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AMELIA

Das gleißende Licht, welches mich erwartet als ich das nächste Mal zu mir komme, stammt von der Lampe neben der Tür, die ein Mann im weißen Kittel gerade eingeschaltet hat. Er läuft auf ein Tischchen zu, in den Händen eine Ampulle, mit der er eine Spritze aufzieht und sich mir zuwendet.
»Wie fühlen Sie sich, Madame Moreau?«
Behutsam platziert er seine Hand auf meinem Arm, mustert mich dabei mit diesem akribisch ärztlichem Blick. »B-besser«, krächze ich ehrlich. Zwar ist der Schmerz noch da, aber er ist auszuhalten. Nicht so wie das letzte Mal, unten im Keller. Da war er so präsent, dass ich in Ohnmacht gefallen bin. Oder war es der Blutverlust, der mich einholte?
»Gut. Ich verabreiche ihnen noch ein Mittel, was sie durch die Nacht bringt. Morgen früh sehe ich wieder nach ihnen. Jetzt sollten sie erstmal schlafen.«
Wie auf sein Stichwort, öffnet sich die Tür erneut und ich sehe, an ihm vorbei schielend, wie Timéo das Zimmer betritt. Schnaufend sinke ich tiefer in die Kissen, weil so viel Last und Anspannung von meinem Körper abfällt. Ihn hier zu haben, lässt mich sicher fühlen. Geborgen.

Die kühle Flüssigkeit bahnt sich ihren Weg durch die Kanüle in meine Adern. Der Arzt tritt vom Bett zurück, wechselt ein paar leise Worte mit dem Franzosen, bevor er uns allein lässt und das grelle Licht endlich löscht. Stattdessen wird der Raum in den Schein einer kleinen Lampe gehüllt, dessen warmweißes Licht diffus in den Raum abstrahlt und mich augenblicklich müde werden lässt. Timéo kommt mit einem Glas Wasser in der Hand auf mich zu. »Wie fühlst du dich?«, fragt auch er mich leise, seine Stimme so rau und warm, wie ich es in Erinnerung hatte. Gott... mir treten Tränen in die Augen. Ich habe ihn vermisst. So unglaublich sehr, dass ich nicht anders kann, als ihn einfach nur anzusehen, als wäre es das erste Mal. Seine Gesichtszüge sind weich in meiner Umgebung, die Augen satt grün. Trotzdem kann er nicht die Sorge verbergen, die in ihnen aufgeflammt ist.
»Möchtest du etwas trinken?«
Ich nicke schwach. So tritt er näher neben das Bett. In einer Hand hält er noch immer das Glas und die andere, gleitet sanft unter meinen Hinterkopf, um ihn zu stützen. Er setzt mir das kalte Glas an die Lippen. Es fühlt sich wahnsinnig an, das kühle Nass auf meiner Zunge zu spüren. Mit kleinen Schlucken trinke ich es leer und sinke mehr in Timéos Handfläche. Er lässt meinen Kopf zurück ins Kissen sinken, stellt das Glas beiseite doch denkt nicht daran, seine Hand wegzunehmen. Platziert zwischen Kissen und Kopf, gräbt er seine Finger sanft in meine Haare. »Bist du okay?«
»Ja«, stoße ich aus. Zu viel mehr bin ich nicht in der Lage. Seine Fingerkuppen lösen ein kleines kribbeln in meinem Hinterkopf aus, was schon bald Besitz von meinem ganzen Körper übernimmt. Ich hatte fast vergessen, wie sich seine Berührungen anfühlen.
Schluckend schließe ich die Augen, runzle meine Stirn und stoße alle Luft aus meinen Lungen. »Ich hätte nie ge...gedacht, dich wiederzu... sehen«, flüstere ich gebrochen. Es fällt mir schwer meine Gedanken zu ordnen, weil sie so laut sind, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen kann. Das müssen die Medikamente sein, die der Doktor mir gespritzt hat. Was war das?
»Streng dich nicht so an, chérie. Schlaf etwas und wenn du aufwachst, wird es dir viel besser gehen«, rät er mir ebenso leise. Nickend sinke ich tiefer in die Kissen. Das Bett ist weich und gemütlich und erinnert kein bisschen an ein Krankenhausbett. Ich bin auch gar nicht im Krankenhaus, oder? Egal wie sehr ich mich anstrenge, die Müdigkeit, die mich überfallen hat, ist stärker und zwingt mich ins Land der Träume. Oder besser gesagt, ins Schwarze nichts.

~

Warme Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase, das nächste Mal als meine Augen sich öffnen. Die Vorhänge sind ein Stück geöffnet und ich kenne diesen Ausblick. Es muss Winter sein, aber Marseille wird von der Sonne erwärmt. Und ich befinde mich nicht in einem Krankenhaus, sondern in der Villa. Die Wände des Zimmers sind in einem warmen ton gestrichen und die Möbel viel zu modern für ein steriles Krankenhauszimmer. Ich bin froh, dass sie mich hergebracht haben und nicht an einen Ort, der mir völlig fremd ist. Hier fühle ich mich wohler. Kaum zu glauben, dass ich das einmal sage. Ich kann es selbst kaum fassen.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt