TIMÉO
Ich bin nicht ansatzweise fähig, das Gefühl von Verrat und Hinterlist zu beschreiben, was in mir wütet und alles unter sich begräbt, was mir in den Weg kommt. Seit Tagen schon grüble ich über die Situation, schlage mir mit Quentin fast die Köpfe ein, weil wir keine Lösung für das Problem finden, was mir so zu schaffen macht. Ich bin so verzweifelt, dass ich gestern Nacht James McLeod angerufen habe, um ihm mein Leid zu klagen und ihm einen Auftrag zu verschaffen. Er hat versprochen, sich meines kleinen Problems sofort anzunehmen. Immerhin sind er und Sawyer auch die Verursacher meiner Sorgen.
Und bis die beiden Ergebnisse liefern, sollte mir kein anderer Mensch über den Weg laufen. Ich hasse es. Jede Sekunde, in der sie da draußen ist und mehr ausplaudert. Der abgrundtiefe Spalt, der in meinem Herzen klafft, ist einstig ihr zu verschulden und ich werde persönlich dafür sorgen, dass sie den gleichen Schmerz erfährt wie ich. Und wenn ich es selbst bin, der das Messer schwingt. Rache ist Rache. Und sie muss bezahlen. Die Dinge, die sie getan hat, sind unverzeihlich und so tiefgehend, dass ich nur schwer Worte für sie finde.
Nach meinem Onkel, hat mich nie wieder jemand so enttäuscht wie sie. Enttäuscht ist vielleicht nicht einmal das richtige Wort. Hintergangen, dass ist es, wonach ich suche. Sie hat mich eiskalt hintergangen.»Heyho ich brauche deine Unterschrift.«
Quentin spaziert ins Arbeitszimmer, als wäre alles in bester Ordnung. Ein Blick an seinem Gesicht hinauf und hinab verrät mir, dass er anscheinend dafür gesorgt hat, sich besser fühlen zu lassen. Bescheuerter Idiot. Aber ich habe jetzt keine Zeit, ihm eine in die Fresse zu hauen. Zwei meiner Finger sind gebrochen und meine Hände sind Trümmerfelder. Ich kann gerade so einen Stift in der Hand halten. Grimmig zerre ich ihm mit meiner gesunden Hand das blöde Klemmbrett aus den Pfoten und knalle es vor mir auf den Tisch. Ich überfliege es kurz. Es ist nur der Lieferschein für den Kunden. Wir sitzen immer noch daran, alle restlichen Bestellungen zu verschiffen. Sobald die ellenlange Liste abgearbeitet ist, werde ich jeden Mann brauchen, damit wir uns voll und ganz auf die kleine Blondine konzentrieren können, die meine Welt in Chaos gestürzt hat.
»Wie weit seid ihr?«, frage ich genervt und kritzle meine Unterschrift unter das Dokument.
»Die Hälfte der Liste ist abgearbeitet. Ich denke übermorgen sind wir fertig. Alles okay bei dir? Wartest du auf einen Anruf?«
Stumm nicke ich, auf seine letzte Frage hin. James muss mir bald Ergebnisse liefern. Fuck. Ich raufe mir die Haare und schiebe mir eine Zigarette zwischen die Lippen. »Krieg ich auch eine?«, will mein bester Freund wissen. Mit einer Handbewegung werfe ich ihm die Packung zu, ehe ich meine entzünde und auch das Feuerzeug in seinen Händen landet. Ausatmend lasse ich meinen Kopf in den Nacken fallen. Das Nikotin entfaltet schnell seine Wirkung in mir. Ich bin froh, dass es meine Herzfrequenz wenigstens für eine Weile nach unten schraubt. Bei dem ganzen Trubel in den letzten Tagen, habe ich quasi kaum geschlafen und Unmengen an Kaffee intus. Ich weiß, dass es Scheiße ist, aber was soll ich machen? Ich brauche antworten, verdammt! Antworten, die mir nur sie geben kann. Amelia...
Stöhnend vergrabe ich das Gesicht in den Händen und stütze meine Ellenbogen auf die Schreibtischplatte. »Geh wieder arbeiten, Quen, wir sehen uns später«, weise ich ihn murmelnd an. Mit einem »ai ai Boss«, trabt er brav ab und lässt mich allein.
Ich sinke mit dem Rücken erneut gegen die Lehne des Stuhls und lege den Kopf in den Nacken. Erschöpft ziehe ich an der Zigarette. Das Nikotin tut mir gut.Nach einer quälenden Ewigkeit klingelt endlich mein Handy. James Name erscheint auf dem hellen Display. Wurde ja auch Zeit. »Mhm?«, hebe ich rauchend ab und schlage die Füße auf den Tisch. Fuck ist das bequem. »Wir haben was gefunden. Hast du Zeit?«
»Schieß los.« Den Rauch auspustend, mache ich mich auf seine Worte gefasst. James klang sehr zuversichtlich, als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe. Ihm passt das auch nicht, dass die Blonde uns so viel Ärger gemacht hat. Er dachte, sie wäre hier gut aufgehoben. Konnte ja keiner wissen, dass ihre kleinen Polizisten Freunde sie hier aufgabeln werden. Naja, sie wusste das ja. Da bin ich mir sicher.
»Ich hab mich bei Scotland Yard ein wenig umgehört. Gestern Nacht wurde anscheinend eine Frau gebracht, die dort behandelt wurde. Meine Quelle sagte, dass sie blond und ziemlich übel zugerichtet war.«
»Amelia«, unterbreche ich ihn brummend. Das kann nur sie gewesen sein.
»Ist sie noch da?«
»Nein. Die Spur verliert sich dort. Anscheinend wurde sie aber gekündigt, was deine Theorie mit dem Safehouse bekräftigt.«
»Und was denkst du?«, frage ich ihn über seine Worte grübelnd. Keine Ahnung, was ich von diesen Infos halten soll.
»Nun ja«, James räuspert sich und kurz darauf erklingt ein merkwürdiges Geräusch in der Leitung. Es hört sich an wie das Glucksen eines Babys. Kaum zu fassen, dass der Typ Vater ist. »Meine Quelle hat keinerlei Infos dazu, was die dort mit ihr besprochen haben. Ich bin bereits dran an der Sache und Sawyer versucht sich in die Systeme zu hacken, um möglichst ein Protokoll vom Gespräch aufzutreiben. Bis dahin kann ich nicht viel machen, fürchte ich.«
»Das ist eine verdammt große Scheiße!«, stoße ich ehrlich aus. »Was, wenn die mir hier morgen die Tür nochmal eintreten und den Laden hier hochnehmen? Was, wenn Scotland Yard einfach im Hotel aufkreuzt und euch verhaften will? Was weiß die Kleine über euch?«
»Wir sind nicht im Hotel, sondern wo anders, wo uns niemand finden wird«, erzählt er. »Ich versichere dir das meine Quelle sich meldet, sollten die in unsere Richtung ermitteln aber für jetzt schaut es so aus, als hätte Sie weder etwas über dich noch über uns ausgeplaudert.«
Wenn das ein billiger Versuch sein soll mich zu beruhigen, dann kann er sich das gleich in die Haare schmieren. Es funktioniert kein bisschen. Fuck. Fuck. Fuck.»Ich war auch in ihrer Wohnung. Es fehlen keinen Sachen und die schränke sind voll. Wo auch immer die sie hingebracht haben, Sawyer und ich denken, dass sie sie in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen haben.«
James Theorie klingt plausibel und ehrlich gesagt ist mir das auch bereits in den Sinn gekommen.
»Könnt ihr da nicht einfach die Flughäfen abklappern und die Datenbanken checken?«, frage ich ihn genervt. Irgendwo muss sie ja hin sein. Wenn sie nicht in London ist, wo dann?
»Das ist kompliziert und aufwendig, Timéo. Außerdem könnten sie überall hin sein. Mit falscher Identität wird das noch komplizierter. Das sind Profis, Mann. Keine billigen Fälscher.«
»Irgendwo muss sie ja sein!«, ranze ich ihn an, weil mir so langsam der Geduldsfaden platzt. In Frankreich ist sie kaum, denn das wäre äußerst dumm. Großbritannien? Möglich. Es muss ein Ort sein, an den keiner von uns denkt, der aber doch näher ist als wir uns vorstellen. Selbst wenn sie dichtgehalten hat, haben wir keinen Beweis. Sie hat zu viel gesehen, in London und auch hier. Wenn sie die Fäden richtig spinnt, kann sie sich selbst erklären, was ich hier eigentlich treibe. Zudem glaube ich nicht, dass sie tatsächlich die Klappe gehalten hat. Ich sehe keine Gründe, wieso sie das tun sollte.
»Fuck ich ... Check einfach die Infos, die ihr habt, nochmal. Ruf mich an, wenn du was findest. Ich muss weitermachen«, seufze ich schließlich und lege auf. Stöhnend erhebe ich mich, zerdrücke das letzte bisschen Kippe im Aschenbecher und mache mich auf den Weg in die Katakomben. Ich muss dringend den Kopf frei kriegen, egal welche Mittel ich dafür ergreifen muss. Egal was es kostet. Denn Amelia's Verrat ist nicht mein einziges Problem. Es gibt eins, das viel weitgehender ist, und meine Familie betrifft. Eines, an das ich seit der Hochzeit nicht mehr gedacht habe. Fuck.

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King of Marseille | 18+
Romance»Ma chérie, komm zu mir kleines. Abhauen kannst du ohnehin nicht.« Als Geschenk für einen Freund, wird die junge Polizistin Amelia nach Frankreich entführt, um dort den Juwelendieb Timéo zu heiraten. Aus dem anfänglichen unbändigen Hass den sie auf...