AMELIA
Rosenblätter rieseln wie in Zeitlupe auf den Kirchenboden. Die Reihen sind lang und gut gefüllt, mit Menschen, die ich noch nie im Leben gesehen habe. Sie kennen mich nicht, ich sie nicht. Zig Augenpaare liegen auf mir und mustern mich prüfend. Ihre alle Augen sind so stechend, dass ich meine Augen auf den Steinboden senke, während ich begleitet vom Klang der Musik, weiter nach vorn laufe. Jetzt könnte ich noch abhauen. Aber bei meiner Ankunft vor der Kirche, habe ich die gruselig gekleideten Männer gesehen, die an jeder Ecke stehen. Sie halten Ausschau, aber nach was?
So viele Fragezeichen schwirren in meinem schmerzenden Kopf. Das Pochen gegen meine Stirn hört nicht auf, sondern verschlimmert sich mit jedem Schritt, den ich mich dem Altar nähere. Unter dem Schleier nehme ich Timéos Schemen wahr, als ich die zwei Stufen hinauf, neben ihm stehenbleibe. Meine lange Schleppe liegt imposant hinter mir und als Timéos Hände an den Rändern des Schleiers entdecke, setzt mein Herz einen Schlag aus. Es rumpelt laut in meiner Brust, als versuche es, nicht aufzugeben. Mir wird schwindelig, dann blicke ich in das Gesicht des Franzosen und atme aus. Seine Augen sprühen funken, die ein Feuer starten könnten. Er legt mir den Schleier über den Rücken, und wir beide gehen vor dem Altar auf Kissen auf die Knie. Der Pfarrer beginnt zu sprechen, aber da ich kein Französisch verstehe, schalte ich langsam ab und starre auf die Füße des Altars, der sich vor uns imposant aus dem Boden erhebt. Reichlich geschmückt mit Gold und verspielten Details. Eine große Jesus Figur thront auf ihr.
Er, mit dem leidenden Blick, scheint der Einzige zu sein, der mich versteht. Opfern. Geht es nicht darum? Sich zu opfern? Mein Job verlangt dasselbe von mir ab. Ich muss Opfer für andere Menschen bringen. Ich habe Opfer gebracht. Jetzt heirate ich einen Mann, den ich kaum kenn, zu einem Zweck, der sich mir nicht erschließt.
Alles, was ich will, ist zurück in London zu sein und in meinem eigenen Bett aufzuwachen. Festzustellen, dass das alles nur ein böser Traum war und ich sicher bin. Nicht hier, in einem fremden Land. Im Stich gelassen von allen.Timéos Hand, die sich an meinen Ellenbogen legt, bemerke ich kaum. Erst als meine Augen zu ihm huschen und ich merke, wie er sich erhebt, tue ich es ihm gleich. Die Rede des Pastors ist an mir vorbeigezogen wie Luft. Nun stehen wir uns einander zugewendet gegenüber und halten Hände. Meine Blumen hat mir eine Dame abgenommen, dessen Namen ich nicht kenne. Ob sie von Timéos Familie stammt? Hat er überhaupt Familie? Ich weiß im Grunde nichts über ihn. Schräg hinter ihm entdecke ich seinen besten Freundin. Dieser Quen steht da mit wuscheligen Haaren und wirkt, als könne er kaum abwarten, dass das hier vorbei ist. Ich muss mit ein kleines Schmunzeln verkneifen, weil es mir auch so geht. Plötzlich wendet der Pfarrer sich an mich und fragt mich etwas, dass ich nicht verstehe. Meine Augen huschen nervös zu Timéo, der meinen Blick sofort mit seinen Iriden einfängt. So, dass keiner der Gäste es sieht, formt er ein leises oui mit seinen Lippen. Und da wird mir bewusst, dass der Pfarrer mich soeben gefragt hat, ob ich Timéo heiraten will. Verdammt. Alles in mir sträubt sich danach, einfach ja zu sagen. Ich will rennen, das alles hinter mir lassen und zurück nach Hause. Aber da sind Timéos warme Hände, die die meine Halten und Druck ausüben. Er will mir damit deutlich machen was geschieht, sollte ich nicht gehorchen. Und sind wir mal realistisch, ich würde es kaum an all den Gästen vorbei aus der Kirche schaffen und selbst wenn, wären da seine Männer, die mich draußen in Empfang nehmen würden. Nein, ich sitze hier fest und wenn ich einmal versuche zu fliehen und scheitere, habe ich mir alles verspielt. Deshalb knicke ich ein, obwohl es sich schrecklich anfühlt. Wie ein Vertrauensbruch, der mich innerlich spaltet.
»Oui.« Der Druck an meinen Händen lässt nach und seine Berührungen werden sanfter. In seinen Iriden verschwindet augenblicklich der dunkle Schleier und das Grün klart allmählich auf. Auch er antwortet auf die Frage mit »oui.«
Ich schlucke den Kloß in meiner trockenen Kehle hinunter, als der Pfarrer seine Rede abschließt und Timéo meine Hände loslässt, um die seine nach dem kleinen Ringkissen auszustrecken, welches Quen uns soeben reicht. Während der eine Ring zurückhaltend Gold ist, prangen auf dem anderen Diamanten. Sie glitzern in den Lichtern der Kirche wie tausend Sterne. Fast noch schöner als der Verlobungsring, der noch immer an meinem Finger steckt. Er ergreift meine Hand, und schiebt ihn mir vorsichtig an, während der Pfarrer weiterspricht. Er muss merken, wie sehr meine Hand in seiner zittert.
Der Ring ist wunderschön. Zarte Diamanten reihen sich aneinander wie Äste und gehen fließend ineinander. Die filigrane goldene Fassung, wie die Diamanten glitzern, das alles raubt mir den Atem. Selbst wenn ich etwas sagen müsste, wüsste ich nicht was.
Zitternd greife ich nach dem Ring, der noch auf dem Kissen liegt. Timéo legt seine Hand in meine und seine Fingerkuppen kitzeln meine Handballen sanft. Ich schiebe ihm den schlichten goldenen Ring auf den Finger, der wie angegossen passt. Er nimmt seine Hände, um sie auf meinen Rücken zu legen und mich vorsichtig enger zu ziehen. Er will mich küssen, und ich bin alles andere als bereit dafür. Dicht vor meinen Lippen, schaut er mir tief in die Augen. Für die Gäste und den Pfarrer, mögen es nur Sekunden sein, aber wenn ich in Timéos Augen blicke, bleibt die ganze Welt stehen. Sie sind so tiefgrün und wunderschön. Gefüllt voller Wärme, die den Hass in ihnen vertrieben hat. Seine warmen Hände ruhen auf meinem unteren Rücken und ich fühle mich, als würde ich unter seinen Berührungen verschmelzen. Egal wie sehr ich ihn hassen will, die Anziehung, die in diesem Moment zwischen uns herrscht, können wir beide nicht leugnen. Kleine Blitze fliegen zwischen uns umher und jede Stelle, die seine Fingerkuppen berühren, kribbelt elektrisiert.
So küsst er mich. Unsere Münder prallen aufeinander wie zwei Welten. Seine Lippen so weich wie Seide. Er schmeckt süß, wie eine heiße Sommernacht und fühlt sich an, wie die schützende Umarmung einer Mutter. Wäre ich Butter, wäre ich bereits geschmolzen. Und verdammt, als wir uns lösen und das Klatschen der Menge hören, kann ich meine Augen nicht mehr von ihm nehmen. Denn etwas, hat sich soeben zwischen uns verändert.
»Jetzt bist du offiziell mein, Amelia Moreau.«

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King of Marseille | 18+
Romance»Ma chérie, komm zu mir kleines. Abhauen kannst du ohnehin nicht.« Als Geschenk für einen Freund, wird die junge Polizistin Amelia nach Frankreich entführt, um dort den Juwelendieb Timéo zu heiraten. Aus dem anfänglichen unbändigen Hass den sie auf...