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TIMÉO

Adrenalin beherrscht meinen Körper. Meine Fäuste hageln auf den Boxsack nieder wieder wie Kugeln. Die Musik so laut, dass ich keine eigenen Gedanken mehr fassen kann. Ich brauche das so, damit ich nicht an sie denken muss, sie nicht vor mir sehe, sie nicht fühle. Ich brauche das, um zu atmen. Um mich lebendig zu fühlen, wenn der Schweiß mir über die Haut rinnt, meine Tätowierungen entlang, bis er von meinem Körper tropft. Nass hängen mir meine Haare in der Stirn, und im Raum herrschen heiße Temperaturen, genau wie draußen. Es ist jetzt mitten im Sommer und Marseille hat sich zu einem Meer aus Touristen entwickelt, die die Straßen durchkämmen, auf der Suche nach Spots für ihre Urlaubsfotos. Das nervt. Das beeinträchtigt nicht nur meine Arbeit, sondern auch die der anderen mächtig. Ich kann's kaum erwarten bis die sich alle wieder verpissen.
Keuchend zimmere ich meine Faust erneut in den schwarzen Sack. Meine Lunge ziehen sich schmerzhaft zusammen, mein Herz droht fast zu platzen. Mir ist so heiß, und die dröhnende Musik tut ihr übriges. Ich treibe meinen Körper an den Rand der Erschöpfung und dessen bin ich mir mehr als bewusst. Ich brauche den Kick, den es mir verschafft. Fuck.

Zehn Touren in sieben Tagen, habe ich quer durch Europa erledigt. Von Madrid bis Oslo, was alles dabei. Ein Großteil davon ist bereits verkauft. Meine Männer verpacken die Stücke Tag und Nacht in den Gewölben unter der Villa. Meine Kunden sind ungeduldig und wollen die Schmuckstücke immer so schnell wie möglich haben. Ich versuche das möglich zu machen. Immerhin blechen sie auch ordentlich dafür.
Nach der Arbeit, hat Quentin mich in Clubs gezerrt. Ich hasse es dort zwar, aber der Alkohol und die laute Musik lassen mich abschalten. Manchmal betrinke ich mich, manchmal sitze ich nur da und lasse die Musik auf mich wirken. Quentin hat seinen Spaß und ich passe auf ihn auf. Schleppe ihn nachhause, wenn es Zeit wird zu gehen. Wenn ich allein bin, bin ich hier. Tagtäglich zwinge ich meinen Körper dazu, zu leisten was er kann, und gehe darüber hinaus. Es ist eine Form der Stressbewältigung, meinte mal jemand zu mir. Ich sehe es als eine Art Auszeit an. Wenn ich müde bin, schlafe ich ein, ohne an etwas zu denken.

Amelia bringt mein Blut zum Kochen, wenn ich an sie denke. Sie hat mich hintergangen. Wäre sie nur mal ehrlich gewesen, als ich sie fragte, was das bei Sergio sollte. Dabei hat sie mir ins Gesicht gelogen. Hat sie bei ihm ermittelt? Gegen ihn?
Ein großes Fragezeichen plagt meine Gedanken. Ich will antworten, aber solang ich keine Ahnung habe, wo sie steckt, weiß ich auch nicht wie ich sie bekommen soll. Es sind drei Monate vergangen seid ich sie das letzte Mal zu Gesicht bekommen habe. Wo steckt sie zum Teufel? Jeder Spur, der ich nachgegangen bin, ist im Sande verlaufen. Wenn das so weitergeht, finde ich sie nie. Und das macht was mit mir. Es macht mich innerlich fertig. Ich will meine Hand um ihre Kehle schließen, sie wimmern sehen, während ich sie frage, was das sollte. Wieso sie es getan hat. Wieso sie mich anlog.
Ich will antworten, verdammt!
Was ist in ihrem Kopf vorgegangen? Sie hätte ehrlich sein können. Das war das mindeste, was ich von ihr erwartet habe. Das sie so ein hinterhältiges Miststück ist, hätte ich nie gedacht.

Die Musik verstummt und lässt mich innehalten. Durch den Spiegel vor mir, sehe ich wie Quentin neben der Anlage stehengeblieben ist und den Stecker gezogen hat. Idiot.
»Was willst du? Wieso bist du nicht unten im Keller und arbeitest?«, fahre ich ihn an, immer noch mit dem Rücken zu ihm stehend. Er hatte den ganzen Morgen Pause und hat mich erst vor wenigen Stunden abgelöst. Was tut er also hier?
»Willst du dich zu Tode boxen?«
Er geht nicht auf meine Frage ein. Verschränkt stattdessen die Arme vor der Brust und lehnt sich belustigt an den Türrahmen. »Was willst du Quentin? Gibt's Probleme?«
Ich schnappe mir mein Handtuch, reibe mir über den Nacken und mache auf dem Absatz kehrt. Mein bester Freund mustert mich von unten bis oben, als ich an ihm vorbei in die Dusche laufe. Eine Sauna mit extra Bad schließt an den Fitnessraum an. Er folgt mir, ohne dass ich etwas sage. Schweratmend stelle ich mich unter die Dusche und werfe das Handtuch über das Milchglas hinweg auf ihn. Ein Strahl kaltes Wasser trifft mich und lässt mich nach Luft schnappen. Es prickelt eisig auf meiner feuerroten Haut. Wie Millionen Nadeln, die mich gleichzeitig stechen.
»Was soll das, Méo?«
»Wieso beantwortest du meine Frage nicht einfach?«, will ich über das laute Plätschern der Dusche hinweg wissen. Gott regt der mich manchmal auf.
»James ist am Telefon«, erklärt er und ich stelle die Dusche sofort ab. Mit einem Handtuch um den Hüften, trete ich aus der Kabine hinaus ins Badezimmer und reiße ihm das Telefon aus den Händen. Quen lacht amüsiert. »Sag das doch gleich du Idiot.«
»Fick dich.«
Ich zeige ihm den Mittelfinger, während ich hinter einer Trennwand verschwinde und langsam beginne mich mit einer Hand umzuziehen. Das ist schwieriger als gedacht.

»Ja? Habt ihr was gefunden?«, frage ich in den Hörer und quetsche mir das kleine Gerät zwischen Ohr und Schulter. »Ich hoffe der meinte nicht mich, mit dem fick dich.«
»Ignorier ihn einfach, der hat mal wieder nen Clown gefrühstückt«, murre ich genervt. Quentin muss immer den Witzbold spielen.
»Ich seh schon. Naja-« James räuspert sich am anderen Ende der Leitung, »es gibt tatsächlich Neuigkeiten, die ich mit dir teilen muss«, eröffnet er mir. Fertig umgezogen, trete ich hinter der Wand hervor und sehe, das Quen sich bereits vorn im Fitnessraum aufhält und sich dort am Kühlschrank bedient. »Was? Was hast du rausgefunden?«, will ich von dem Briten wissen. James macht auch ein Geheimnis daraus. Man.
»Setz dich lieber«, empfiehlt er mir aber auf seine Worte pfeife ich. »Sag schon.« Meine Stimme wird drängelnder. »Spucks aus.«
»Okay. Meine Quelle hat sich gemeldet«, beginnt er langsam. Viel zu langsam für meinen Geschmack. Wieso kommt er nicht auf den Punkt? Das nervt nur. Es muss wichtig sein, aber er eiert um das Thema herum als wäre es kein gutes. Fuck. Mein Herz hat sich nach der Tour Boxen zwar wieder beruhigt, doch jetzt beginnt es erneut Achterbahn zu fahren.
»Und was hat die Quelle gesagt?«
»Dass es wohl bei einer ihrer Personen aus dem Programm zu einem Unfall gekommen ist, in der Nähe von Dublin. Zwei tote Personenschützer und eine Frau, die entführt wurde.«
Nachdenklich lehne ich mich mit dem Rücken gegen den Waschtisch. »Und du denkst das war Amelia? Wieso sollte sie jemand entführen?«
Wer, wenn nicht ich oder einer meiner Verbündeten?

»Ich weiß es nicht Timéo, wirklich nicht. Mehr Infos habe ich nicht. Wir versuchen gerade zu bestätigen, ob es sich wirklich um sie gehandelt hat«, macht er mir klar. Und wenn es sie war? Wer sollte Amelia entführen? Sergio ist tot.
»Aber meine Quelle hat ein Protokoll vom Tag gefunden, an dem sie im Gebäude von Scotland Yard war. Sie hat wohl undercover gegen Sergio ermittelt. Ihr Auftrag wurde für beendet erklärt, als er tot aufgefunden wurde. Es war wohl geplant, dass ihre Kollegen sie da rausholen. Als sie zu dir kam, haben die vermutlich etwas länger gebraucht.« Und sie dachte, sie kommen nicht mehr und haben sie im Stich gelassen. Ausatmend lege ich den Kopf in den Nacken und fahre mir durch die feuchten Haare. Das ändert einiges. Verdammt.
»Meld dich, wenn du was gefunden hast«, sage ich also zu James und lege auf. Gerade als ich das Telefon sinken lasse, stürmt Quentin wieder ins Zimmer. Diesmal aufgebrachter und deutlich verwirrter als gerade eben. In seinen Händen hält er einen braunen Umschlag, den er mir vor die Nase hält. »Den hat gerade jemand hier abgegeben. Für dich.«
Verwundert lege ich das Telefon beiseite und schnappe mir das Papier. Jemand? Oder der, der sie einführt hat?
Mit einer bösen Vorahnung, reiße ich den Umschlag auf, der mit meinem Namen gekennzeichnet ist. Hinaus ziehe ich ein Blatt Papier.

Süße kleine, deine Braut. Vielleicht wird dein Kind ja genau so hübsch. Zu schade, dass es nie das Licht der Welt erblicken wird.

Das Blut gefriert mir in den Adern. Kein Absender, keine Unterschrift. Von wem kommt dieser Nonsens? Was soll das? Sauer lasse ich das Papier zu Boden fallen und wühle hektisch in dem Umschlag herum. Quentin kniet sich derweil zu dem Papier hinab und hebt es auf.
»Was zum?«, will er wissen. Etwas, auf das ich ihm keine Antwort geben kann. Tatsächlich befindet sich etwas darin. Ich ziehe zwei Bilder hinaus. Das erste zeigt Amelia. Keuchend Knicken meine Knie weg. Ich komme hart auf dem Boden auf und starre in ihre tränenden Augen. Blut klebt an ihrer Haut, sie wurde geknebelt und misshandelt. Die Angst in ihren Augen, lässt mein Herz stehenbleiben. Und das zweite Foto, zerreißt es in meiner Brust endgültig. Es ist ein schwarz-weißes Ultraschallbild. Blutspritzer tränken das Papier, auf dem sich das Bild eines Babys abzeichnet.
Meines Babys.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt