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TIMÉO

Im Vergleich zu den Tagen zuvor, herrscht heute recht angenehmes Wetter in Marseille. Besser als der Regen, in Paris. So viel ist sicher.
Die Sonnenstrahlen wärmen mein Gesicht, während der Rauch von Quens Zigarette in die Luft steigt. Er lehnt neben mir an der steinernen Balustrade auf dem Kirchturm, und hat der Stadt den Rücken gekehrt. Zugebenen schaut er aus, als hätte er es gestern etwas zu sehr krachen lassen. Wir waren in unserem übliche Club in der Stadt, weil er mich überredet hat, sowas wie einen Junggesellenabschied zu feiern. Der Abend bestand allerdings größtenteils nur daraus, zuzuschauen wie die anderen Spaß hatten. Vor allem Quen. Der blonde Franzose hat sich eine Hure nach der anderen angelacht. Vom Alkohol nicht zu schweigen, die Sonnenbrille auf seiner Nase sagt alles. Immer wieder verschwinden seine Brauen unter dem schwarzen Rand der Brille, immer dann, wenn er seine Stirn stöhnend berührt und ich beginne, amüsiert zu schmunzeln. »Ich sag dir, ich hat noch nie so einen fetten Kater. Scheiße, Ich glaub ich muss einfach weitertrinken.«

»Nicht in der Kirche, Quen«, mahne ich ihn. Hier muss das nun wirklich nicht sein. Ungeachtet dessen, was ich gerade gesagt habe, zieht er einen Flachmann aus der Innenseite seines Jacketts und kippt sich dessen Inhalt durstig die Kehle hinunter. »Scheiß auf die Heiligen Mann, ich komm eh in die Hölle. Außerdem haben die sich früher selbst mit Wein besoffen. Glaubst doch auch nicht, dass Maria wirklich Jungfrau war. Die uns Josef werden in irgendeiner Hütte gebumst haben, als es keiner mitgekriegt hat«, grummelt er und wischt sich mit seinem Handgelenk über die Lippen. Ich seufze. Ein amüsiertes Schmunzeln kann ich mir bei seinen Worten dennoch nicht verkneifen.
»Glaub was du willst, aber pack das Ding weg, bevor der Pfarrer es sieht.«
»Wow, eigentlich sollte das eine Frau zu mir sagen, und nicht mein bester Freund. Nichts gegen dich man, aber wenn du keine Titten und ne Vagina hast, sieht's schlecht aus Kumpel.«

Ich boxe ihn in die Seite und Quentin fährt stöhnend zusammen. »Fick dich doch man.«
»Reiß dich zusammen, mein Freund«, warne ich ihn. Seufzend lässt er den Flachmann verschwinden und lehnt sich mit verschränkten Unterarmen auf die Balustrade des Kirchturms. Von hier oben, wo die Glocke hängt, hat man einen fantastischen Ausblick bis zum Meer. Man hat die gesamte Stadt im Blick. Ich könnte hier stundenlang verweilen und Marseille betrachten. Die Stadt, die so zerrissen ist. Dort wo Arm und Reich aufeinandertreffen. Tagtäglich liefern sie sich einen erbitterten Kampf. Es geht um viel mehr als Macht, sondern um Existenzen, die auf dem Spiel stehen. Menschen, die so arm sind, dass sie aus ihren Wohnung vertrieben werden. Welche, die keine finden, weil sie aus einem bestimmten Viertel stammen. Einkommensschwache, die von Schulen, Kindergärten und der Arbeit abgewiesen werden, nur weil sie in einem Problembezirk leben. Ich versuche schon jahrelang, dies zu ändern. Aber solang mein Onkel und ich um die Vorherrschaft der Stadt ringen, wird das nichts. Ich habe die Mehrheit der Menschen hier eh auf meiner Seite. Die, die für mich arbeiten, denen ich mit meinem Geld Wohnungen kaufe, sie finanziere, damit ihre Kinder zur Schule gehen können. Er will dies zerstören. Die die für ihn arbeiten, streben nichts Geringeres als die Vertreibung der Menschen an, die ich versuche zu schützen. Wir alle hier tun das. Das Juwelengeschäft finanziert dies nur.
»Mathieu hat nichts mehr unternommen, seit deinem Geburtstag«, fällt auch meinem besten Freund in diesem Moment auf. Ich nicke, ziehe selbst an einer Zigarette und lasse meinen Kopf in den Nacken fallen, um abzuschalten. Es funktioniert kein bisschen.
»Keine Ahnung, was der plant«, gebe ich ehrlich zu. »Ich hab seit Monaten nicht mehr mit ihm gesprochen. Vermutlich lebt er in seinem schicken Büro und fickt seine Angestellten in der Pause.«

Quen lacht rau auf. »Du denkst nicht, dass er heute kommen wird? Wegen du weißt schon«, hakt er nach. Nachdenklich schaut er mich von der Seite an. Ich schüttle meinen Kopf. »Die Späher sagen, dass er noch in seinem Bürokomplex ist. Hast du die Männer zur Sicherheit verstärken lassen?«
»Oui. Einer kommt später auf den Turm, die anderen Posten in den Straßen und um die Kirche sind doppelt besetzt verteilt.«
»Gut«, murmle ich und puste den Rauch aus meinen Lungen. Ich werde nicht zulassen, dass mein Onkel diese Hochzeit crasht. Amelia und ich werden heute heiraten, komme was wolle. Und selbst wenn, weiß Mathieu so wie ich, dass es mehr braucht, um mich aufzuhalten. Dies ist nur eines der Dinge, die ich tun muss, um mein Ziel zu erreichen. Amelia zu heiraten der erste Schritt. Schon bald wird die Stadt mir gehören und nicht mal er kann mir mehr etwas anhaben. Der kann in seinem verfickten neu renovierten Büro flennen, wie er will. Soll er doch verrecken. Mich wird er nie kleinkriegen, und sein Ziel nie erreichen. Denn ich, werde der einzig wahre König von Marseille werden. Punkt eins, um an mein Ziel zu kommen; heiraten.

»Lass uns runtergehen«, beschließe ich und drücke den Stummel der Zigarette auf dem Sandstein aus. Quen tut es mir gleich. Er legt sich seine Krawatte um, steckt sich sein Hemd ordentlich in die Hose und folgt mir die lange Treppe hinunter in die Kirche.
»Nach der Trauung, was hast du da vor?«, fragt er mich beim Hinabsteigen. Die lange geschwungene Treppe im inneren des Turms zieht sich wie Kaugummi.
»Dinner im Pavillon, den die Arbeiter im Garten der Villa aufgestellt haben, wie ich dir schon tausendmal erklärt habe. Danach hast du was geplant, oder?«
Immerhin soll es echt wirken. Das Quen mir lachend auf die Schulter klopft, gefällt mir allerdings gar nicht. Ich kenne ihn und weiß, dass das, was jetzt kommen wird, nichts Gutes heißen kann. »Klaro. Das wird die Party des Jahres mein Freund. Das Boot ist schon ready«, versichert er mir. Lieber Gott, bitte hab erbarmen mit diesem Typ...

Am Fuße der Treppe, halte ich inne und strecke meinen Zeigefinger mahnend aus. »Wenn ich eine Hure auf der Yacht erlebe, dann-«
»Dann was? Komm schon Méo, hab mal wieder etwas Spaß. Es gibt Cocktails, illegales Glücksspiel und die neusten Ladys des besten Bordells der Stadt für deine Gäste.«
Ich stoße ihm vor die Brust.
»Ich hab dir tausendmal gesagt, dass das keine Orgie werden soll!«, klage ich schimpfend. Er hört einfach nicht, verdammt!
»Sorry Bro, aber komm schon. Lass uns auch ein bisschen Spaß. Deine Familie ist doch überhaupt nicht mehr dabei und es sind nur deine Männer, ich, du und sie. Außerdem ein paar von den Gästen, die nicht so schrecklich verklemmt sind. Höchstens zweihundert Leute.«
Kopfschüttelnd wende ich mich von ihm ab und öffne die Tür zum Kirchenschiff. »Cancel das«, fauche ich ihn an, und sein Lachen sagt mir gleichzeitig, dass er es nicht tun wird. Fuck.

Meine Augen schweifen über die Gäste, als ich vorn vor dem Altar neben dem Pfarrer zum Stehen komme. Meine Familie entdecke ich in der ersten Reihe. Oder das, was man Familie nennen kann. Onkel Mathieu mache ich nicht unter ihnen aus. Besser so. Ich hätte nicht gewollt, dass er kommt. Quen stellt sich schräg hinter mich. Gerade als der Pfarrer etwas zu mir sagen will, beginnt die Musik zu spielen und die Türen der Kirche schwingen auf. Und dann sehe ich sie. Amelia, in ihrem weißen Kleid.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt