérie? Unsere Gäste werden bald hier sein.« Er sinkt seine Iriden hinab zu meinen. »Wieso hast du sie eingeladen?«, will ich wissen. »Weil sie meine Freunde sind, und du ohne Sie nie hier gewesen wärst. Außerdem sind sie in der Gegend gewesen und ich dachte, ein Abendessen wäre nett zur Abwechslung.«
Seufzend wende ich mein Gesicht dem Meer zu. Seinen Blick spüre ich noch immer auf mir ruhen. »Komm schon, chérie.«
»Ich mag sie aber nicht.«
»Spring mal über deinen Schatten. Ich glaube kaum, dass sie dich nicht gut behandeln werden, nachher.«
»Haben Sie aber«, zische ich. Ich war bei ihnen gefangen verdammt! James hat mir klargemacht, wo mein Platz ist und wer ich bin. Den Groll, den ich auf sie hege, wächst sekündlich ins Unermessliche und wird sich auch nicht legen. Darauf kann ich verzichten.
»Willst du denn gar nicht die Frau wiedersehen, mit der du bei Sergio warst?«
Während Karakovs Name mir noch immer einen eisigen Schauer über den Rücken laufen lässt, löst ihrer genau das Gegenteil aus. Ruckartig drehe ich meinen Kopf zu ihm. »Jane?«
Timéo nickt langsam. »Ja, sie wird mitkommen.«
»Wieso hast du das nicht gleich gesagt?«, krächze ich. Mein Herz klopft wild und droht mir fast aus der Brust zu springen. Ich drücke Timéo Matéo in die Hände, erhebe mich und nehme den kleinen Jungen schließlich wieder an mich. Auch Timéo steht auf und blickt auf mich hinab. Er ist fast einen ganzen Kopf größer als ich und überragt mich so mühelos.
Meine Kehle ist staubtrocken. »Wann sind sie hier?«, will ich wissen. Ich habe die Frau, mit der ich bei Sergio war, schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen. Im Grunde weiß ich überhaupt nicht, wie sie ausschaut, da wir immer zusammen in der Dunkelheit eingesperrt waren. In meinen Fingern kribbelt es nervös. Sie gleich wiederzusehen, wühlt mich innerlich auf. Gott, es wird unerträglich.

Timéo legt seine Handfläche an meine Wange. Seine Finger kitzeln meine Haut und lassen mich ausatmend meine Augen schließen. Diese kleine Berührung hat eine so gewaltige Wirkung auf mich. Es fühlt sich gut an, ihn hier bei mir zu haben. »Bald chérie. Sie werden morgen früh wieder abreisen«, erklärt er mir und tritt näher. So nah, dass ich sein Parfüm riechen kann. Einlullend lehne ich meine Stirn an seine Brust. Der Stoff seines Hemdes reibt gegen meine Haut. »Ich weiß nicht, ob ich mit Sawyer und James-«
»Es erwartet auch niemand von dir, dass du mit ihnen ein Kaffeekränzchen hältst, Amelia. Setz dich einfach zu Jane und ich beschäftige die beiden«, schlägt er vor. Dankbar blicke ich in seine Dschungelgrünen Augen. Sie funkeln in der Sonne wie Smaragde. »Danke Timéo. Danke, wirklich. Kommt Quentin auch?«
»Klar, er holt sie vom Hafen ab mit dem Beiboot. Sie sollten bald hier sein. Lass uns langsam nach unten gehen.«
Timéo nimmt mir Matéo wieder ab und spricht etwas zu ihm auf Französisch, was ich nicht verstehe. Inzwischen beherrsche ich ein paar Worte aber mehr auch nicht. Ein Gespräch könnte ich sicher nicht führen. Ich bin froh, dass Timéo und Quentin immer in meiner Muttersprache mit mir sprechen.
Gerade als ich die Treppen nach unten auf das dritte Deck trete, sehe ich in der Ferne das Beiboot, was sich mit rascher Geschwindigkeit der Yacht nähert, die vor den Toren Marseilles im azurblauen Wasser ankert. Die Nervosität in meinen Knochen steigt mit jedem Meter, dem sie uns Näherkommen. Augen zu und durch, Amelia.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt