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AMELIA

Der Weg aus dem Louvre hinaus kommt mir vor wie der Lauf durch ein Labyrinth. Die Mitarbeiter führen uns durch verwinkelte Geheimgänge an den Touristen vorbei, durch Hallen voller Exponate, die nicht zur Schau stehen. Ich kann nur knappe Blicke auf die Gemälde werfen, als wir sie passieren. Aber glaube, die Mona Lisa zu sehen, die nicht aushing.
»Was ist das hier? Wieso nehmen wir einen Umweg?«, raune ich Timéo fragend zu. Der große dunkelhaarige läuft selbstbewusst neben mir her. Ihm scheinen die vielen Bodyguards um uns, nichts auszumachen. Er muss es gewöhnt sein.
»Abkürzungen, chérie. Ich zeige sie dir, wenn wir zurückkehren zur Versteigerung«, erklärt er mir ebenso leise. Eine Angestellte halten uns eine unscheinbare Flügeltür offen und als ich hindurchgehe, merke ich das wir wieder am Einlass sind. »Es war uns ein Vergnügen Monsieur«, spricht ihn einer der Männer an. Ich weiß nicht, wer er ist, aber das Schildchen des Museums an seinem Pullunder lässt mich mutmaßen, dass er wohl hier arbeitet.
»Oui. Wir sehen uns zur Versteigerung wieder, Monsieur Gerard.«
»Oui oui, bis dahin.«
Timéo legt seinen Arm um meinen Rücken und drückt mich weiter. Über die großen Steinplatten, auf denen unsere Schuhe hallende Geräusche hinterlassen, führt er uns nach draußen. Vor dem Museum, mitten auf dem Platz wartet bereits unsere Limousine, die uns vor wenigen Stunden hier abgesetzt hat. Inzwischen dämmert es und als ich aus dem gläsernen Vorbau des Museums trete, schlägt mir eine kalte Wand entgegen. Ich schäle mich geschickt aus Timéos Griff, der ungewöhnlich stark wird, als ich Abstand zwischen uns bringen will. »Hier geblieben«, raunt er mir ins Ohr und wirft den Touris neben uns einen düsteren Blick zu. Mit einem Ruck hat er mich neben sich gezogen. Sein Arm wie eine Eisenkette um meinem Rücken. Denkt er ich wollte abhauen? So dumm wäre ich nicht. Uns umzingeln mindestens fünf Bodyguards wie eine Schutzmauer und sein Griff selbst ist so fest wie der einer Bärenfalle. Er hätte mich eingeholt, bevor ich einen Meter weit gekommen wäre. Timéo drückt mich durch die offene Autotür auf den Rücksitz und lässt den Bodyguard die Tür schließen. Mit dem Rücken bleibt der schwarzgekleidete Personenschützer vor der Tür stehen, als müsse man mich schützen wie den Präsidenten. Oder, damit ich im Wagen sitzenbleibe wie ein Schwerverbrecher. Super.

»Hast du Hunger? Ich kenne ein nettes Restaurant«, holt Timéo mich schließlich aus meinen Gedanken. Mit seinem Telefon in der Hand sitzt er neben mir und tippt auf dem Display herum, als der Wagen sich endlich in Bewegung setzt. »Ein bisschen«, gestehe ich. Das üppige Frühstück heute Morgen, hat mich zwar gesättigt, aber langsam lässt die Wirkung nach. Und ehrlich gesagt, ist mein Magen geschrumpft, als ich im Keller in London in Gefangenschaft war. Wenn ich daran denke, bekomme ich eine unangenehme Gänsehaut auf meinem Körper.
Die Fahrt durch die Stadt ist schweigsam. Ich bin viel zu viel damit beschäftigt, die Lichter und Sehenswürdigkeiten zu betrachten. Wir fahren die Champs-Élysées entlang, und biegen vor dem Arc de Triomphe, in eine ruhigere Seitenstraße ab. Mehrstöckige Häuser rahmen die Straßen in Paris. In den meisten der Erdgeschosse, befinden sich kleine Läden oder Cafés, die bei Nacht hübsch ausgeleuchtet sind. So auch das Schaufenster des Juweliers, vor dem wir halten. Ich höre, wie eine Autotür sich öffnet, Schritte und plötzlich steht ein Mann vor mir, der mir die Hand entgegenstreckt. Ich sehe an seinem Anzug hinauf in sein angsteinflößendes Gesicht. »Madame, wir sind da.«
»Steig schon aus Amelia, sonst gibt's später nichts zu essen«, drängelt Timéo neben mir und steigt selbst aus. Ich seufze und schnalle mich ab. Der Gurt schnappt surrend zurück in die Halterung. Ich nehme die behandschuhte Hand des Mannes an. Auf dem Pflaster des Gehwegs stehend, meine Hand in seiner, treffen die ersten Regentropfen meine Nasenspitze. Mit krauser Stirn schaue ich gen Himmel. Die dunklen Wolken verdecken den Mond, der nur sporadisch zwischen der aufbrechenden Decke herausscheint. »Amelia«, brummt die unverkennbare Stimme des Franzosen mich an. Ich lasse seinen Bodyguard los und gehe die wenigen Schritte über das Pflaster auf ihn zu. Er steht bereits in der geöffneten Tür des Juweliers.
Er lässt mich vor, was sehr Gentlemanlike von ihm ist. Etwas, was nicht zu seiner Persona passt. Manchmal glaube ich, da gibt es mehrere in seinem Dickkopf. Mal ist er ... nett, meistens gemein und unfreundlich. Ich verstehe ihn so wenig wie er mich versteht.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt