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AMELIA

»Hier, Daiquiri«, reißt Timéo mich aus meinen Gedanken und reicht mir ein Margarithaglas, in dem sich eine dicke, rote Flüssigkeit befindet. »Was?«, nuschle ich fragend und schnuppere am Glas. Der sanfte Geruch von Erdbeeren zieht mir in die Nase. »Da ist Rum drin, trinks einfach«, erklärt er mir. Meine Lippen berühren den kühlen Rand des Glases, meine Augen nehme ich nicht von der Gruppe, die auf dem Sofa gerade eine Orgie feiert. Niemanden hier kümmert es. Für sie scheint es normal zu sein, so als sehen sie dieses Bild jeden Tag. Für mich hingegen, ist das hier eine andere Welt. Kaum zu fassen, dass mein Leben vor einigen Wochen noch so prüde und langweilig war.
»Ich werde Quentin die Eier abschneiden«, brummt Timéo zornig neben mir. Meine Augen huschen zu ihm und er stiert die Gruppe, die es auf seinem Sofa treibt, in Grund und Boden. Wieso tut er dann nichts, wenn es ihn so stört?

Lippenbeißend schiele ich auf die Frau, dessen Brüste gerade mit einer Flasche Champagner übergossen werden. Ihre Nippel sind hart, der schäumende Alkohol perlt über ihre gebräunte Haut. Einer der Männer, leckt ihn ab. Gierig und hungrig, während sein Schwanz kein Geheimnis daraus macht, was er will.
Ich will nicht starren, aber kann nicht anders. Es fasziniert mich, mehr als mir eigestehen will. Mist, Amelia... Wieso ist mir so warm, wenn ich ihnen zusehe?
»Definitiv seine Eier«, bekräftigt Napoleon seine Worte von gerade eben und stößt sich plötzlich mit den Ellenbogen von der Bar ab. Als er Anstalten macht, loszulaufen, folge ich ihm. »Warte! Wo willst du hin?«, will ich verwundert wissen und quetsche mich a den verschwitzen Körpern vorbei, die mich auf Schritt und Tritt anrempeln. Die bunten LEDs blenden mich, flackern über mich. Draußen auf dem Deck, schlägt mir ein Wind entgegen, der das Prickeln in mir ersterben lässt. Mit großen Augen laufe ich an der gutbesetzten Lounge vorbei, auf dessen schwarzen Glastisch sechs Leute Lines ziehen. Tüten kullern auf dem Boden rum, bunte Pillen heben sich von den schlichten Tischen ab. Jeder hier konsumiert offen, keiner fürchtet Konsequenzen. Die Polizistin in mir, würde diese ganze Party am liebsten hochnehmen. Aber Amelia, die ist zu fassungslos etwas zu tun und stolpert orientierungslos hinter dem dunkelhaarigen Franzosen her.
Wir kommen bei einer unscheinbaren Treppe an, vor der ein angsteinflößender Mann breitbeinig steht und dafür sorgt, dass niemand dort hinaufgeht. Er erblickt Timeo, wirft ihm ein knappes Nicken zu und weicht zur Seite, als wüsste er genau, wen er da vor sich hat. Napoleon langt nach meiner Hand, zieht mich die Stufen hinauf. Meine langen blonden Haare fallen mir über die Schultern, als ich zurücksehe und nur noch den Rücken des Türstehers sehe, der wieder vor der Treppe platzgenommen hat.

Hier oben weht eine sanfte Meeresbriese. Die Musik schallt nicht mehr so laut wie eben, sondern ist in den Hintergrund gerückt. Es ist angenehm, und außer uns befindet sich niemand auf dem obersten Deck, der gigantischen Yacht. Zum ersten Mal an diesem Abend, kann ich aufatmen. Meine Hand gleitet aus seiner, während der Anblick der Stadt mich in seinen Bann zieht. Gefesselt von dem, was sich mir bietet, trete ich an die Reling. Die Party unter uns, ist noch in vollem Gange. Die bunten LEDs werfen kurze Strahlen ins Wasser. Die Yacht hat Lampen, die das Mittelmeer in einem klaren hellblauen Ton erstrahlen lassen und dort wo ihre Leuchtkraft endet, sind es die Lichter der Stadt, die sich auf der dunklen See spiegeln. In einem so schnellen Tempo, das mit der Party unter uns einhergeht, sind es Momente wie diese, die mich daran erinnern, dass ich lebe.

Die frische Luft des Meeres strömt mir in die Nase, vermischt sich mit dem herben Geruch, den Timéo dicht neben mir stehend versprüht. Wir sind weit genug von der Stadt entfernt, um die Menschen am Pier, wie kleine Insekten wirken zu lassen. Das sanfte Schaukeln der recht ruhigen See durchflutet meinen Körper und hat eine beruhigende Wirkung auf meinen Geist. Mag sein, dass es auch der Alkohol in mir ist.
»Gefällt es dir?« Ich schließe meine Augen, damit seine raue Stimme in meinen Ohren ihr volles Potential entfalten kann. Eines, was mir bis in die Knochen geht. »Es ist wunderschön«, gestehe ich ihm ehrlich und schlage langsam meine Lider auf. Blinzelnd neige ich meinen Kopf nach links, und erwische ihn, wie er mich ebenfalls ansieht. Der Blick in seinen Augen, undeutbar. Es gab nur eine Handvoll Male, in denen ich dieses funkeln in seinen grünen Iriden ausgemacht habe. Keine von diesen Malen, konnte ich herausfinden, was es ist, dass da durch den Dschungel in seinen Augen zuckt.

»Es ist traumhaft«, gestehe ich leise. Die funkelnden Lichter der Stadt glitzern wie Millionen Sterne. Bei Nacht schaut Marseille aus, wie eine friedliche Stadt am Mittelmeer.
»Da am rechten oberen Rande der Stadt am Felsen, liegt die Villa«, erklärt er mir. »Wenn der Himmel klar ist, kann man bis auf die Wälder und Wiesen dahinter schauen.«
»Was ist dort?«
»Villen, Landwirtschaft, der Rest von Frankreich. Wenn du Nordwest läufst, bist du irgendwann in Paris.«
»Warst du oft dort oben?«
Timéo trinkt schweigsam aus seinem Glas. Es dauert ein wenig, bis er seine Unterarme auf die Reling stützt und ziellos in die Ferne starrt. Ihn scheint es nicht zu kümmern, dass ich ihn von der Seite aus ansehe.
»Meine Familie besitzt ein großes Anwesen im reichsten Teil der Stadt. Mehrere Hektar, direkt auf den Hügeln. Man kann es von hier nicht sehen, aber von dort schaut man bis nach Afrika«, murmelt er, das Glas in seiner Hand schwenkend. Er wirkt in sich gekehrt, obwohl er gerade noch anders war. Ich muss ihn damit getriggert haben. Die tiefen Furchen auf seiner Stirn, die ich neben ihm stehend, geradeso erkennen kann, machen mir klar, dass es ihm ganz und garnicht gefällt, das wir darüber sprechen. Es stört ihn.
Ich weiß nicht, was ich auf seine Worte antworten soll, also beschließe ich, nichts zu sagen. Ruhe kehrt zwischen uns ein. Die Partymusik und das sanfte Rauschen der Wellen, mischen sich mit der warmen Meeresbrise. Mit geschlossenen Augen sauge ich alles in mir auf, dabei zucken die Bilder der letzten Stunde durch meinen Kopf, und erinnern mich an die Frau, die ich jetzt bin. Zu der er mich gemacht hat. Seiner Frau. Der Ring wiegt schwer an meinem Finger, mehr symbolisch, da er tatsächlich recht leicht ist. Ich sehe mich selbst, vor ihm in der Kirche stehend. Sehe mich in dieser Kiste. Wie ich in London, in den Katakomben von James McLeod die Nacht verbrachte. Mich, als ich zu Sergio kam. Wie ein Film laufen die Szenen vor meinem inneren Auge ab. All das, was mich geplagt und gestört hat in meinem vorherigen Leben als Polizistin, ist nicht mehr wichtig, weil niemand kommen wird, um mich zu retten. Hätten sie es gewollt, wären sie schon längst hier gewesen.
Ich will meine Hoffnung nicht begraben, aber in diesem Augenblick, bin ich pessimistisch. Ich kann nicht mehr so tun, als würde mich jemand suchen oder retten wollen. Nein, sie scheint es nicht zu kümmern, was mit mir geschehen ist und das schmerzt, weil ich alles für Scotland Yard gegeben habe. Alles und bekomme nichts.

Ausatmend setze ich mein Glas an und exe es mit wenigen Schlucken aus. Noch während ich trinke, drehe ich mich um und stoße mich von dem Geländer ab. Ich schlüpfe aus den hohen Schuhen, und meine nackten Zehen berühren den warmen Holzboden. Timéo, dem ich mein Glas in die Hand gedrückt habe, beobachtet mich mit einem skeptischen Auge.
Neugierig laufe ich über die Dielen, an einer Bar vorbei. Meine Fingerkuppen streifen über die Theke. Ich laufe schlendernd weiter. Hier oben gibt es ebenfalls eine große Lounge, dessen gedimmte Lichter eine stimmige Atmosphäre auslösen. Der Daiquiri entfaltet langsam seine Wirkung in mir und da ich bereits auf der Feier in der Villa getrunken habe, bin ich nun beschwipster als gedacht. Upsi.
»Wieso hast du so eine große Yacht, und wir sind hier oben ganz allein?«, frage ich ohne mich umzudrehen. An die Loungeecke, schließen sich Sonnenliegen an. Dahinter, über ein Großteil der Breite des Bootes, erstreckt sich ein Pool. Der restliche Platz, ist für eine weiß gepolsterte Liegelandschaft gewichen, von der man aus direkt in den Pool springen kann. Das kristallklare Wasser schwappt mir über die Fußspitzen, als ich am Rande des beleuchteten Beckens zum stehen komme und einen Blick über meine Schultern werfe. Timéo hält meine Schuhe in einer Hand und schlendert langsam auf mich zu. Unsere Gläser entdecke ich auf der Theke der Bar stehen.
»Wäre es dir lieber, wenn meine Sofas hier oben auch noch von Sperma und anderen Flüssigkeiten getränkt werden? Geschweige denn der Pool?«
»Und dir? Stehst du auf Sperma in deinem Pool, Napoleon?«, frage ich kess. Der Alkohol bringt wieder die spitze Seite in mir hervor, die einige Tage unter der Oberfläche verschwunden war.
Timéo bleibt grinsend vor mir stehen. Ich habe mich längst zu ihm umgedreht.
»Wenn's mein eigenes ist.«
Ich verziehe meine Lippen angewidert und strecke die Hände nach hinten, um mir unbeholfen am Reißverschluss zu Fummeln. Ich will dieses Kleid loswerden. Der Franzose scheint meine Misere zu erkennen, denn er setzt sich, ohne dass ich was sagen muss, in Bewegung und tritt neben mich. Mein Herz klopft wild, als seine Hände meine Haut berühren und mir meine langen Haare zu einer Seite über die Schulter schieben. Der Reißverschluss summt leise hinab, und ich kann zum ersten Mal wieder atmen. Es fühlt sich an, als hätte man mir fünf Kilo Gewichte von den Rippen genommen. Gott.
Bevor ich mich bedanken kann, wird Timéo von einem Kellner abgelenkt, der aus dem nichts aufgetaucht ist und ihn etwas fragt. Ich nutze die Gelegenheit dieses unbeobachteten Augenblicks, und werde mein Kleid los. Ich werfe es auf die Polster neben dem Pool, bevor ich in Unterwäsche ins Wasser gleite.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt