TIMÉO
Nikotin füllt meine Lungen, ein kalter Windzug weht durch die offenen Fenster hinein, in das Gebäude, gegenüber des Hauses meines Onkels. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, der bald wie die Pest über ihn hereinbrechen wird. Gnadenlos und unausweichlich werde ich ihn fertig machen. Sein Henker werden. Und es wird mich mit großer Freude erfüllen, ihn für seine Taten leiden zu lassen. Für all das, was er nicht nur mir, sondern auch ihr angetan hat.
Seit Quentin mir erzählte, wie sie aussah, als er sie zum ersten Mal seit Monaten erblickte, geistert mir das Bild der jungen Frau, die sie war als sie hier ankam, im Kopf herum. Wie die Blässe ihrer Haut, fast von den vielen bunten Flecken verdeckt wurde, die sich quer über ihren Körper zogen. Der Schmerz und die leere in ihren rehbraunen Augen und wie sie zum ersten Mal zum Leben erweckt wurden, in Paris. Fuck. Ich komme mir vor wie ein leidender Hund. Zu was hat diese Frau mich gemacht? Ich tue Dinge, die ich nie im Leben vorher für jemanden getan hätte. Jetzt kann ich es kaum abwarten, sie zu finden.»Méo? Wir sind bereit«, erklingt Quentins ruhige Stimme in der Dunkelheit des Zimmers, irgendwo hinter mir. Seine Boots geben dumpfe Geräusche von sich. Seine Schritte langsam, und die Hand die er auf meiner Schulter platziert, fest. »Alles klar?«
An der Kippe ziehend, starre ich ein letztes Mal auf Mathieus Haus, bevor ich meinen Blick abwende und meine Augen auf meinen besten Freund richte. Wie alle hier, tragen wir beide schwarze Kleidung und eine Schutzweste. Wir wissen nicht, mit was wir es gleich zu tun bekommen werden. Sicher ist sicher. Mein Onkel ist verrückt und ich muss mit allem rechnen. Aber solang er sich in Sicherheit wiegt, sollten wir Glück haben.
»Hast du die Teams gebrieft? Sind sie bereit?«, frage ich ihn, nicht auf seine Worte eingehend. Der Ausdruck in Quentins blauen Augen ist entschlossener denn je. Ich bin froh, dass er hier ist und bin noch froher, dass er mich unterstützt. »Klar. Alles in Ordnung. Sie sind auf ihren Posten und warten nur auf dein Kommando.« Er tippt sich gegen den kleinen Stöpsel in seinem Ohr. Auch ich habe einen, den ich mir in dem Moment zurechtrücke und die Kippe neben mir auf einer steinernen Tischplatte ausdrücke. Ein letzter Blick gilt den Snipern, die vor den Fenstern auf der Lauer liegen. Sie sind rings herum ums Gebäude verteilt und werden eingreifen, sollte es brenzlich werden. Ich habe die schwersten Geschütze aufgefahren, die mir zur Verfügung stehen.
»Gut. Lass uns gehen. Es ist gleich so weit.« Das Zeitfenster öffnet sich für genau eine Stunde. Ich habe dreißig Minuten für die Mission geplant. Miene Kämpfer sind erfahren und ich plane nicht, mir eine große Schießerei zu liefern. Eine in diesem Stadtteil loszutreten, wäre mein Todesurteil. Stattdessen will ich nur Mathieu killen, Amelia schnappen und sofort zurück in Sicherheit. Noch bevor wir uns fertig gemacht haben, habe ich den Arzt meines Vertrauens aktiviert und ihn über die Situation unterrichtet. Er wird uns zuhause in Empfang nehmen und sich mit seinem Team vertrauenswürdiger Mitarbeiter, bestens um sie kümmern. Ich werde weder ihr noch das Leben meines Kindes aufs spiel setzen.Der kalte Wind küsst meine Wangen, als ich wenig später an der frischen Luft stehe und ein letztes Mal, in den wolkigen Himmel blicke. Bald wird es wieder zu regnen beginnen. Dann werde ich bereits in Mathieus Villa sein.
Wie abgesprochen, neige ich den Kopf zu dem kleinen Mikro, dass am oberen Ende meiner Weste steckt. Ein letzter Blick, auf meine Uhr, dann starte ich die Mission. »Phase eins kann beginnen. Macht euch bereit.«
Quentin und ich haben uns tagelang die Köpfe über die Einleitung dieser heiklen Rettungsmission zerbrochen. Nur um zu dem Ergebnis zu kommen, dass die beste Entscheidung ein Ablenkungsmanöver wäre. Pünktlich vor einer Minute, sind die Wachen vor Mathieus Haus zum Schichtwechsel in dem kleinen Nebengebäude verschwunden, was gleichzeitig als Garage dient. Zeit für ein paar meiner Jungs aus dem Viertel, um für etwas Unruhe vor dem Tor zu sorgen und so alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie sollen sie provozieren. Ich habe ihnen dafür, was versprochen, was ich auch einhalten werde. Das ärmere Viertel der Stadt, ist der Bezirk, an dem ich mich am wohlsten fühle. Dort habe ich als Teenager auf den Straßen gedealt und mir mein Geld mit zwielichtigen Jobs verdient. Von dort aus bin ich zu meinen ersten Einbrüchen, aufgebrochen und habe die Beute mit meinen Freunden zu Geld gemacht. Dort ging ich bei Quentin ein und aus, weil ich das, was er Familie nannte, nie hatte. Seine Mutter hat mich bei sich auf der Couch schlafen lassen, als ich nicht nachhause in die Villa meiner Großeltern wollte. Dort habe ich mir den Respekt verdient, den die Menschen heute mir gegenüber haben. Weil ich einer von ihnen bin. Diese Jugendlichen sehen zu mir auf. Während immer noch kleinere Gangs versuchen, sie mit dem Dealen ins Boot zu holen, sorge ich dafür, dass sie die Finger davonlassen. Ich biete ihnen viel Geld dafür an, dass sie bei mir einsteigen, sobald sie alt genug sind. Bis dahin müssen sie mir beweisen, dass sie das auch wollen und die Finger vom dealen lassen. Sie wissen, dass ich meine Augen und Ohren überall habe. Einmal erwischt, bist du dein Leben lang raus. Es gab schon genug Kids, die der Versuchung nicht widerstehen konnten. So viele, die ich am ende tot gesehen habe, weil sie versuchen wollten, in der Welt der Gewalt und Drogenkriminalität mitzumischen.Vielleicht schafft Amelia irgendwann zu sehen, dass ich nicht der bin für den sie mich hält. Ich versuche ihnen zu helfen. Und sein wir mal ehrlich, Juwelendieb zu sein, ist besser als sich gegenseitig in einer schmutzigen Gasse abstechen zu lassen wegen ein paar Gramm koks. Ich bin kein Heiliger, ja ich bin näher an der Hölle als am Himmel, aber ich versuche wenigstens, sie zu ändern. Wenn auch nur ein bisschen.
Die Geräusche, die um die Ecke vom Tor kommen, werden lauter. Ich höre Metall auf Metall schlagen, dann knackt es in meinem Ohrstöpsel. »Alle Wachen sind draußen. Freie Bahn.«
»Los!«
In Windeseile helfen wir uns gegenseitig über die zwei Meter hohe Mauer, die das Grundstück umgibt. Die zahlreichen Kameras auf dem Grundstück, sind von Sawyer persönlich aus London außer Gefecht gesetzt wurden. Er ist der begabteste Hacker den ich kenne und hat angeboten uns zu helfen. Er überspielt sie nun mit einem Band aus einer ruhigen Nacht von letzter Woche und niemand wird uns sehen kommen. So kann Mathieu auch keine Verstärkung rufen. Seine Leute wimmeln nämlich wie Ratten überall in der Stadt herum. Die meisten sind Dealer, da Mathieu den seriösen Geschäftsmann bei Tag, und Drogenbaron bei Nacht spielt Schon seit Jahren liefern wir uns einen unerbittlichen Kampf um die Stadt. Meistens schickt er handlanger für seine Angriffe, so auch damals im Nachtclub an meinem Geburtstag. Er macht sich nicht selbst gern die Hände schmutzig und das wird ihm nun zum Verhängnis werden.
Über ein offenes Fenster im Erdgeschoss, gelangt mein Team ins Haus. Zwei andere nähern sich von den anderen Seiten, während die Jungs am Tor sie so lange ablenken müssen, bis wir unser Ziel erreicht haben.Im Haus ist es stockfinster zu dieser Uhrzeit, was auch nicht anders zu erwarten war. Irgendwo pfeift der Wind durchs Haus, ich kann ihr heulen hören. Mit Handsignalen deute ich den zehn Männern, dass sie sich wie besprochen nun in zwei Gruppen aufteilen sollen. Quen wird die eine anführen und ich die andere. Wir sind den Einsatz hundert Mal mit ihnen allen durchgegangen. Insgesamt sind wir über fünfzig Mann, die in und ums Haus herum Stellung bezogen haben. Ich will, dass alles zügig und glatt über die Bühne läuft. Ein Blutbad wird es nur für eine Person geben und das ist mein Onkel.
Den Lauf der Waffe vor mich gestreckt, trete ich aus der kleinen Kammer, in den Flur hinaus. Es ist kurz nach vier Uhr und keine Angestellten befinden sich mehr im Haus. Sie sind alle bereits vor einer Weile durch den Personalausgang verschwunden. Das haben wir von der andere Straßenseite aus beobachtet.
Schleichend arbeiten wir uns Zimmer für Zimmer vor. Die meisten hier haben Militär Erfahrungen und so läuft das Durchkämmen der Zimmer wie eine geölte Maschine.
Die alte Stadtvilla ist längst nicht so verwinkelt wie mein Haus, so finden wir uns schnell im Foyer wieder, was die heikelste Stelle des Hauses darstellt, da es von draußen einsehbar ist. Mein Herzhämmert mir vor die Brust, als würde es gleich aufhören zu schlagen oder jeden Moment explodieren. Das Adrenalin in mir treibt mich voran und erlaubt keinen Stillstand und keine Zeit, um zu überdenken, was ich hier tue. Ich will Sie finden und Mathieu töten, dass ist alles, was ich will. So viele Monate schon, bin ich auf der Suche nach ihr und bin ihr so nah wie nie zuvor. Ich kann ihre Präsenz fast spüren und dass schickt einen erneuten Adrenalinstoß durch meinen Körper. Ich bin so nah dran...

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King of Marseille | 18+
Romance»Ma chérie, komm zu mir kleines. Abhauen kannst du ohnehin nicht.« Als Geschenk für einen Freund, wird die junge Polizistin Amelia nach Frankreich entführt, um dort den Juwelendieb Timéo zu heiraten. Aus dem anfänglichen unbändigen Hass den sie auf...