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AMELIA

Kleine Blitze schießen aus seinen Augen und treffen mich mitten ins Gesicht. Ich verabscheue ihn, dafür dass er mich geschenkt bekommen hat. Ich bin dein Geschenk, nichts weiter. Nun soll ich seine Frau werden? Dafür würde er tausend bessere in Frankreich finden. Wieso ausgerechnet mich? Weil ich ihn ganz gelegen komme? In sein Schema passe? Er mich danach einfach umlegen kann, ohne dass es jemand merkt? Sehe ich etwa aus, wie ein leichtes Opfer?
In seiner Kleidung steckend, schaue ich ihn grimmig an. Er überragt mich um mehr als einen Kopf, ganz zu schweigen von seinen überdimensional muskulösen Armen und den breiten Schultern. Jedes Mal, wenn er atmet, wird seine Brust ein Stückchen härter und praller. Ich würde-
Gott Abby! Was denkst du da nur? Ich stecke schon so tief in der Gehirnwäsche drin, mit der Sergio damals begann, dass ich mir glatt einbilde, etwas in ihm zu sehen. Dieser Franzose ist ... er ist ... ugh.
»Bist du fertig? Dein Kopf ist rot wie eine Tomate«, reißt der dunkelhaarige mich aus meinen Gedanken. Pff. »Nein«, antworte ich frech und recke das Kinn in die Höhe, um Napoleon endlich richtig ansehen zu können. Muss der auch so verdammt groß sein? »Ich dachte eigentlich Franzosen sind kleiner«, rutscht es mir hinaus. Mist, eigentlich sollte er das gar nicht zu hören bekommen. Ein fieses, selbstgefälliges Schmunzeln bildet sich auf seinen vollen Lippen. Er löst seine Arme vor der Brust und legt die Hände stattdessen hinter den Rücken. »War das etwa ein Kompliment, petite Britannique?«
»pe- was?«, frage ich mit gehobenen Brauen nach und lege den Kopf schief. »Petite, du bist Klein«, erklärt er mir, als wäre ich ein dummes Kind. Ausatmend beiße ich mir auf die Wange, um nichts zu tun, was ich später bereuen würde. Nun ja, für das er mich später bezahlen lassen würde, besser gesagt. Ich zweifle nicht daran, dass er mich auch foltern würde, wenn er das wolle. Wenn mich meine Ausbildung an der Academy eins gelehrt hat, ist das nie jemandem zu vertrauen, egal wie sehr man ihn glaubt zu kennen. Man wird ihn nie zu hundert Prozent kennen.
»Und was heißt "gigantischer arroganter Kotzbrocken" auf Französisch?«, will ich wissen und schenke ihm mit meinem Blick noch ein bisschen extra Hass mit. Seine Iriden funkeln, nein, lodern wie das Feuer der Hölle, so heiß und unbändig. Er macht einen Schritt auf mich zu, nimmt dabei kein einziges Mal seine Augen von meinen. Ich sollte einen Satz zurück machen, um Abstand zwischen uns zu bringen, spüre aber bereits das Bett an meinen Oberschenkeln. »Tant de courage pour quelqu'un d'aussi petit qu'un nain«, raunt er mir entgegen. »Ich glaube kaum, dass das "gigantischer arroganter Kotzbrocken" auf Französisch bedeutet«, schnaube ich genervt. Er lässt seine Brauen zucken. »Richtig.«
»Was dann?«
»Würdest du gern wissen, hm?«, grinst er und die harte unausstehliche Miene verschwindet für einen Augenblick. Plötzlich wirkt er anders. Das Grün seiner Augen weicher, das Funkeln amüsiert statt gehässig. Doch genau so schnell wie es gekommen ist, verschwindet es wieder und ich weiche mit dem Oberkörper zurück. »Was hast du zu mir gesagt? Sag es mir!«, verlange ich und schlage ihm gegen die Brust. Überrascht zuckt er zurück, bevor er noch einen Schritt auf mich zumacht und meine Handgelenke packt. Wimmernd versuche ich ihm meine geschundenen Gelenke zu entziehen, doch er lässt nicht locker. Ich hatte ganz vergessen, wie weh sie getan haben, doch jetzt ist der Schmerz so präsent wie nie zuvor. »Du stellst keine Ansprüche in diesem Haus, Amelia. Du sagst mir nicht, was ich zu tun habe, und erst recht schlägst du mich nicht!«, schnauzt er mich an und drückt mich aufs Bett. Ich falle nach hinten, stoße einen Kreisch aus und werde einstig von seinen Hände abgefangen, die mich in der letzten Sekunde wieder hochziehen und mein Oberkörper hart gegen seinen prallt. Keuchend winde ich mich in seinen Armen, drücke meine Handflächen gegen seine Brust. Natürlich bewegt der Kotzbrocken sich keinen verdammten Millimeter und beobachtet mich belustigt von oben hinab. »Lass mich los!«, flehe ich ihn in viel zu hoher Stimme an. Die Hände, Griffe und der Schmerz katapultieren die Ereignisse der letzten Tage wieder an die Oberfläche. Ich erinnere mich an Sergio, den Keller, wozu er mich gezwungen hat. Ich wollte es nicht. Ich wollte nicht mit ihm schlafen, aber er hat mir gedroht und mir eine Knarre an den Kopf gehalten. Ich konnte nicht anders, und gefallen hat es mir auf keinen Fall. Ich war nur ein Stück Fleisch für ihn, das er benutzen konnte. Wären die Männer nicht aufgetaucht dann ... dann ...

»Hast du jetzt etwa auch vergessen, wie man atmet?«, schnauft der Franzose plötzlich und schüttelt mich unsanft. In der Sekunde merke ich erst, dass ich die Luft angehalten habe, und reiße lechzend nach Sauerstoff die Lippen auf. Mein Herz rast, die Schläge hallen mir im Trommelfell wider. Die warmen Hände des dunkelhaarigen halten mich noch immer fest und hinterlassen brennende Spuren auf meiner Haut. Ich hasse mich selbst dafür, dass er meinen inneren Zwist mitbekommt. Ich will ihm nicht zeigen, dass ich schwach bin. Dass ich mich am liebsten, wie ein Ball auf dem Bett zusammenrollen würde, um stundenlang zu weinen. Nein, das darf ich mir nicht erlauben. Trotzdem bekommt er mit, dass ich langsam die Beherrschung verliere und die Mauer weiter bröckelt. Ich schaffe es nicht, obwohl ich mich so sehr anstrenge. »Lass mich los«, wiederhole ich meine Worte erneut, diesmal weniger bissig, und hoffe, dass er tut, was ich sage. Luftholend reiße ich ein letztes Mal an meinen Handgelenken, und der Franzose gibt sie tatsächlich frei. Er mustert mich prüfend. Ich weiß nicht, was er in dem Moment glaubt in mir zu sehen. Still sinke ich auf die Matratze das unglaublich weichen Bettes zurück und senke meine Augen hinab auf seine polierten Schuhe, die mir vom Teppich aus entgegenglänzen. »Danke«, murmle ich ehrlich und schlucke den dicken Kloß in meinem Hals hinunter. Mehr als ein dankbares Wort, kann ich allerdings nicht für ihn aufbringen. Meine Haltung ihm gegenüber hat sich kein bisschen verändert. Der Hass auf ihn, so groß wie zuvor. »Willst du mir erklären, wieso du nackt in der Kiste warst?«, hakt der dunkelhaarige nach einer kurzen Pause nach. Kopfschütteln verschränke ich meine Arme vor der Brust und wende das Gesicht über meine Schulter hinweg ab. »Wegen dir war ich in der Kiste«, zische ich. »Das beantwortet meine Frage nicht. Hat James dich ausgezogen?« Ich schnaube erneut, als er den Namen ausspricht. James McLeod, wie ich ihn verabscheue. All die jahrelange Arbeit, einfach zunichte. Nun habe ich nichts mehr. »Kennt ihr euch?«, hakt er weiter nach, gefolgt von meiner Reaktion. Ohne ihm ins Gesicht zu sehen, weiß ich, dass er mich mustert, so wie zuvor. Ich spüre seine stechenden Blicke auf meinem Rücken, wie tausend kleine Nadeln, die sich sekündlich in mein Fleisch bohren. Kein schönes Gefühl. »Woher kennt ihr euch denn?«, frage ich ihn stattdessen, ohne auf seine Frage einzugehen. Er bewegt sich hinter mir hörbar. »Geht dich nichts an«, lautet seine Antwort lediglich. »Fair«, wispere ich vor mich hin, richte die Augen auf die Fenster und verliere den Blick in der Ferne. Weit weit weg, dort wo ich am liebsten sein würde.

»Nun ja«, räuspert der ungehobelte Franzose sich schließlich und bringt mich dazu, ihn wieder anzusehen. »Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit, um deinen Babysitter zu spielen, also stell solang ich weg bin nichts an. Denk erstrecht nicht dran zu verschwinden. Eine meiner Angestellten wird dir gleich Frühstück bringen und ein paar frische Kleidungstücke, die dir auch passen.« Er schnalzt mit der Zunge, mustert mich ein letztes Mal von Kopf bis Fuß, bevor er auf dem Absatz kehrtmacht und aus dem Zimmer verschwindet. Er lässt mich allein auf dem Bett sitzen, die Tür geöffnet und ohne Fesseln. Entweder hofft er, dass ich nicht so dumm bin und versuche abzuhauen, oder er will, dass ich es versuche. Was auch immer es sein wird, ich werde es gleich herausfinden.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt