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AMELIA

Der beißende Geruch liegt mir noch immer in der Nase, als ich erwache. Die Lippen trocken, Handgelenke wund und der Kopf schmerzend. Dass erste, was ich sehe, ist die weiße Zimmerdecke mit dem pompösen Kristallkronleuchter. Sie sieht so anders aus als die bunte Decke des Clubs, in dem ich war. Im Gegensatz zu dort, ist es hier angenehm warm und es duftet nach frischgewaschener Wäsche. Wie ein Paralleluniversum. Ich fühle Laken unter meinen Füßen, als ich sie versuche übers Bett zu ziehen und doch von Fesseln gestoppt werde, die mich fixieren wie eine Schwerverbrecherin. Mit klopfendem Herzen neige ich meinen Kopf hinauf und entdecke auch die weißen Kabelbinder, die meine Hände am Kopfende festschnüren. Ich rüttle an ihn aber merke schnell, dass es nichts bringt. Sie sind so straff, dass sie in meine wunde Haut einschneiden, bei jedem Millimeter, den ich sie bewege. Verdammt. Hilflos ans Bett gefesselt liege ich hier und stoße alle Luft aus meinen Lungen. Ich bin mehr als frustriert. Was soll ich jetzt nur tun?

Nachdenklich schweifen meine Augen im Zimmer umher. Auf dem Nachtisch neben mir steht nur eine Lampe und nichts, was ich mir herbei angeln könnte. Neben einem großen Kleiderschrank und einer Sitzgruppe inklusive Zugang zu einer -vermute ich- Terrasse oder einem Balkon, gibt es nichts. Die schweren glänzenden Möbel wirken massiv und wahnsinnig überteuert. Ganz zu schweigen von den Gemälden an der Wand. Die dicken goldenen Rahmen glänzen im schwachen Licht, dass durch die Fenster fällt. Wie reich dieser Kerl nur sein mag? Verdammt-weit-über-meiner-Gehaltsklasse-reich. Ja, daran zweifle ich nicht. Es ist nicht mit Sergio Karakovs Haus in London zu vergleichen. In dem kurzen Augenblick, als sie mich aus dem Keller zu seinem Schlafzimmer geschleift haben, konnte ich mir einen kleinen Eindruck von der pompösen Einrichtung machen. In seiner Villa sah es aus wie im Buckingham Palace. Hier hingegen, irgendwie gemütlich. Allein beim kleinsten Gedanken an diesen grausigen Mann, dreht sich mir der Magen um. Bilder schießen mir in den Kopf, seine Stimme schallt mir in den Ohren wieder. Ich hasse mich selbst so sehr, wie ich ihn hasse, für die Dinge, die er mir angetan hat und zu den Dingen, die er mich gezwungen hat zu tun. Wenigstens hatten sie hier den Anstand, mir eine Decke überzuwerfen, und mich nicht so entblößt liegenzulassen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass dieser Kerl genau so ist wie Sergio, oder zumindest in den gleichen Kreisen verkehrt. Genau wie James McLeod. Mein Herz beginnt vor Wut zu rasen, wenn ich an sein dämliches Grinsen denke und die hohen Töne, die er ausspuckte, bevor er mich verschickte wie ein Weihnachtsgeschenk. Als wäre ich ein Gegenstand oder eine Hure. Wie Dreck unter seiner Schuhsohle. Er und dieser Ex-Boxer-Knast-Typ Sawyer mögen zwar denken, dass London ihnen gehört, aber dem ist nicht so. Irgendwann werden sie das schon merken. Spätestens wenn Scotland Yard oder Interpol im McLeod Hotel einfallen werden. All die Jahre habe ich mir gewünscht, diejenige zu sein, die sie zur Strecke bringt, nun werde ich nie die Möglichkeit dazu haben. Immerhin bleibe ich realistisch.
Ich bin mit Kabelbindern ans Bett gebunden, nackt, irgendwo in Frankreich. Ich habe weder eine Waffe, noch kann mich irgendwie selbst befreien. Geschweige denn weiß ich, wie gefährlich oder wie viele die Männer sind. Es wäre dumm, etwas Unüberlegtes zu versuchen und dumm bin ich keinesfalls. Ich war die jahrgangsbeste an der Academy. Vielleicht muss ich nur auf einen passenden Moment warten. Dann, wenn es keiner mehr erwartet. Dann, wenn sie sicher sind, dass ich es nicht versuche.

»Wieder unter den Lebenden, ma chérie?«, holt mich eine raue Stimme aus meinen Gedanken. Ich zucke zusammen, entdecke die schwachen Umrisse einer Person im Türrahmen aus, dessen Gesicht sich im Schutze der Nacht in Dunkelheit hüllt. »Leider«, krächze ich mit viel zu dünner Stimme. Meine Kehle ist staubtrocken und fühlt sich bei jedem Buchstaben an, als würde jemand mit Schleifpapier über meine Stimmbänder reiben. »Hast ganz schön Mut, kleine Polizistin«, spricht er weiter. Ich weiß, wer er ist. Nicht nur der leichte französische Akzent in seiner tiefen klangvollen Stimme, lässt mich wissen, wer er ist. Nein, es ist die Art, mit der seine moosgrünen Augen mich durch die Dunkelheit hinweg anstarren. Auch ohne es zu sehen, spüre ich seinen Blick auf mir haften. Ich winde mich unwohl hin und her, reiße an den Kabelbindern an meinen Handgelenken. Vergeblich. »Spar dir das«, schnaubt er belustigt und tritt aus dem Schatten hinaus auf mich zu. »Mach mich los«, fordere ich ihn herrisch auf und reiße erneut daran. Der dunkelhaarige Franzose mustert mich, schüttelt anschließend unbeeindruckt den Kopf. »Damit du mich wieder anfallen kannst wie ein wildgewordenes Tier?«
»Probiers doch aus und sieh was geschieht«, schlage ich vor und zwinge mir ein fieses Grinsen auf. Meine Worte lassen seine Mundwinkel für den Bruchteil einer Sekunde in die Höhe zucken. So kurz, dass ich fast schon glaube, es mir nur eingebildet zu haben. Es dauert nicht lang, bis der fiese Ausdruck wie eine Maske über seinem Gesicht liegt. »Wenn ich in deiner Lage wäre, würde ich nicht so große Töne spucken«, rät er mir und verschränkt seine muskulösen Arme vor der Brust. Pff. »Und wenn ich in deiner Lage wäre, würde ich dir einen verfickt kräftigen Arschtritt verpassen du eingebildeter Franzose!«
»Bist du so biestig, weil du Tee in deinem System brauchst? Ihr Engländer scheint es nicht lang ohne auszuhalten. Kein Wunder, dass ihr so schlechte Politik macht.«
»Wenigstens fresse ich nicht den ganzen Tag Croissants und Baguette. Ganz zu schweigen von diesen billigen Schnurbärten. Hat euch schonmal einer gesagt, dass das scheiße aussieht?«
»Vielleicht bekommt dir auch das Wetter hier nicht. Kann ja nicht überall so nass und dreckig sein wie auf dieser hässlichen Insel. Obwohl, wenn ich mir dich so ansehe, du könntest, dringend eine Dusche gebrauchen, Kanalratte.«
»Fick dich Napoleon!«
»Ich hab dich nicht richtig verstanden Queen Elizabeth. Vielleicht ist dein schrecklicher Akzent zu dick«, keift er mir entgegen und beugt sich ein Stück zu mir hinunter. Kochend vor Wut rupfe ich an den Fesseln, zerre mit den Beinen und reiße mit den Armen. Die scharfen Seiten der Kabelbinder schneiden sich in mein Fleisch, aber das könnte mir nicht egaler sein. Dieser französische Kotzbrocken und ich liefern uns ein Anstarrduell, dass ich keinesfalls verlieren will. Ich offenbare ihm den feurigsten, unbändigsten Hass, den ich in mir für ihn aufbringen kann, während er auf mich hinabstarrt, als würde er mich gleich lebendig begraben wollen.

»Bringen die euch diese Sprüche eigentlich bei, bei Scotland Yard? Ich meine, sonst sitzt du ja nur hinterm Schreibtisch. Wandern viele Donuts über die Theke?«, will er finster wissen. Die kleinen Falten zwischen seinen Augenbrauen haben sich zu tiefen Furchen entwickelt, die mir tiefer erscheinen als der Mariannengraben. »Isst du viele Schnecken und Frösche?«, will ich stattdessen kess wissen. Er zuckt mit seiner Braue. »Musstest du viele Schwänze lutschen, bevor du an deinen Job gekommen bist?«
»Nicht so viele wie du«, grinse ich ihm entgegen. Ein kehliger Laut löst sich aus seiner Kehle. »Unsere kleine Unterhaltung war ja wirklich amüsant, kleine Britin, aber leider muss ich jetzt zu unangenehmen Dingen kommen«, lächelt er falsch und löst als erstes unseren Augenkontakt. Diesen kleinen Triumph gönne ich mir.

Seine rechte Hand wandert an mein Kinn, welches er beherzt umschließt und mir den Kopf in den Nacken drückt. Dabei kommt er mir gefährlich nahe. »Also kleine. Du hörst mir jetzt mal zu. Ein Ton und ich stopf dir dein Maul, klar?«, zischt er und wird von Wort zu Wort unfreundlicher. Die Kälte, die von ihm auf mich überschwappt, macht mir mehr Angst, als ich mir das eingestehen will. Blinzelnd bestätige ich seine Worte. Der Druck, den er auf meinen Kiefer ausübt, macht es mir ohnehin unmöglich, zu sprechen. Lediglich ein kleiner quälender Laut entfährt mir.
»Gut. Weißt du, wieso du hier bist?«, fragt er nach. Kopfschüttelnd schaue ich ihm in die Augen. Jetzt so über mir, könnte er tun und lassen, was er wollte. Ich könnte mich ohnehin nicht währen. Aber das tut er nicht. Nicht so wie... Sergio.
»In wenigen Tagen werden wir heiraten. Du wirst meine Frau und wir werden hier leben. Wenn du auch nur daran denkst, vor dem Altar nein zu sagen, werde ich dir die Kehle aufschlitzen und dich persönlich bei Scotland Yard abliefern, klar? Ich will das wirklich ungern tun, aber wenn du was Dummes machst, bleibt mir keine andere Wahl ma chérie. Dir liegt doch was an deinem Leben, oder?«
Wieder bringe ich nur ein Nicken zustande und seine zornigen Gesichtszüge glätten sich ein wenig. »Gut. Sobald ich einen Erben habe, kannst du wieder verschwinden. Das ist alles, was ich will. Nur einen Erben, ok? Danach bist du frei.«
Ich kaufe ihm keines seiner Worte ab. Nicht, weil ich genau sehe, wie er mich anschaut. Etwas in seinem Blick sagt mir, dass noch mehr dahintersteckt. Ein Kind will er? Das hätte er mit jeder Hure haben können. Wieso muss ich ihn dazu heiraten?
»Du hast mein Wort, ma chérie.« Seine Hand verschwindet, und der Druck auf meiner Kehle ebenso. Luftholend reiße ich meine Lippen auf und nehme meine Augen nicht von ihm. Seine Worte hallen in meinen Ohren nach, dennoch glaube ich ihm nicht. Trotzdem bleibt mir keine andere Option, als mich vorerst gutmütig zu zeigen. Zumindest so lang, bis ich weiß, wie ich hier rauskomme. So schwer es mir auch fällt, vielleicht ist es das Klügste, was ich im Moment tun kann - kein Widerstand mehr zu leisten.
»Machst du mich los?«, frage ich ihn leise. Mein Puls normalisiert sich langsam wieder etwas, obwohl mein Hass auf ihn keinesfalls versiegt ist.
Skeptisch schaut er mich an, sagt kein Wort, stattdessen sprechen seine Augen Bände. »Bitte«, flehe ich mit Nachdruck. Vielleicht kommt mir das Polizeitraining endlich mal zugute. »Ich hab echt ein paar krasse Dinge in London erlebt und will nur duschen. Es sei denn, du willst, dass deine Laken von getrocknetem Sperma versaut werden«, erzähle ich ehrlich. Meine Worte bewirken etwas. Er zögert, tritt aber näher und langt ans Kopfteil des Bettes. »Wenn du mich anfällst, dann Knall ich dir eine, ist das klar?«
Ich nicke verstehend. Ich weiß, dass er es tun würde, genauso wie ich es an seiner Stelle tun würde. Ich spüre seine warmen Finger auf meiner Haut, fühle die heißen Spuren, die sie hinterlassen. Die silberne Klinge eines Klappmessers funkelt vor meinen Augen, kurz darauf rutscht meine erste und aus dem kaputten Kabelbinder und ich ziehe sie schmerzend an meinen Körper. Er hätte leichtes Spiel, wenn er mich töten wollen würde. Könnte mir einfach die Pulsadern aufschneiden, es wäre ein Klacks. Aber wenn er braucht mich, aus unerklärlichem Grund. Deshalb löst er auch den zweiten Kabelbinder und wendet sich meinen Füßen zu, um diese ebenfalls zu lösen. Keine Minute später bin ich frei. Erleichtert richte ich mich auf, ignoriere dabei das Dröhnen in meinem Kopf und den Schwindel, der sich in mir auftut. »Du hast zehn Minuten. Ich werde hier warten, also beeil dich«, erklärt der Franzose mir und nickt mit dem Kopf auf die Tür, die sich im Zimmer neben dem Schrank befindet. Hinter ihr muss vermutlich ein Bad sein. Er klappt sein Messer wieder ein, verstaut es in seiner Hosentasche und verschränkt mit kalten Ausdruck die Arme. Ausatmend erhebe ich mich, schlinge das dünne Laken eng um meine Schultern und laufe auf die Tür zu. »Wie heißt du eigentlich, kleine Kratzbürste?«, hält der dunkelhaarige mich auf. »Weißt du das nicht schon längst?«, frage ich innehaltend an der Schwelle zum Bad. Im Gegensatz zu ihm, habe ich keine Ahnung, wie er heißt. Ich sehe ihn über meine Schulter hinweg an, er mich ebenfalls. »Beeil dich gefälligst Amelia«, fordert er mich auf, und ein heißer Schauer läuft mir über den Rücken, als er meinen Namen ausspricht.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt