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TIMÉO

Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so sprachlos war. So neben mir stand, wie jetzt. Seit ich den Umschlag vorhin erhielt, bin ich nicht mehr ich selbst gewesen. Ich habe den Fitnessraum fast in alle Einzelteile zerlegt. Quentin musste mir eins drüberziehen und ich bin kurz ohnmächtig gewesen. Kaum nachdem ich wieder zur mir gekommen war, bin ich in mein Schlafzimmer. Jetzt sitze ich hier, auf dem Teppich, zwischen Bett und Fensterfront und lehne gegen der Matratze. In meinen Händen die zwei Bilder, hinter mir das Chaos, was ich hinterlassen habe. Im Moment ist mir alles egal. Stundenlang schon starre ich mit bebendem Brustkorb auf die Fotos. Amelias sonst so Karamell farbige Augen, sind getränkt voller Schmerz und Angst. Noch nie habe ich solche Angst in ihren Augen gesehen, wie jetzt auf diesem Foto. Sie sieht verändert aus. Ihr Gesicht ist schmaler und blasser als das der Frau, die ich in Erinnerung hatte.
Die letzten drei Monate habe ich damit verbracht sie zu hassen, dabei habe ich nie in Erwägung gezogen, dass sie vielleicht selbst aufgegeben hatte, damals. Ich sehe sie noch immer vor mir im Foyer der Villa liegen. Wie glänzend ihre Augen waren, als dieser Mann sie auf die Beine zog. Ich dachte immer es war Erleichterung, aber sie war überrascht. Fuck. Ein Teil in mir, hasst sie noch immer aber der andere ... ich weiß nicht.
Sie ist jetzt eine Moreau und nicht mehr die einzige, auf dem Spielfeld. Das kleine rechteckige Bild von diesem kleinen etwas, was zur Hälfte aus mir und zur Hälfte aus ihr bestehen soll, verkompliziert so einiges. Das ist das, was ich immer wollte, um an mein Ziel zu kommen. Aber jetzt fühlt es sich falsch an. Schrecklich, weil es jemanden da draußen gibt, der das gegen mich verwendet und ich weiß nicht wer.
Nach meinem Ausraster habe ich alle darauf angesetzt herauszufinden, wer dieser jemand war, der den Umschlag hier abgegeben hat. Es muss doch jemand sein, den ich kenne! Aber bis jetzt, hatte die Suche keinen Erfolg. Es ist, als würde ich nach einem Geist suchen.

Ausatmend lasse ich die Bilder zu Boden rieseln und raufe mir die Haare. Normalerweise wüsste ich was zutun wäre, doch im Moment bin ich so ratlos wie noch nie. Ich wünschte ich hätte eine Spur, nur eine kleine Fährte um mir etwas zusammenzuspinnen, doch da ist nichts... Oder?
Mit krauser Stirn hebe ich das Ultraschallbild auf, was zwischen meinen Beiden zu Boden gerutscht war. Auf der oberen Ecke befindet sich der Name einer Praxis. Doktor McNamara. Das hört sich irisch an und würde zu den Dingen passen, die James mir vorhin erzählte. Grübelnd erhebe ich mich und eile mit den zwei Bildern, über die zerstörten Möbel hinweg, raus aus meinem Zimmer.
»Timéo-«
»Kann jetzt nicht«, presse ich hervor und laufe an Quentin und den andern vorbei, die sich im Eingangsbereich unterhalten. »Entschuldigt mich«, höre ich meinen besten Freund noch zu ihnen sagen, dann trommeln seine Schritte über den Marmor. »Warte doch mal, Mann«, fährt er mich an. Ihn ignorierend stoße ich die Tür zu meinem Arbeitszimmer auf und steuere direkt auf den Scanner zu, der auf einer alten Kommode steht. Beide Bilder passen genau nebeneinander. »Was tust du da?« Quentin schließt verwundert die Tür hinter sich und sperrt die Geräusche der Villa aus. Wortlos steuere ich auf meinen Schreibtisch zu und schalte meinen Computer ein. »Auf dem Bild stand eine Adresse, ich will das abchecken«, erkläre ich ihm. Er kommt langsam auf mich zu, stoppt bei dem Barwagen, bei dem er sich bedient. »Und glaubst du das könnte dich weiterbringen?«

»Keine Ahnung«, seufze ich und tippe auf der Tastatur herum. Quentin stellt ein Glas Whisky neben mir ab und stützt sich mit dem Ellenbogen auf die Lehne des Drehstuhls. Ich werde die Bilder an James und Sawyer schicken. Vielleicht kann ihre Quelle mir weiterhelfen. Immerhin sind die beiden da drüben besser verknüpft als ich. »Dublin?«, hakt Quen skeptisch nach. Er hat die zwei Bilder aus dem Scanner gefischt und betrachtet sie. »Mann, denkst du echt, das ist deins? Was ist wenns von Karakov ist?«
»Halt die Fresse«, knurre ich und nehme ihm das Ultraschallbild ab. »Lies doch mal was da draufsteht. Dreizehnte Woche du Idiot. Das war sie längst hier.«
Ich lege das kleine Bild neben die Tastatur auf den Tisch, dort wo er es nicht so einfach greifen kann. »Ich mein ja nur, die kleine war nicht so ehrlich zu dir, da sollte man sowas hinterfragen.«
»Langsam hinterfrage ich deine Anwesenheit.« Grimmig haue ich die Finger weiter in die Tasten und sende die Bilder an James ab. Die beiden wissen schon was damit anzufangen. Um sicherzugehen, schreibe ich ihnen eine kurze Nachricht.
»Hast du gesehen, dass sie in einem Auto sitzt? Auf dem Bild meine ich«, wendet Quen nach kurzer Zeit ein. Nickend hebe ich mein Glas an, was er mir bereitgestellt hat, und leere es mit großen Schlucken. Der Whisky brennt sich lichterloh meine Kehle hinab und verursacht ein warmes Gefühl in meinem Magen, dass das Pochen in meinem Kopf überdeckt. Seit Quentin mir eine rübergehauen hat, brummt mir der Schädel.
»Glaubst du, Sie ist noch in Irland?«
»Nein, glaube ich nicht. Kennst du jemanden da, der ein Problem mit uns haben könnte?« Quentin sinkt auf den Sessel gegenüber meines Schreibtischs und schüttelt den Kopf auf meine Worte hin. »Ich mein die Liste ist lang aber das meiste ist Konkurrenzverhalten. Nichts, was die Entführung von Blondchen erfordert.«
Ja, da hat er leider recht. Das meiste ist des Geld wegen. Der Markt ist groß und jeder will Marktführer werden. Aber das bringt auch eine Menge gefahren mit sich. Sie zu entführen, traue ich keinem dieser Männer zu. Nicht mal Mathieu. Mein Onkel hat sich ruhig verhalten in letzter Zeit, aber ich glaube nicht, dass er was damit zutun hat. Oder? Die Situation ist verzwickt. Ich werde abwarten was James und Sawyer sagen. Der Entführer hat keine Forderungen gestellt aber vielleicht kommen die noch. Wenn nicht, muss ich tatsächlich die Fühler in Mathieus Richtung austrecken und wenn mein Onkel es wirklich war, hat er soeben sein Todesurteil unterschrieben.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt