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AMELIA

Mein Schädel, hat schon seit London nicht mehr so gebrummt. Ist ein Lastwagen über mich gefahren im Schlaf? Bin ich die Treppe runtergefallen? Hab ich mir den Kopf irgendwo gestoßen gestern Abend, und erinnere mich nur nicht mehr? Fragend wälze ich mich von einer Seite auf die andere in dem fremden Bett, in dem ich erwacht bin. Das Zimmer ist mir fremd. Gegenüber des Bettes befinden sich große Fenster, die einen fantastischen Ausblick auf das Mittelmeer zeigen. Eingerahmt von schweren, schwarzen Vorhängen, die wohl jemand aufgezogen haben muss, als ich schlief. Die Möbel im Zimmer sind aus Eichenholz und bilden einen hübschen Kontrast zu den schwarzen Details. Den dicken Kloß in meinem trockenem Hals runterschluckend, fallen meine Füße über die Seite des Bettes. Für ein paar Sekunden ist mir schwindelig. Meine Sicht verschwimmt und das Zimmer beginnt sich zu drehen. Erst als sie wieder aufklart, entdecke ich das Glas Wasser auf dem eckigen Nachtisch und die kleine Pille, die auf einer Stoffserviette mit den Initialen von Timéo liegt. Meine Finger fahren vorsichtig über die Gestickten Buchstaben, bevor ich die Pille greife und sie mir auf die Zunge lege. Mit wenigen Schlucken Wasser, habe ich sie in meinen Magen befördert und seufze erleichtert auf.
Das Wasser tut gut.

Mit wackligen Füßen steige ich von der Plattform, auf der das Bett steht, die Stufen hinab und suche das großzügige Zimmer nach einem Bad ab. Kaum zu glauben, dass dies das Innere eines Bootes ist. Es kommt mir eher vor wie das noble Zimmer in einem Hotel. Einstig die Wölbungen der Wände und die Bullaugen zeugen davon, dass ich mich noch immer auf der Yacht befinden muss.
Das Badezimmer finde ich nach kurzem Suchen. Eine Dusche, ist genau das, was ich jetzt brauche. Das Chlorwasser des Pools klebt noch an meiner Haut und meine Haare fallen strähnig über meine Schultern. Ich muss dringend etwas tun, damit ich nicht mehr, wie Rumpelstilzchen ausschaue.
Unter der Dusche merke ich das erste Mal, dass es zieht und ziept in meinem Becken. Ich wünschte ich könnte sagen, die Erinnerungen an letzte Nacht sind alle verschwommen und ich kann es auf den Alkohol schieben, aber ich sehe es glasklar vor mir. Timéo und ich im Pool, im Whirlpool, auf den Polstern, auf -

Ausatmend lasse ich meinen nassen Kopf gegen die kalten Fliesen sinken und lasse mir das heiße Wasser übers Gesicht rieseln. Ich kann nicht fassen, was ich getan habe. War es der Alkohol? War es etwas in mir, was ich verdrängt habe? Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt, fühlt es sich besser an, als vermutet. Obwohl mir alles wehtut, flutet so etwas wie Frieden mein Herz. Ich habe längst nicht mit dem, was passiert ist abgeschlossen, aber gestern war es zum ersten Mal erträglich. Dort im Pool mit ihm, schien es, als würde die Welt für den Moment lang stehenbleiben. All meine Sorgen schienen verpufft, weil er das tat, was er tat. Ich hasse es, das zuzugeben, aber ich habe es genossen. Trotzdem fühle ich mich auf unerklärliche Weise, schlecht.

~

Im Schrank finde ich nach der Dusche tatsächlich ein paar Sachen. Wie sie hier hingekommen sind, ist ein Rätsel, was ich nicht hinterfragen will. Ich werfe mir eine Stoffhose und ein Oberteil über, dann verlasse ich das Zimmer. Meine Haare sind fast ganz trocken. Bei dem Klima hier, geht das schneller als zuhause in Großbritannien. Seit ich allein aufgewacht bin, habe ich niemanden zu Gesicht bekommen. Timéo muss schon früh gegangen sein, denn seine Bettseite war kalt, als ich aufwachte. In der Yacht hat sich der köstliche Geruch von Frühstück ausgebreitet und so folge ich ihm einfach die Treppe hinauf ans Tageslicht.
Den ersten Menschen, denen ich an diesem Tag begegne, sind zwei Frauen, die beide die gleich Uniform tragen. Sie müssen für Timéo arbeiten.
Ich frage sie, wo ich ihn finden kann, und bin froh, dass sie gebrochen Englisch sprechen und mir verraten, dass er und dieser Quentin sich auf dem dritten Deck aufhalten. Bevor sie mich weiter mit Fragen zu meinen Frühstückswünschen durchlöchern, entschuldige ich mich und mache mich auf den Weg durch die luxuriös eingerichtete Yacht. Wie ich gestern schon festgestellt habe, ist alles in Schwarz und Weiß gehalten. E schaut modern und edel aus. Das Boot glänzt, wie frisch aus der Manufaktur, kaum zu glauben, dass hier gestern eine wilde Party gefeiert wurde. Nichts zeugt von dem exzessiven Drogenkonsum, der Orgie oder dem Alkohol. Es schaut wie neu aus. Ob das dieser Quentin war? Er sein Wort gehalten hat?
Tassen klappern, gerade, als ich das dritte Deck betrete. Eine blonde Frau steht vor dem Esstisch, an dem Timéo sitzt. Seinen besten Freund, entdecke ich auf der langen Bank liegen. Schläft er?

»Guten Morgen, Dornröschen«, begrüßt Timéo mich mit amüsierter Mine. Wieso grinst der so dämlich? Hab ich was im Gesicht?
Nervös wische ich mir über meine Wange. Timéo schlägt seinen besten Freund mit dem Handrücken gegen den Oberschenkel. Gleichzeitig deutet er mir mit der anderen Hand, mich zu setzen. »Aufwachen«, spricht er zu ihm. Quentin brummt. »Lass mich schlafen«, ranzt er ihn an. Timéo atmet tief aus. »Ist es auch du Niete, jetzt setzt dich hin und sei kein bockiges Kind, Quentin.«
Stöhnend richtet der Blonde sich auf und legt seine Augen auf mich. »Wen haben wir denn da«, stellt er überrascht fest und schiebt sich seine schwarze Sonnenbrille zurück auf die Nase. »Guten Morgen«, wünsche ich ihm leise. Er sieht aus, als hätte er drei Tage durchgefeiert und der Geruch von Schnaps, der an ihm haftet, könnte etwas an meiner Vermutung dran sein lassen.

Die Mitarbeiterrinnen stellen einiges an Essen zwischen uns auf dem Tisch ab. Obst, Joghurt, Müsli, Käse und Gebäck, alles an was man denken kann. Überforderung macht sich in mir breit. Die beiden Männer beginnen sich zu unterhalten und bedienen sich so selbstverständlich, dass es mich erstaunt. Für mich ist das alles andere als selbstverständlich, auf einer Yacht zu sitzen und ein üppiges Frühstück zu essen. Selbst in meiner Zeit als Polizistin, habe ich mir jeden Morgen einen Tee bei dem kleinen Shop gegenüber des Reviers gekauft. Daraus bestand mein Frühstück. Ab und zu vielleicht ein Happen Gebäck, aber mit vollem Magen, konnte ich nie gut arbeiten. Vor allem nicht, wenn es stressig war und ich unter Druck stand. Dann lag mir mein Essen wie Steine im Magen. Daher rührt es auch, dass ich nie sonderlich viel zum Frühstück esse, auch jetzt nicht. Einstig Timéos skeptischer Blick auf meinen leeren Teller, veranlasst mich dazu nach der dampfenden Schüssel Rührei zu greifen.

Während des Essens, lausche ich schweigend ihren Gesprächen, die sie zum Teil auf Französisch führen. Wahrscheinlich genau dann, wenn es mich nichts angeht. Aber gerade das, macht mich nur noch neugieriger als ich ohnehin schon bin. Wenn Scotland Yard mir eines beigebracht hat, dann alles zu hinterfragen. Gott, das werde ich wohl nie ablegen können.
»Also«, spricht Quentin dann und wirft einen Blick auf seine Rolex. »Ich muss gleich weg sein, eine-« Er schaut von mir zu Timéo und wieder zurück. »Amazon Lieferung annehmen.«
Der Ton in seiner Stimme verrät mir, dass er mich anlügt. Sein komischer Blick, sagt alles. Sicher eine Lieferung, aber garantiert nicht von Amazon, wie er behauptet.
»Und es gibt nicht hundert Angestellte in der Villa, die das Paket annehmen könnten?«, frage ich also scheinheilig. Quentin kneift seine Augen zu schlitzen zusammen. »Man Méo, ich dachte echt du hättest Sie besser im Griff. Einfach solche dummen Fragen zu stellen«, meckert er kopfschüttelnd und rückt über die Eckbank. Ich schnaube, mit der Hand meinen Orangensaft rührend. »Ich dachte du hättest dein Schoßhündchen besser im Griff, Liebster
Der Spott in meiner Stimme ist nicht zu überhören. Bevor Quentin einen bedrohlichen Schritt auf mich zumacht, hat Timéo bereits mahnend seine Hand gehoben. »Sieht so aus als ob ich hier keinen von euch im Griff hab. Verpiss dich endlich Quentin und du-« er zeigt mit dem Finger auf mich, »du isst gefälligst dein Frühstück auf, bevor ich das selbst in die Hand nehmen muss!«

Sauer beiße ich in einem Croissant und lehne mich mit verschränkten Armen im Stuhl zurück. Ein siegessicheres Funkeln schmückt meine Augen, als Quentin brummelnd die Treppe nach unten läuft und verschwindet. Ruhe kehrt am Tisch ein. Timéo und ich sprechen kein Wort mehr miteinander. Nicht mehr über das Essen, geschweige denn über letzte Nacht. Hinter ihm zeichnet sich die Stadt ab. Aus der entferne erkenne ich, dass sich ein Boot nähert und an der Yacht anlegt. Wenig später ist es Quentins Gesicht, dem ich begegne, als ich mich nach dem Frühstück an die Reling lehne. Keine Ahnung, was mir seine Augen mitteilen wollen. Je weiter er sich auf dem Boot entfernt, desto winziger wird auch er. Irgendwann wendet er seinen Kopf ab und ich meinen. Der Ausdruck in seinem Gesicht bleibt mir noch einige Zeit im Gedächtnis.
Was will er mir damit sagen?

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt