53

2K 183 11
                                    

AMELIA

»Also wieso warst du bei meinem Neffen?«
Mir bleibt fast das Essen im Hals stecken, als er mich das aus dem nichts heraus fragt. Schluckend würge ich den letzten bissen herunter den ich im Mund hatte und spüle mit etwas Wasser nach, welches überraschend zitronig schmeckt. »W-wie bitte?«, hake ich überrascht nach. Wieso interessiert ihn das überhaupt?
Mathieu schiebt sich kauend ein weiteres Stück Braten in seinen gierigen Schlund und lehnt sich mit diesem schrecklich selbstgefälligen Blick im Stuhl zurück. »Du hast mich schon verstanden, kleine.«
Ich verabscheue das er mich so nennt. In seinen Augen bin ich wohl ein naives kleines Mädchen. »Immerhin hast du ein ganz schönes Chaos in seiner geliebten Villa hinterlassen. Hast du gegen ihn ermittelt? Dann stünden wir vielleicht auf der gleichen Seite.«
»Und welche Seite ist das?«
»Nicht Timéos.«
»Ich habe nicht gegen ihn ermittelt«, fahre ich ihn beleidigt an. Ich wüsste nicht, was ihn das zu interessieren hat. Ich verabscheue diesen Mann mit jeder Faser meines Daseins. Er ist ein ekelhafter Mann, der anascheinend nicht nur cholerisch, sondern auch rachsüchtig ist. Das letzte Mal, als er mir im Keller einen Besuch abgestattet hat, hat er mich geohrfeigt, weil ich nicht auf seine Frage geantwortet habe.
»Was hast du dann gemacht?«
Ich ignoriere seine Worte und lehne mich stattdessen, wie er zuvor, auf dem gepolsterten Stuhl zurück. »Was ist eigentlich der Grund dafür, dass ich hier festgehalten werde? Der wahre Grund, nicht irgendetwas mit dem du mich abspeisen willst.«
Die Frage brennt mir schon lange auf der Seele. Inzwischen bin ich über ein halbes Jahr hier und er hat mir nicht einmal verraten, wieso ich überhaupt hier bin. Wieso er mich damals entführt hat und mich seitdem in seinem Keller versteckt hält. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Riley und Ben denke und mich frage, was mit ihnen passiert ist. Ob es ihnen gutgeht. Aber darauf gibt er mir auch keine Antwort. Ich verstehe es einfach nicht.

»Du hast wirklich keine Ahnung? Hat dein liebster dir nie gesagt, wieso er so schnell heiraten wollte?« Mathieus Stimme klingt vorwurfsvoll. Meine Stirn legt sich in tiefe Furchen, und ich blicke dem Franzosen starr entgegen. Eine Antwort spare ich mir. Das düstere grinsen auf seinem dreckig fiesem Gesicht, wird noch eine Spur gemeiner. Er nippt an seinem Weinglas, überschlägt die Beine lässig und lässt seine Augen wahllos durch den Raum wandern. So, als wäre das, was er mir gleich erzählt, eine langweilige Geschichte. Doch für mich ist sie das keinesfalls.
»Armes kleine dummes Mädchen. Scheint, als wärst du voll auf seine Masche reingefallen.« Er spricht mit mir, als wäre ich ein dummes Kind. Was hat das zu bedeuten?
»Welche Masche?«, will ich sofort ernst wissen. Mir erschließt sich noch immer nicht, was er mir da gerade auftischen will. Mein Herz rast nervös in meiner Brust und je höher mein Puls schießt, desto flauer wird mein Magen. Innerlich bete ich, dass ich den leckeren Braten nicht gleich wieder auskotze.

»Timéos Großvater, mein Vater, hat das gesamte Erbe an seinen erstgeborenen vermacht. Nach dem Tod meines Bruders, ist dann ein Testament seines Großvaters aufgetaucht, das sagt, dass das Erbe im Falle des Todes seines erstgeborenen, an mich überschrieben werden soll.« Er erzählt das so gelangweilt, das er sich kein gekünsteltes gähnen sparen kann. Ich hingegen höre seinen Worten gespannt zu, denn was er mir gerade offenbart, von dem habe ich noch nie etwas gehört und das weiß er genau. Ich kann nicht verbergen, wie überrascht ich hier sitze.
»Die Bedingungen sind, das Timéo bis zu seinem vierunddreißigstem Geburtstag weder geheiratet noch Vater ist. Erst dann steht mir alles zu. Verstehst du das, Britin? Hier geht es nicht um ein paar läppische Millionen. Fünfzig Milliarden schlummern auf dem Konto meiner Familie. Fünfzig Milliarden die mir bestimmt sind! Und nicht dem Sohn meines Bruders!« Krachend pfeffert er seine Faust auf den Tisch. Gläser scheppern und mein gefülltes Rotweinglas, ergießt sich über der weißen Tischdecke. Erschrocken zucke ich zurück und blicke ihm angsterfüllt entgegen. Diese Worte, diese Offenbarung bringen alles in mir durcheinander. Der Kloß in meinem Hals wächst rasch zu unglaublicher Größe heran, die es mir immer schwerer fallen lässt, regelmäßig zu atmen. Verdammt. Es schnürt mir die Luft ab. Keuchend fasse ich mir an mein Herz. Die Erkenntnis, dass Timéos einziger Hintergedanke bei dieser Sache das Vermögen seiner Familie war, obwohl er schon so viel Geld besitzt, trifft mich wie ein Schlag. Ich, die Hochzeit, das Baby. Wir sind nur mittel zum zweckt. Die Tatsache treibt mir tränen in die Augen. Fuck. Ich wollte vor Mathieu nicht weinen, aber jetzt sitze ich hier und weiß mir nicht anders zu helfen. Verdammter Mist.
Und dieser Idiot lacht kalt, als er sieht das ich weine. Es wäre so einfach, ihm das Steakmesser zwischen die Augen zu rammen, wenn die Fesseln an meinen Füßen nicht so eng gebunden wären. Scheiße!
»Weißt du, was das Witzigste an der Sache ist? Ich wollte dir den kleinen Bastard aus dem Leib schneiden, noch bevor es überhaupt geboren wurden wäre«, spuckt er mir entgegen. »Dann habe ich daran gedacht, was wohl schmerzhafter wäre. Der Tod eines ungeborenen oder der Schmerz, den man ertragen muss, wenn man weiß, dass sein Kind da draußen ist und du es nie aufwachsen sehen wirst.«
Er ist ein Monster. Ein verdammtes, kaltes Arschloch. Wie kann man so abgeklärt über ein Baby sprechen, wie er?

Schluckend wische ich mir die Tränen fort und spucke in seine Richtung. Ich treffe ihm genau in seiner dummen Visage. Er stößt einen Schrei aus, und pfeffert seinen Teller zu Boden. »Du bist ein ekelhaftes Monster!«, schreie ich ihn an. Mathieu stürmt zornig auf mich zu und bevor ich mich versehen kann, hat er seine Faust so hart in mein Gesicht gezimmert, dass ich seitlich mit dem Stuhl zu Boden gehe und Sterne vor meinen Augen tanzen. »Du bist so eine undankbare, kleine Schlampe! Ich hätte dich umbringen sollen, bevor ich dir den kleinen Bastard mit einem stumpfen Messer aus dem Bauch geschnitten hätte!«, brüllt er mich an. Er holt mit dem Fuß aus und ich schließe meine Arme schützend vor mein Bauch, gerade rechtzeitig als seine Schuhspitze sich in meine Unterarme bohrt. Wimmernd ziehe ich meine Knie enger an mich. So gut es geht, versteht sich. Ich bin noch immer an den Stuhl gefesselt. Ein Vorteil, denn so kann er mir nicht in den Rücken treten. Ein Schmerz explodiert stechend in meinen Armen. Jetzt kann ich die Schluchzer nicht mehr zurückhalten. Er wird mich totprügeln, so wie er es angekündigt hat, dem bin ich mir sicher. Gerade holt er ein zweites Mal aus, da erklingt ein Räuspern in der Tür und lässt ihn innehalten.
»Was willst du?«, ranzt er den Mann barsch an. »Ihr Neffe ist am Tor, Monsieur Moreau. Ich dachte, das möchten Sie vielleicht wissen. Sollen wir ihn wegschicken?«
Ich werde hellhörig und öffne meine zuvor zusammengekniffenen Augen. Timéo. Mein Herz setzt aus. Timéo ist am Tor. Er ist wirklich hier.

Das ist das erste Mal seit langem, als Hoffnung wieder meine Adern flutet. Ich kann atmen. So unglaublich tief atmen, wie schon lang nicht mehr. Ein Schluchzer der Erleichterung überkommt mich und gleichzeitig ist mir so schwindelig wie ewig nicht mehr. Der Aufprall von meinem Kopf auf den Boden, ist heftig gewesen.
»Nein«, beschließt Mathieu neben mir stehend. Er tritt das letzte Mal auf mich ein. »Lasst ihn rein. Davor bringt ihr Sie zurück in den Keller. Ich will hören, was er hier will.« Sein Befehl bringt mich in die Realität zurück. Die zwei Männer von vorhin tauchen auf und machen mich ruppig vom Stuhl los. Panisch trete ich um mich, versuche sie abzuwimmeln. »Nein!«, kreische ich panisch. »Lasst mich! Timéo

Sie schleppen mich wie ein Tier zurück in den Keller, während ich immer und immer wieder seinen Namen schreie. Zurück in die dunkle Kammer ohne Licht und Fenster. Der eine verpasst mir einen Stoß tief in den Raum hinein. Ächzend schlägt mein Körper auf, doch ich habe keine Zeit, um hier rumzuliegen. Ich raffe mich unter schrecklichen Schmerzen auf und hämmere meine Fäuste gegen die dicke Stahltür. Wohlwissend, dass mich hier unten niemand schreien hört. »TIMÉO! BITTE! Bitte...«
Weinend falle ich auf die Knie, schreie so laut und barbarisch, wie ich nur kann. Die Laute, die aus meiner Kehle dringen, kann ich mir selbst nicht mehr zuordnen. Tränen mischen sich mit Erbrochenem auf dem Boden, als das schöne Abendessen sich selbst einen Weg nach draußen sucht. Würgend breche ich auf dem Boden zusammen und rolle mich wie ein Fötus ein. Das wars. Er wird mich nicht finden. Und sobald er weg ist, wird Mathieu zurückkommen und das fortführen, was er begonnen hat.
Es tut mir so leid, mein kleiner Schatz... Ich wollte nie, dass dies so ausgeht. Und ich werde nie zulassen, dass er dich mir nimmt. Niemals. Es tut mir so unglaublich leid...

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt