AMELIA
Nach unserer Ankunft in Marseille, sind wir getrennte Wege gegangen. Den ganzen Samstag lang, habe ich Timéo nicht zu Gesicht bekommen. Das verwinkelte Haus war ruhig, und nur ab und zu konnte ich Schritte oder Stimmen hören.
Er hat mir überraschend viel Freiraum, seit unserer Rückkehr, eingeräumt. Ich bin nicht an mein Zimmer gebunden und darf mich frei bewegen. Bei den vielen Kameras hier bin ich felsenfest davon überzeugt, dass er mich gut im Blick hat, und mir deshalb den Freigang gestattet. Trotzdem fühle ich mich wie eine Gefangene in einem Gefängnistrakt. Mir ist todsterbenslangweilig, allein in diesem Haus. Die Angestellten, die durch die Flure wuseln sind schweigsam und mehr als ein paar Worte, habe ich nicht mit ihnen wechseln können.Seufzend stütze ich mein Kinn auf meine Handfläche. Mein Fuß wippt gelangweilt hin und her, während meine Augen über den vollen Tisch vor mir gleiten. Die Französin, die vor einer halben Stunde mit einem riesigen Koffer in mein Zimmer geplatzt ist, stellt sich als Stylistin heraus. Sie und ihre zwei Assistenten, habe ein riesige Auswahl an Make-Up, im Badezimmer ausgebreitet und mich auf einen Barhocker vor dem Spiegel verfrachtet.
»Sie müssen gerade sitzen, Mademoiselle«, mahnt sie mich in einem strengen Ton. Ihr harscher französischer Akzent ist nicht zu überhören. Sie steht hinter mir, ihre grau gefärbten Haare zu einer aufwändigen Frisur zusammengesteckt. Auf mich wirkt sie wie eine strenge Lehrerin. Gelangweilt komme ich ihren Worten nach und schaue zu, wie sie und ihre Assistentin meine feuchten Haare in Lockenwickler drehen. Es ziept und pikst, und ich lasse stumm alles über mich ergehen.
Seit Timéo gestern Abend kurz beim Abendessen vorbeigeschaut hat, habe ich ihn nicht wieder gesehen. Anscheinend ist er schwer beschäftigt mit irgendwas. Sollte mir auch egal sein. Eigentlich, ja.
Durch den Spiegel, sehe ich wie die zwei Assistentin zurück ins Badezimmer kehrt und neben mir innehält. Sie reicht mir ein Glas, das verdächtig nach Champagner aussieht. Stumm exe ich es aus und drücke es ihr schnell wieder in die Hand. »Holen sie mir noch einen?«
»Oui.«
Je mehr ich von dem nach Erdbeeren schmeckenden Alkohol trinke, desto gleichmäßiger schlägt mein Herz. Ich bin aufgeregt, weil ich nicht weiß, was passiert. Es ist nicht so, als hätte ich mein Schicksal akzeptiert. Ich muss nur einfach schlau vorgehen und auf den richtigen Moment warten. Dann, wenn man sich am sichersten wiegt, passieren die meisten Fehler. Auf diesen Moment muss ich bei Timéo warten. Dann sollte meinem Verschwinden nichts mehr im Weg stehen. Früher oder später wird er einen Fehler begehen, den ich zu meinen Zwecken nutzen kann. Für die Polizistin in mir, ist aufgeben keine Option. Ich will zurück nach London. Zurück in mein Leben...»Wissen Sie, wann die Zeremonie beginnt?«, frage ich die grauhaarige. »In zwei Stunden. Reichen sie mir ihre Finger?« bittet sie mich. Ich tue, was sie verlangt, und schaue zu, wie sie sich auf einen Hocker setzt und beginnt mir eine Maniküre zu geben. Meine Haare sind inzwischen fertig eingewickelt. Über ihren Kopf hinweg, sehe ich den Garten und das Meer. Wie jeden Tag, patrouillieren schwarz gekleidete Männer, die Grundstücksgrenzen. Ich finde das lächerlich. Timéo ist immerhin kein Politiker, oder jemand, der Feinde hat. Oder? Ich meine, Menschen wie er, die illegale Sachen machen -von denen ich mittlerweile überzeugt bin- haben immer Feinde. Ist er so wie James, Sawyer und Sergio? Ein Boss, der die Menschen unter sich, zu Dingen zwingt? Sie alle auf ihn hören, als wäre er ihr König? Ich weiß nicht viel über ihn, aber der Keller, seine Aktivitäten, das alles ist merkwürdig. Er hat Kunden, die Kunst von ihm kaufen, erzählt er mir. Und wieso glaube ich dann, dass dies nicht die gesamte Wahrheit ist? Das er mir etwas verschweigt? Einen großen Teil seines Lebens? Ich glaube kaum, dass der Verkauf von Kunst sein Hauptgeschäft ist. Nein, es muss etwas anderes sein, und das werde ich herausfinden, bevor ich gehe.
Und trotzdem zeugt der dicke Ring an meinem Finger, das ich aufgeben habe. Nicht völlig, aber einen Teil. Es fühlt sich zumindest so an, auch wenn ich innerlich nicht bereit bin, aufzugeben. Ich will nicht herausfinden, was er tut, wenn ich später nein sage. Zutrauen würde ich ihm so einiges. Er mag zwar ab und zu nett zu mir sein, aber ich habe es noch immer nicht geschafft, hinter seine Fassade zu blicken.
»Die andere Hand bitte«, holt die Französin, dessen Name ich mir nicht merken konnte, mich aus meinen Gedanken.
Erschöpft schließe ich meine Augen. Trotz elfstündigen Schlafs fühle ich mich wie von einem Zug überrollt. Während die Frauen beginnen mein Gesicht zu bepinseln und mir weiter die Nägel machen, schalte ich ab. Mir ist ohnehin nicht klar, wieso sie so ein Tamtam machen. Vielleicht, weil es echt aussehen soll. Die Hochzeit, meine ich. Einen anderen Grund gibt es ja wohl kaum. Ob sie wissen, dass ich nicht aus freien Stücken hier bin? Er nicht die Liebe meines Lebens ist? Wir nicht heiraten, weil wir es wollen? Sondern weil er mich zwingt? Sie schauen nicht so aus, als hätten sie eine Ahnung. Und wenn sie das haben, sind sie gute Schauspieler.~
»Wir sind fertig. Würden Sie bitte aufstehen, damit wir das Kleid anziehen können?«
Gott, mir ist speiübel, als ich durch den Spiegel sehe, wie eine der Assistentinnen das weiße Kleid aus dem Kleidersack schält, der an der Tür hängt. Ich will es nicht, und doch habe ich keine Wahl. Würde ich ihnen von meiner Situation erzählen, würden sie zu Timéo rennen. Es scheint mir, als hätten sie eine Heidenangst vor ihm. Oder wenigstens fürchterlichen Respekt. Ob sie auch in seine Spielchen eingeweiht sind? In die Dinge, die er beruflich tut? Mir kommt die Gruppe Männer zurück ins Gedächtnis, die uns auf dem Weg zum Flughafen gegrüßt hat, als wäre er ihr König. Ist er der Anführer einer Gang?
Ich stehe wie eine Schaufensterpuppe vor dem großen Ganzkörperspiegel und schaue zu, wie sie mir den seidenen Bademantel abstreifen, ich nur in Unterwäsche vor ihnen stehe, und sie mir in das lange, mit Tüll übersäte Kleid helfen. Sie sprechen leise miteinander, wuseln wie Heinzelmännchen um mich herum, quetschen meine Brüste in den Stoff und zerren am Verschluss, als schnürten sie mir ein Korsett.
Es ist hübsch, das kann ich nicht leugnen. Ein ausladender Rock, der in eine schleppe übergeht. Das Oberteil ist schlicht und hat einen eckigen Ausschnitt und Ärmeln aus Mesh. Trotzdem fühle ich mich, als stünde mein Geist mir gegenüber, und hätte meinen Körper verlassen. Ich kann das Gefühl, dass meinen Körper erobert, als ich das Zimmer in hohen Schuhen verlasse, beschreiben.
Ich nehme alles wie in einem Film über mich selbst war. Wie eine dritte Person, sehe ich mich.
Herzschlag dominiert meine Ohren und bringt mein Blut zum Rauschen. Ich blende die Stimmen und Gesichter um mich herum aus. Jemand steckt mir einen Schleier an, eine andere drückt mir Blumen in die Hand. Vor der Haustür wartet ein schicker schwarzer Wagen, der in der Sonne glänzt. Sie helfen mir herein, und als die Tür geschlossen ist und der Chauffeur losfährt, fühle ich mich, als stünde ich kurz vor einem Herzinfarkt.
Sollte dieser Tag nun mein Schicksal besiegeln?
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King of Marseille | 18+
Storie d'amore»Ma chérie, komm zu mir kleines. Abhauen kannst du ohnehin nicht.« Als Geschenk für einen Freund, wird die junge Polizistin Amelia nach Frankreich entführt, um dort den Juwelendieb Timéo zu heiraten. Aus dem anfänglichen unbändigen Hass den sie auf...